Diskriminierung

Rap gegen Verstümmelung

Das Messer einer früheren Beschneiderin liegt bei einer Informationsveranstaltung in Dakar, Senegal, auf dem Tisch (Foto vom 24.4.2002). Das Beschneidungsritual ist seit 1999 im Senegal verboten, wird aber vor allem auf dem Land heimlich weiter ausgeführt.
Die Beschneidung ist im Senegal seit 1999 verboten, praktiziert wird sie dennoch. © picture alliance / dpa / Wolfgang Langenstrassen
Von Martina Zimmermann |
Ein Viertel der Frauen in Senegal soll beschnitten sein. In den Städten geht die Beschneidung zurück, nicht aber auf dem Land. Seit Jahren tourt die Rapperin Sister Fa durch ihr Heimatland, um dort mit ihrer Kunst über die Folgen der Beschneidung aufzuklären.
Die Stimmung ist ausgelassen, das Publikum hüpft und tanzt, der Dreikäsehoch singt aus vollem Halse mit, genauso wie die älteren Jugendlichen. Sister Fa tritt an diesem Abend auf dem Schulhof der Yeroba Balde-Schule in Linkering auf, einem 2600 Seelen-Dorf im senegalesischen Grenzgebiet zu Guinea, Guinea-Bissau und Gambia.
Der Weg dorthin führt durch Wälder der Feuchtsavanne und über sandige Holperpisten. In diesem entlegenen Winkel im Süden Senegals leben schätzungsweise 15.000 Menschen in 35 Dörfern. Sister Fa tourt eine Woche lang durch diese Region, unter dem Motto "Kunst für Kinderschutz“. Zu ihren Konzerten kommen Schüler und ihre Familien, Dorfchefs, Bürgermeister und religiöse Führer gleichermaßen.
Auch die Rapper der Umgebung sind dabei.
"Gib sie nicht her“ – so lautet der Refrain des Hits von MC Balédio aus Kolda, der die Zwangsheirat eines 12-jährigen Mädchens anprangert.
Rund 40 Prozent der Mädchen in Senegal heiraten vor ihrem 18. Geburtstag – meistens ohne um ihre Meinung gefragt zu werden. Deshalb unterstützt die Kinderhilfsorganisation World Vision die Tournee von Sister Fa in der senegalesischen Region Casamance.
"Es ist sehr heikel mit den Leuten über ein Tabuthema zu reden. Damit die Kinder sich nicht unwohl fühlen, reden wir von Kinderrechten allgemein. Wir fragen sie, wovor sie geschützt werden müssen - vor sexuellem Missbrauch, sexueller Belästigung, Zwangsheirat und früher Schwangerschaft. Und vor Bräuchen wie der Genitalbeschneidung bei Mädchen. Ich frage sie zuerst, was sie darüber wissen. Ich gehe das nicht frontal an, weil sie sich sonst unwohl fühlen und nicht mitmachen würden."
Keine Vorschrift des Islam
Wenn die Rapperin das Klassenzimmer betritt, stehen die Kinder brav auf: Dann warten die etwa 40 Jungen und Mädchen im Alter von zehn bis zwölf auf ein Zeichen von Sister Fa, ehe sie sich wieder hinsetzen. Die Soul- und Hip-Hop-Sängerin mit den langen Haaren trägt Jeans und ein weißes Hemd.
"Habt keine Angst, hier dürft ihr reden! Darf man euch schlagen? Nein.
Darf Papa euch schlagen? Nein.
Wir Erwachsenen müssen euch schützen.
Hat Papa das Recht, euch zu verheiraten und von der Schule zu nehmen?
Mit einem älteren Mann? Nein!"
Behutsam kommt Sister Fa auf die weibliche Genitalbeschneidung zu sprechen. Die Kinder wissen einiges: Denn die meisten Mädchen hier sind beschnitten worden. Sie malen blutige Scheren und Klingen. Die Jungen zeichnen weinende Mädchen, die am Unterleib bluten. Die Rapperin klärt die Schüler auf, dass es sich bei diesem Brauch weder um eine Tradition aus Senegal handelt noch um eine Vorschrift des Islam.
"Wer weiß wie viele Töchter der Prophet Mohammed hatte?
Waren die beschnitten? Nein. Wird in der Heiligen Stadt Mekka beschnitten, wo wir Muslime hin pilgern? Wieso soll das vom Islam kommen, wenn nicht einmal in Mekka beschnitten wird und auch der Prophet seine Töchter nicht beschneiden ließ."
Die Rapperin ist selbst beschnitten
Die Mädchen melden sich mit einer gewissen Empörung, sagen, wie weh die Beschneidung tut. Aber auch die Jungen melden sich zu Wort.
