"Ein Leugnen und Verdrehen dessen, was passiert ist"
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Die Literaturwissenschaftlerin Alida Bremer appelliert, Peter Handke im Kontext zu lesen. Dann würde deutlich: Er hat den Genozid von Srebrenica relativiert.
Alida Bremer sagt, sie erstaune, dass man die Stimmen der Jüngeren, die aus dem ehemaligen Jugoslawien kommen, wie Saša Staničić, Jagoda Marinić und Aleksandar Hemon, nicht richtig wahrnehme. "Die kennen sich tatsächlich besser aus als Kenner der Handke-Literatur, da sie den Background haben und so den Kontext besser kennen. Und dann war meine Idee, man muss die Texte im Kontext lesen."
Alida Bremer hat sich online auf die Spur der Handke-Texte begeben. Die Universität Graz dokumentiert auf einer Internetseite sämtliche Texte und Interviews Handkes. In der Rubrik "Gespräche und Interviews" ist Bremer auf ein Interview aus dem Jahr 2011 gestoßen, in dem es um "Ketzerbriefe" geht. Laut Bremer handelt es sich dabei um eine Zeitschrift aus einer "sehr skurrilen, extremistischen Ecke aus einem im rechten Spektrum angesiedelten Verlag".
Handke ist fest überzeugt von seiner Wahrheit
In diesem Text revidiere Handke alles zu Srebrenica Gesagte in einer "drastischen Art". Dafür führt sie ein Handke-Zitate an: "Jetzt wird überall von 8000 Toten geredet, aber das kann nicht sein. Ich schätze zwischen 2000 und 4000 Tote." Für Bremer ist das ein Feilschen mit Zahlen von Toten, was 2011, nachdem alle Prozesse beendet waren, "sehr merkwürdig" klingt.
"Er verhöhnt die Mütter von Srebrenica", erklärt Bremer. "An einer Stelle sagt er sehr hässlich über die getöteten Muslime, denen er unterstellt, dass sie alle Soldaten und keine zivilen Opfer waren: 'Vielleicht wussten die muslimischen Soldaten auch gar nicht, was sie da tun und wollten einfach nur Heim zu Mama.'"
Handke sei fest davon überzeugt gewesen, auf der Spur einer Wahrheit zu sein. "Dass er der einzige ist, der das verstanden hat", so Bremer, "dass nur er weiß, wie die Sache im ehemaligen Jugoslawien wirklich ist. Ich glaube, dass er das wirklich alles glaubt."
Bremer betont, dass Handke alle seine Aussagen zu Srebrenica in seinen Büchern wiederhole. In "Der sommerliche Nachtrag zu einer winterlichen Reise" besucht er Srebrenica und beschreibt diesen Besuch. "Aber eigentlich sagt er mit anderen, poetischen Worten in einer hoch angesiedelten Sprache immer wieder das gleiche. Die ganze Schrift ist ein Leugnen, Verdrehen und Umdrehen dessen, was passiert ist."
Dass Handke-Liebhaber wie Eugen Ruge und Thomas Melle nicht bereit seien, bestimmte Dinge zu sehen, findet Alida Bremer merkwürdig.
"Wieso ist er so sicher?"
Peter Handke war ein Kritiker des Nationalsozialismus, hat familiäre Bezüge, deshalb könne man ihn nicht einfach als nur rechts bezeichnen, argumentiert Bremer. "Aber er bedient sich eines Spektrums der Kritik an Informationen, Berichterstattung und Justiz, wie sich alle Extremisten bedienen."
Laut Bremer hat Handke dem verurteilten Kriegsverbrecher im Bosnien-Krieg, Novislav Djajic, ein Theaterstück gewidmet, überzeugt von dessen Unschuld. Und dieser Mann sei später eine Ikone der Neuen Rechten geworden. "Wieso ist Handke so sicher, dass er es besser weiß als die Münchner Richter, Anwälte und Staatsanwälte und Den Haager Staatsanwälte?"
In ihrem Essay "Die Spur des Irrläufers", vom 25. Oktober 2019 fürs Online-Kulturmagazin "Perlentaucher" schreibt Alida Bremer:
"Man soll Peter Handke bitte genau lesen, sagen Eugen Ruge und Thomas Melle. Gut, dann sei er hier nochmal gelesen und in den Kontext gestellt. Vielleicht schauen die Handke-Verfechter dann auch mal aus ihrer Lektüre auf und nehmen die Fakten zur Kenntnis. Handke idolisierte die gleichen rechtsextremen Kriegsverbrecher wie später Andres Breivik und Brenton Tarrant. In einer extremistischen Postille relativierte Handke noch im Jahr 2011 den Genozid von Srebrenica."
(mfied)