Christian Uhle ist Philosoph und lebt in Berlin. Zu seinen Themen gehören die Frage nach dem Sinn des Lebens, der digitale Wandel und die Zukunft von Mobilität. Hierzu hat er in öffentlich geförderten Projekten geforscht und entwickelt seine philosophischen Perspektiven in Publikationen und Vorträgen. Weitere Infos auf www.christian-uhle.de.
Platz da, hier komm ich!
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Mit harten Bandagen kämpfen Autofahrer, Radler und Fußgänger bereits jetzt um Raum auf Deutschlands Straßen. Und da sollen auch noch E-Scooter dazukommen? Der Philosoph Christian Uhle ist skeptisch: "Wir müssen Mobilität ganz anders denken."
Es war eine seltsame Idee: Der deutschlandweite Hype um Tretroller hatte gerade ein jähes Ende genommen, da wurde auf der Fachmesse Ispo im Jahr 2001 eine "bizarre Innovation" vorgestellt. Mit dieser Wortwahl berichtete ein "Spiegel"-Redakteur über elektrisch motorisierte Kleinstroller.
Achtzehn Jahre später sind E-Tretroller zu einem weltweiten Milliardengeschäft herangewachsen. Vor allem im digitalen Sharing-Modell sollen sie für Fahrspaß und Profite sorgen. Abgerechnet werden Minutenpreise von circa fünfzehn Cent oder ganze Monatsabos. Laut Anbietern könnten die bis zu 20 km/h schnellen Bretter insbesondere die letzte Meile überbrücken, also den Weg von der Haltestelle zur Haustür. So werde es einfacher, auf das eigene Auto zu verzichten. Die Zielgruppe sind vor allem junge Menschen. Gerade für sie wäre es körperlich allerdings kein Problem, ganz normale Tretroller zu benutzen. Die gibt es längst – ohne Batterieproduktion und Elektroschrott im Gepäck. Warum also die Aufregung um die elektrisch betriebenen Tretroller?
E-Tretroller versprechen hippe individuelle Mobilität
Es sind eben keine praktischen Erwägungen, die Nutzer begeistern, sondern das Versprechen hipper Mobilität. Der Elektroscooter passt hervorragend in das Narrativ des modernen und dynamischen Großstädters. Solche Erzählungen von Geschwindigkeit, Agilität und Fahrspaß klingen attraktiv, sie erschweren jedoch einen echten Wandel im Stadtverkehr. Mit dem Auto, Fahrrad oder Elektroscooter sind vor allem individualistische Aspekte von Mobilität verbunden: Egal, ob es um Status geht, um physische Potenz, jugendliche Beweglichkeit oder einen gesunden Lebensstil: Das Ich steht im Mittelpunkt.
Zukunftsmobilität braucht neue Erzählungen
Dieser Fokus auf den einzelnen Verkehrsteilnehmer befeuert auch einen aggressiv ausgefochtenen Verteilungskampf. Auf der Straße ringen Individuen um Vorfahrt, um das Recht des Stärkeren, Schnelleren und Waghalsigeren. Da ist es kein Wunder, wenn die Diskussion um Elektro-Tretroller heftig geführt wird. Nicht nur steigt die Unfallgefahr durch die Mischung verschiedener Verkehrsträger auf einer Spur. Auch wird es immer enger auf den Straßen.
Grund für den entstehenden Verdrängungswettbewerb ist die häufige Annahme: Wir würden automatisch auf den privaten Pkw verzichten, wenn es nur genügend Alternativen gäbe. Das ist nicht der Fall. Mehr Vehikel sind erst einmal mehr Vehikel. Selbst der große Hoffnungsträger Carsharing bedeutet zunächst mehr Autos und weniger Platz. Damit Angebote wie diese tatsächlich zu einer besseren Mobilitätszukunft beitragen, müssen wir mit dem Eintritt ins Neue auch das Alte hinter uns lassen.
Mobilität als Gemeinschaftsprojekt begreifen
Ein solcher Wandel bedarf neben gesetzlichen Rahmenbedingungen auch neuer Erzählungen. Wirklich aufregend wird die Mobilität von Morgen, wenn dir und mir nicht nur abgefahrene Angebote zur Verfügung stehen, sondern wir gemeinsam in einer lebenswerteren Stadt leben – mit geteilter Mobilität und dadurch weniger Verkehr. Neue Technologien können dabei unterstützen, entscheidender ist jedoch der Mut zu strukturellen Innovationen. Ein Patentrezept wird es nicht geben, aber regionale Lösungen. Diese können auf neue Aufteilungen von Straßen abzielen, den Ausbau des Nahverkehrs oder autofreie Zonen.
Fazit: Verkehr bringt uns nicht nur individuell von A nach B, sondern strukturiert ganz wesentlich auch die Räume, in denen wir gemeinsam leben. Wir sollten Mobilität stärker als Gesamtsystem begreifen und empfinden, dann könnte auch das tägliche Ringen auf der Straße einem Miteinander weichen – inklusive Elektro-Tretrollern.