"Eure beiden Kameraden haben alles gesagt: Bei der Beschneidung nimmt man einen Teil des Körpers des Mädchens weg. Ihr braucht euch nicht zu schämen, wenn ihr darüber sprecht. Auch ich bin ein beschnittenes Mädchen."
Sister Fa heißt mit bürgerlichem Namen Fatou Mandiang Diatta. Die 32-Jährige hat nur vage Erinnerungen an ihre eigene Beschneidung:
"Ich erinnere mich an das Gesicht der Frauen, die mich über ein Becken gehalten haben, an das Blut, und daran, dass meine Mutter sagte, ich solle nicht weinen. An die Schmerzen... an nichts sonst. Ich war jung und ging noch nicht zur Schule, ich war zwischen vier und fünf Jahre alt."
Sister Fa hatte als Rapperin in Senegal bereits Erfolg, als sie einen Österreicher kennenlernte, der ihr Ehemann wurde. Sie zog mit ihm 2006 nach Berlin. Dort bekam sie eine Tochter, die heute fünf Jahre alt ist.
"Ich begriff, dass meine Rechte missachtet worden waren und dass ich meinem Kind nicht dasselbe antun darf. Ich hatte in Deutschland Zugang zum Internet und konnte eigene Recherchen zur weiblichen Beschneidung machen. Ich hatte Zeit und war oft allein, was hier in Senegal selten passiert. Ich war schon in Senegal dagegen aber ich konnte nicht sagen, warum man damit aufhören muss, warum das falsch ist. Dieses Wissen bekam ich in Deutschland."
Die Yoroba Balde-Schule in Linkering ist eine schöne Schule, mit fünf prächtigen Mangobäumen, die auf dem geräumigen Schulhof Schatten spenden. Sie liegt in der Region Casamance, der einstigen Kornkammer Senegals. Aber Raubbau und Umweltschäden bedrohen das Einkommen der Bauern und Fischer. Zudem tobt hier seit Jahrzehnten ein Konflikt zwischen Unabhängigkeitskämpfern und der Armee. Auf der Suche nach Arbeit wandern viele Bewohner nach Nordsenegal aus, in die Hauptstadt Dakar.
Schuldirektor kämpft gegen Mädchenbeschneidung
In der Schule bekommen die Kinder Frühstück und Mittagessen. Die Kantine wird von einer Nichtregierungsorganisation finanziert. Die Eltern müssen Hefte und Stifte kaufen und für die Einschreibung 200 Francs CFA pro Kind zahlen, umgerechnet 30 Cents. Wäre die Einschreibung teurer, hätte er Probleme mit den Eltern, erklärt Direktor Mamadou Adi Diop. Der 36-Jährige hat in Dakar studiert. Aber seit er Schuldirektor in der Casamance ist, wagt er sich kaum weg:
"Während der Ferien im August gehe ich oft zu den Eltern unserer Schüler. Denn das ist die Zeit, in der beschnitten wird. Wenn ich da in Urlaub gehe, werden die Mädchen beschnitten. Wenn ich bleibe, dann nicht. Dann sagen sie, der Direktor ist hier. Da muss man aufpassen."
Die Tournee von Sister Fa ist für Mamadou Adi Diop eine willkommene Unterstützung in seinem Kampf gegen die Mädchenbeschneidung.
Stoppt die Gewalt, ruft der Einheizer, die Kinder stimmen ein. Nach einer morgendlichen Diskussion in den Schulklassen wird gemeinsam gegessen. Wenn dann am Nachmittag die Hitze nachlässt, beginnt das feierliche Programm. Inzwischen sind auch die Ehrengäste eingetroffen, der Dorfchef, der Imam, die Vorsitzende des Frauenverbandes und der Unterpräfekt. Sie alle hören zu, als die Schülersprecherin auf die Bühne tritt:
"Liebe Kameraden", sagt sie. "Die Beschneidung der Mädchen ist eine Gewalt, die gegen unsere Rechte verstößt! Eine alte Tradition sei das, die Krankheiten wie Aids verbreiten kann. Und: Liebe Eltern hört damit auf, wenn ihr nicht unsern Tod wollt, wenn ihr wollt, dass wir ohne Handicap aufwachsen! Liebe Kameraden, lasst uns nein sagen, denn ein Kind ist die Zukunft!"
Im Kampf gegen die Mädchenbeschneidung setzt die Regierung auf Aufklärung statt auf Durchsetzung des Verbots. Denn als ein Richter in Nordsenegal eine Beschneiderin zu einer Haftstrafe verurteilte, versammelte sich eine Menschenmenge zum Gebet – für die Frau. Der Richter wurde krank und die Beschneiderin von der Strafe befreit. Seither hat sich kein weiterer Richter getraut, das Gesetz anzuwenden.
