Wo spielt in Zukunft die Musik?
Digitale Medien verändern den Umgang mit der Musik. In der Diskussion im Hamburger Körber-Forum, in der Nähe des Elbphilharmonie-Neubaus, ging es um Kompositionen für und mit Tabletcomputern. Außerdem gewannen die Besucher einen Einblick in das größte digitale Orchester der Welt.
"Welche Rolle sollen und werden digitale Instrumente spielen im Musikleben? Sind sie eher eine Ergänzung oder gar eine Konkurrenz zu den uns bekannten akustischen Instrumenten? Und welche Rolle spielen sie im Erlernen, in der Pädagogik? Und birgt letztlich die digitale Revolution die Möglichkeit, das klassische Musikleben zu demokratisieren?"
Solche spannenden Fragen stellte Moderator Axel Petri-Preis gestern zu Beginn des Abends. Um sie zu beantworten, hatte die Körberstiftung drei Experten eingeladen.
Der Komponist und Informatiker Thomas Hummel – seit 1994 Klangregisseur beim Experimentalstudio des SWR in Freiburg – präsentierte einen kurzen Ausschnitt aus seinem Stück Sinaida. Sechs reale Musiker aus Fleisch und Blut spielen dort gemeinsam mit einem virtuellen Orchester, das aus den Boxen tönt. Die Klänge dieses ePlayer-Orchesters generiert der Komponist aus seiner eigenen, riesigen Datenbank – sie gehe weit über das Angebot älterer Programme hinaus, wie Hummel betont. Früher habe man pro Instrument, wenn überhaupt, nur zwischen wenigen Klangfarben wählen können.
"Da ist der Unterschied, dass wir für 158 Orchesterinstrumente teilweise mehrere hundert Klangfarben gesamplet haben."
Faszinierend breites Klangspektrum
In jahrelanger Friemelarbeit hat Thomas Hummel diese Klangsamples zusammen getragen und in einer Datenbank minutiös beschriftet und geordnet. Sein Programm umfasst 86.000 verschiedene Klänge – vom einfachen Klavierton über Kontrafagott mit Flatterzunge und Nebenluft bis zum Fingerknöchelklopfen am Saitenhalter der Geige. Dieses Programm namens con timbre, das auch käuflich zu erwerben ist, gilt als das größte digitale Orchester der Welt – und eröffnet ganz neue Perspektiven. Gerade für die vielen Komponisten wie Hummel selbst, deren Werke nicht oder selten von realen Orchestern aufgeführt werden.
"Dann gibt dieses System die Möglichkeit zu sagen, ich kann es trotzdem machen. Ich kann es sogar abends und zu Hause, ich habe dieses Orchester 24 Stunden lang sieben Tage die Woche zur Verfügung."
Trotz des faszinierend breiten Klangspektrums sieht Thomas Hummel sein virtuelles Ensemble nicht als gleichwertigen Ersatz für das Original.
"Wenn ich ein reales Orchester gehabt hätte, hätte ich das immer vorgezogen. Und ich hätte auch darauf verzichtet, dass die Musiker sich von der Klarinette in die Kontrabassposaune verwandeln können, wenn ich das reale Orchester gehabt hätte."
Thomas Hummel, Jahrgang 1962, ist ein Wissenschaftler, Forscher und Sammler, der die Möglichkeiten des virtuellen Orchesters seit Jahrzehnten systematisch erweitert. Matthias Krebs und Marc Godau vom DigiEnsemble_duo Berlin sind eine knappe Generation jünger. Sie haben einen anderen, spielerischen Zugang zu den neuen Medien, die für sie vielleicht etwas weniger neu sind und machen Musik mit Tablet-Computern und Smartphones.
Die Idee zur Gründung eines Hosentaschen-Ensembles stammt von Matthias Krebs, studierter Opernsänger und Lehrbeauftragter für Musikpädagogik. Im Rahmen eines Projekts an der Universität der Künste in Berlin hatte Krebs im Jahr 2009 eher zufällig 15 iPod-Touch-Geräte zur Verfügung und testete deren Anwendungen aus.
"Und dabei bin ich auch auf diese Apps gestoßen, mit denen man Musik zu machen schien. Das waren kleine Tastaturen, mit denen man Klaviere oder Katzengeräusche oder Furzgeräusche abspielen konnte, aber auch ne Reihe von spannenden Musik-Apps, die dieses Interface, den grafischen Bildschirm nochmal ganz anders nutzen."
Matthias Krebs verteilte die 15 iPods an professionelle Musiker aus den unterschiedlichsten Bereichen, vom Heavy-Metal-Gitarristen bis zum Kirchenmusiker und gründete das DigiEnsemble Berlin. Die Mitglieder treffen sich zum gemeinsamen Proben und Experimentieren und nutzen dafür ausschließlich Apps, die für jeden frei zugänglich sind. Wie so ein digitales Zusammenspiel klingen kann, demonstrierten Matthias Krebs und Marc Godau gestern mit einer eigenen Fassung des berühmten Pachelbel-Kanons.
Apps erleichtern den Zugang zum kreativen Spiel
Ein ziemlich schräges Bild: Zwei Männer im Anzug drücken und wischen versunken auf ihren Tabletcomputern herum, der eine schwingt dazu seinen Arm, um über einen Sensor die Lautstärke zu regeln. Sieht so das Ensemblespiel der Zukunft aus? In der Schule vielleicht schon. Jedenfalls haben Matthias Krebs und Marc Godau bereits einige pädagogische Erfolge erzielt. Da der Umgang mit Tabletcomputern und Smartphones für viele junge Menschen ganz selbstverständlich ist, ist die Hemmschwelle zum Musik machen ganz niedrig. Anders als bei den traditionellen Instrumenten kann man mit vielen Programmen ziemlich schnell ganz angenehme Klänge produzieren, ohne erst mühsam motorische Fähigkeiten zu trainieren, wie Marc Godau erklärt.
"Also wir müssen nicht erst überlegen, wie hältst du jetzt das Instrument richtig, und der Schmerz muss sein, halte durch, in vier Jahren ist es weg – nein, dass wir ab der ersten Stunde darüber reden können: Ist das gelungen?"
Die neuen Medien bescheren uns fraglos viele Möglichkeiten – nicht nur für professionelle Komponisten, die ein virtuelles Orchester brauchen, sondern auch für Einsteiger. Die meisten Apps erleichtern den Zugang zum kreativen Spiel, eine Demokratisierung der Musik ist also durchaus wahrscheinlich. Doch der Prozess birgt auch Gefahren: Wenn es so einfach ist, mit ein paar Berührungen auf dem Touchscreen Musik zu machen, könnte die Bereitschaft, ein Instrument wirklich zu lernen, in Zukunft deutlich abnehmen.
Durch die Vorauswahl von passenden Akkordverbindungen schränken manche Programme die Kreativität eher ein als dass sie sie fördern. Außerdem kappen virtuelle Instrumente die Verbindung zum sinnlichen Erlebnis eines echten Instruments mit seinem Körper und den spürbaren Schwingungen. All das kam aber gestern nicht zur Sprache. Natürlich ist es spannend, über die neuen Möglichkeiten der neuen Medien zu staunen – aber ganz ohne Kritik wird man dem Thema kaum gerecht.