Diskussion um Bildungsstudie

"Was zählt, ist der gute Unterricht"

Ein Schulkind liegt niedergeschlagen auf seiner Schulbank.
In Mathe sind die Grundschüler seit 2011 schlechter geworden. © imago/Thomas Eisenhuth
Felicitas Thiel im Gespräch mit Katrin Heise |
Deutsch und Mathe mangelhaft, das ist das Ergebnis des aktuellen Bildungsmonitorings in Grundschulen. Die Interpretation, dass daran die Kinder mit Migrationshintergrund Schuld seien, hält Bildungsexpertin Felicitas Thiel allerdings für verfrüht.
Das aktuelle Bildungsmonitoring des Berliner Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) sei eine Wasserstandsmeldung, nun müsse die Analyse folgen, fordert die Professorin für Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung an der FU Berlin, Felicitas Thiel. Überall sei nun zu hören, dass die Kinder mit Migrationshintergrund das Problem seien, so Thiel. "Ich finde, das ist eine völlig unzulässige Interpretation. Das wissen wir nicht. Wir wissen sogar, dass Kinder mit Migrationshintergrund sehr zufrieden sind, teilweise motivierter als Kinder ohne Zuwanderungshintergrund. Insofern ist das ein absoluter Schnellschuss, da braucht man Analysen."

Rückschritte sind "alarmierend"

Die am Freitag von der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgestellt Studie hatte ergeben: Der Anteil der Kinder, die die Regelstandards im Bereich Orthografie erreichen oder übertreffen, sank zwischen 2011 und 2016 von 65 auf 55 Prozent. In Mathematik fiel dieser Anteil von 68 auf 62 Prozent. Auch im Bereich Zuhören, der in das Fach Deutsch fällt, gab es eine negative Entwicklung.
Die Rückschritte in Mathe, Zuhören und Orthographie seien "alarmierend", so Thiel. "Wir sollten aber nicht vergessen, dass die Ergebnisse im Bereich Lesen stabil geblieben sind und das trotz höherer Beteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund. Genau da haben wir in den letzten Jahren investiert und gute Programme implementiert."

Forderung nach genauer Diagnostik und einer Strategie

Beim Umgang mit der zunehmenden Heterogenität in den Schulklassen bedarf es einer besseren Diagnostik und besserer Materialien, fordert Thiel. "Die Lehrpersonen müssen genau wissen, wo stehen die Kinder, und dann brauchen sie Materialen, mit denen sie die Kinder erreichen können, die einen ganz spezifischen Förderbedarf haben." Da brauche es auch Initiativen mit Verlagen, um auf der Grundlage von Forschung von Wissenschaft genau solche Materialien herzustellen. "So eine Strategie fehlt mir bislang im Umgang mit Heterogenität", so Thiel. Das betreffe vor allem die Mathematik.
Auch die Wissenschaft habe erst in den letzten Jahren den Blick von Strukturreformen auf den Unterricht gerichtet. "Ich habe den Eindruck, dass wir jetzt auch an einem Wendepunkt stehen, wo wir bereits sind, die ideologischen Fronten ein bisschen zu verlassen und uns auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt, nämlich der gute Unterricht."
(uz)
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