Lokalpolitiker halten sich mit Verurteilungen zurück
Zwar ergehen sich Politiker in Dakar bisweilen in öffentlichen Verurteilungen. Aber Lokalpolitiker halten sich lieber zurück: Schließlich wollen sie wiedergewählt werden. Kaum einer wagt es auch, religiösen Führern zu widersprechen. Diese so genannten Marabouts bereiten Schulleiter Diop Sorgen.
"Die haben Probleme mit der Interpretation des Korans. Da steht sehr wohl drin, dass du verantwortlich bist für die Kinder, die du in die Welt setzt. Aber leider sehen das die mächtigen Marabouts nicht so. Die schicken ihre Kinder oft sogar ohne Schuhe und ohne Kleidung in die Schule.
Wenn einer acht, neun, oder zehn Kinder hat, ist es meist ein Marabout. Die haben drei oder vier Frauen – aber kein Geld für die Schule. Nur das Kind hat nicht darum gebeten, auf die Welt zu kommen! Wenn die Eltern nicht für es sorgen können, nenne ich das eine Fehlleistung."
Für die meisten Bewohner der im Süden Senegals gelegenen Casamance ist ein Mädchen nach wie vor einzig dafür da, einen Mann zu versorgen, Kinder zu kriegen und in der Küche oder auf dem Feld zu arbeiten. Die Genitalverstümmelung soll auch dazu beitragen, dass das so bleibt, weil sie die Frauen schön bescheiden macht, glaubt Maimouna Mané, die Vorsitzende des Frauenverbandes von Linkering.
Sie erzählt, dass sie sich erst vom Kampf gegen die Genitalverstümmelung überzeugen ließ, als sie Fotos sah und ihr bewusst wurde, wie schwer beschnittene Frauen gebären. Bis dahin hatte sie gedacht, große Schmerzen seien normal.
Die 50-Jährige trägt ein gelbes Gewand und hat auf dem Kopf ein dazu passendes Tuch drapiert. Maimouna Mane hat drei Söhne, vier Mädchen und sechs Enkel. Ihre Mädchen wurden beschnitten aber ihre Enkelinnen bleiben unversehrt, erzählt die Frau:
Sie wurde mit 15 verheiratet, ihr Ehemann war zum Glück nicht sehr viel älter erzählt sie, er war damals etwa 20 Jahre alt. Wie die meisten Frauen in der Casamance spricht Maimouna Mane kein Französisch, obwohl das die offizielle Landessprache ist. Ihr Mann war immerhin damit einverstanden, dass sie lesen und schreiben lernen konnte.
Kinderhilfsorganisation unterstützt Sister Fas Tournee
Die Kinderhilfsorganisation World Vision unterstützt Sister Fas Tournee. World Vision hat in diesen Dörfern der Casamance fast 2000 Patenkinder, um die sich Aminata Diaw kümmert. Die 28-Jährige liest die Briefe der Paten vor und übersetzt sie. Sie ist selbst hier aufs Gymnasium gegangen.
"Das habe ich meinem Ehemann zu verdanken. Er hat mir das erlaubt und wollte, dass ich Erfolg habe. Auf dem Land gibt es wenig Mädchen, die das schaffen und wenig Ehemänner, die wollen, dass ihre Frauen außer Haus arbeiten gehen. Auch meine Eltern haben mich unterstützt. Aber wäre mein Ehemann nicht einverstanden gewesen, wäre ich eine ungebildete Frau – wie alle hier."
Aminata Diaw trägt einen grünen Schleier, der ihr Haar verdeckt. Ihr Mann ist Lehrer, 35 Jahre jung, sagt sie stolz. Die Senegalesin erzählt, dass auch sie beschnitten wurde.
"Wir sind alle beschnitten aber wir wollen, dass damit Schluss ist. Ich erinnere mich nicht an meine eigene Beschneidung, aber ich erinnere mich an die Beschneidung meiner kleinen Schwestern. An diesem Tag habe ich sehr geweint und ich hatte Angst."
Besonders freut sich Aminata Diaw, als der neue Unterpräfekt in seiner Rede am Nachmittag ganz klar sagt, dass Inzest, Vergewaltigung und Beschneidung nicht mehr geduldet werden.
Mehr als die Hälfte der 14 Millionen Einwohner Senegals ist unter 20. Die Kinder sind die Zukunft des Landes. Vielleicht ist ja ein künftiger Präsident unter den Schülerinnen und Schülern, die jetzt ausgelassen tanzen. Oder künftige Richterinnen und Präfekten, die Gesetze umsetzen. Dafür geht Sister Fa auf Tournee. Anlässlich der Konzerte nehmen sich die Kinder zumindest ein Recht: Das Recht auf Spiel und Spaß.
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