Verfassungsrechtler Wißmann

Impfpflicht ist juristisch denkbar

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Ein gelbes, zerkratztes Hinweisschild mit der Aufschrift "Impfpflicht" vor einer rosa Kachelwand.
Wo geht es lang? Kommt die Impfpflicht? Und ist sie aus juristischer Sicht denkbar? © picture alliance / SULUPRESS.DE / Torsten Sukrow
Hinnerk Wißmann im Gespräch mit Axel Rahmlow |
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Die Diskussion um die Impfpflicht nimmt Fahrt auf. Doch ist eine Pflicht aus juristischer Sicht überhaupt denkbar? Ja, meint Staats- und Verfassungsrechtler Hinnerk Wißmann. Jedes Grundrecht sei einschränkbar, wenn es um die Grundrechte anderer gehe.
"Impfpflicht ist eine bekannte Rechtspflicht", sagt Hinnerk Wißmann. Es habe sie historisch gegeben und gebe sie für bestimmte Gruppen auch aktuell€. Die Voraussetzungen dafür müssten allerdings stimmen, "die Impfpflicht muss etwas nützen", sagt Wißmann. Er sieht grundsätzlich "ganz gute Indikatoren, dass die Impfung einen Unterschied macht".
Richtig sei allerdings auch, dass eine Impfpflicht ein schwerer Eingriff in die Grundrechte sei. Sie komme daher nur in Betracht, "wenn anderes nicht genügend hilft".
Gleichwohl sei das Recht auf körperliche Unversehrtheit kein "Supergrundrecht". Auch die körperliche Unversehrtheit könnne eingeschränkt werden, "wenn dadurch in der Bilanz mehr Freiheit gewahrt bleibt".

"Eine Impfpflicht steht dem freiheitlichen Verfassungsstaat durchaus zu Gebot", so Wißmann. Jedes Grundrecht sei einschränkbar, wenn es auch um die Grundrechte anderer gehe.

So könnten neben einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit auch andere Dinge sehr belastend sein: Schüler, die nicht mehr in die Schule gehen können oder Gewerbebetriebe, die Pleite gehen: "Das sind auch Grundrechtsverletzungen", sagt der Münsteraner Jurist.

Impfpflicht sollte Rechtspflicht sein, nicht Zwang

Die Impfflicht könne womöglich sogar helfen, Geimpfte und Ungeimpfte zu versöhnen, meint Wißmann: „Wenn wir über eine Impfpflicht vernünftig diskutieren, gehen wir weg von dem 'die' und 'wir', die Geimpften und die Ungeimpften." An die Stelle trete dann die Einsicht, dass die Bürgerinnnen und Bürger in einem gemeinsamen Staatswesen gemeinsame Rechte und Pflichten haben wollten.

"Das gehört zu einer Situation, in der wir keine Alternative mehr haben, zu dem, was wir uns wechselseitig zumuten können."

Er befürworte jedoch keineswegs einen praktischen Impfzwang, betont Wißmann. Die Impfpflicht solle lediglich Rechtspflicht sein. "Wenn wir uns nicht dran halten, wird das sanktioniert, zum Beispiel mit Ordnungsgeldern."
Womöglich ließe sich sogar der "Rechtsbefolgungswillen" nutzen, um Menschen bei der Entscheidung für eine Impfung zu entlasten. Harte Staatsgegner werden man so jedoch nicht überzeugen.
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