Diskussion beim "Russischen Theaterfrühling"

Repression und Widerstand im russischen Theater

Szene aus dem satirischen Stück "BerlusPutin" im Theater.doc in Moskau im Februar 2012
Auch bei der Diskussion dabei: die Gründerin des Moskauer Theater.doc - hier eine Moskauer Aufführung des satirischen Stücks des Theaters "BerlusPutin" © dpa / picture alliance / Maxim Shipenkov
Von André Mumot |
Umgeschriebene Stücke, gekündigte Mietverträge, Polizisten in den Aufführungen: Der Staat macht russischen Theatern das Leben schwer. Die wirklich interessanten Fragen aber konnten bei der Berliner Diskussion "Russisches Theater im Wandel" nicht gestellt werden. Dabei zeigt das Festival durchaus Sehenswertes.
"Wollt ihr das hier überhaupt hören? Interessiert euch das überhaupt?", fragt der Dramatiker und Theaterleiter Iwan Wyrypajew sichtlich echauffiert das Publikum während der Diskussion. Man weiß nicht so recht, wie man darauf reagieren soll. Im Studio der Berliner Schaubühne wird über "Russisches Theater im Wandel" diskutiert, aber so recht will kein echtes Gespräch zustande kommen. Die Fragen von Dramaturgin und Moderatorin Ruth Wyneken sind zu allgemein ("Wo verorten Sie sich künstlerisch?"), stoßen nur wenig an, und vor allem Wyrypajew ist von Anfang an genervt. Demonstrativ schaut er auf die Uhr, gähnt, schüttelt den Kopf, schnauzt die Simultanübersetzerin an, verdreht die Augen und verlässt schließlich das Podium vorzeitig.
Kein gutes Licht wirft das auf die Debattenkultur der Gäste, die doch eigentlich über ihre Erfahrungen mit den Repressalien sprechen sollten, die ihnen in Russland als kritische Theatermacher begegnen. Auch die gerade überaus erfolgreiche Autorin Sascha Denissowa verdreht angestrengt die Augen, bevor sie sich bereit findet, davon zu erzählen, dass sie unentwegt ihre Stücke umschreiben muss, weil sie angesichts sich ständig verändernder russischer Gesetze und Tabus nicht mehr zeitgemäß sind.
Eine vertane Chance für den "Russischen Theaterfrühling", das kleine Festival, das vom 1. bis zum 6. Juni an der Schaubühne und dem kleinen "Theater unterm Dach" fünf aktuelle Produktionen aus Russland zeigt, die politische Zustände bewusst anprangern und zugleich neue dramatische Formen ausprobieren. An diesem Abend ist erst einmal "Zwei in deinem Haus" vom freien "Theater.doc" zu sehen, geschrieben von seiner Gründerin, der anerkannten Autorin Elena Gremina.
Überraschend amüsantes, feingeschliffenes Theater
Erzählt wird die Geschichte eines feingeistigen Literaten, der sich in Weißrussland zum Präsidentschaftskandidaten aufstellen lassen will und prompt unter Hausarrest gestellt wird. Drei KGB-Schergen ziehen nun bei ihm und seiner Frau ein, verhindern, dass sie ans Telefon gehen und ihre Wohnung verlassen. Man nähert sich an, man geht sich auf die Nerven, man kämpft mit allen Mitteln.
Das Katz- und Mausspiel bietet überraschend amüsantes, feingeschliffenes Theater, das von großartiger Nuancenschauspielerei und klugen Motivverschiebungen getragen wird. Am Ende sind es die durchaus nicht unsympathischen KGBler, die von der furiosen Ehefrau "terrorisiert" werden und sich gegenseitig zu denunzieren beginnen. Dabei werden keine unbequemen Fragen ausgespart und die scheinbare Demokratie als Illusion benannt, an die ohnehin niemand glaubt. Zensur gäbe es offiziell seit 15 Jahren nicht mehr in Russland, erfährt man dann anschließend in der Diskussion -- solche klaren Aussagen sind auf den Bühnen also durchaus möglich. Die Regierung aber ist aufmerksam geworden auf die Umtriebe der Theater und beginnt immer spürbarer, den Gruppen Steine in den Weg zu legen.
Divenhafter Abgang
So berichtet Elena Gremina davon, wie ihrem Theater im Dezember 2014 überraschend der Mietvertrag gekündigt wurde. Nachdem sie nun ein neues Haus gefunden und renoviert hat, ist dem "Theater. Doc" erst vor wenigen Tagen auch diese Spielstätte wegen angeblicher baulicher Mängel geschlossen worden. Ein Dorn im Auge der Behörden ist vor allem Greminas Arbeit mit Angehörigen der 2012 auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau verhafteten Demonstranten, wohingegen eine Putin-Satire bereits als Teil des Kultes um das autoritäre Staatsoberhaupt angesehen werde und weitgehend amüsiert hingenommen würde. Trotzdem: Polizisten seien in jeder Aufführung im Publikum zu sehen und auch Vorladungen zur Staatsanwaltschaft an der Tagesordnung.
Gern hätte man an dieser Stelle nachgefragt, hätte mehr erfahren über die Möglichkeiten der - offenkundig hoch motivierten und kampfesbereiten - Theatermacher, sich den Gängeleien entgegenzustellen. Spätestens nach Wyrypajews divenhaftem Abgang aber ist die Diskussion nicht mehr zu retten. Die Regisseure Juri Murawatski und Talgat Batalow dürfen noch kurz einige Details über die Möglichkeiten von Straßentheater und Stand-Up-Comedy über Einwandererproblematiken einwerfen. Doch bevor irgendwelche Fragen aus dem Publikum gestellt werden können, wird die Veranstaltung abgebrochen und das Publikum verlässt achselzuckend den Saal. Immerhin bleibt in Erinnerung, wie Elena Gremina die Sache so zusammenfasst: "Wenn man die Wirklichkeit schon nicht ändern kann, dann muss man sie wenigstens bezeugen."
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