"Sympathische Überflüssigkeitskonstruktion"
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Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen scheidet aus dem Amt. Wird es an seiner Stelle einen SED-Opferbeauftragten geben? Zwei Wochen vor Roland Jahns Abschied ist das noch unklar. Manche meinen sogar, es brauche keine solche Ansprechperson.
"Was mich persönlich verletzt hat, ist nicht die Verurteilung zu vier Jahren Gefängnis. Sondern in der Haft, bei der Stasi geschlagen zu werden, sich nicht wehren zu können. Das sind Verletzungen, die wirken nach."
Erzählt Dieter Dombrowski, der Vorsitzende der "Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft". Wegen eines gescheiterten Fluchtversuchs wurde er im August 1974 in Cottbus inhaftiert. Ein Jahr später hat ihn die Bundesrepublik freigekauft.
Panikattacken und Schlafstörungen
Andere aber haben viel größere Qualen erlitten, wurden durch die Staatssicherheit zersetzt, systematisch diskreditiert, indem Misstrauen und Verdächtigungen gestreut wurden, ergänzt Dombrowski. Und an den Folgen - wie beispielsweise Panikattacken oder Schlafstörungen – leiden sie bis heute. "Und diese Dinge, die belasten Menschen und erwecken immer wieder Erinnerungen an das, was schon überstanden geglaubt war."
Der frühere Brandenburger CDU-Landtagsangeordnete Dombrowski betont daher, wie wichtig ein Bundesbeauftragter für die Opfer der SED-Diktatur auch künftig sei. Doch wer es werden soll, darum wird hinter den Kulissen heftig gestritten.
Der bisherige Leiter der Stasiunterlagenbehörde Roland Jahn soll am 17. Juni – so steht es im Gesetz - durch einen oder auch eine SED-Opferbeauftragte ersetzt werden. Gewählt durch den Bundestag. Doch bis jetzt konnte sich die Große Koalition im Bundestag auf keinen Namen verständigen.
Es gäbe einen Kandidaten
Ein Kandidat, der beim CDU-Mitglied Dombrowski, aber auch bei Landesbeauftragten auf Zustimmung stößt: Jes Möller, der Vorsitzende Richter am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Ein früherer Bürgerrechtler. Und: Von 2012 bis 2019 war er sieben Jahre lang Präsident des Landesverfassungsgerichts in Brandenburg.
"Er hat auch bei unseren Opferverbänden ein hohes Verständnis. Ich habe mich da auch sehr gefreut, dass es bei dem Mitgefühl nicht geblieben ist, sondern dass auch Urteile des Verfassungsgerichts in Brandenburg, die SED-Opfer gestärkt haben."
Der heute 59-jährige Jes Möller hat sich zu DDR-Zeiten in der kirchlichen Umweltbewegung engagiert und damals bewusst Nachteile in Kauf genommen.
Später war Jes Möller Abgeordneter der SDP – wie die Ost-SPD damals hieß – in der ersten frei gewählten DDR-Volkskammer, studierte dann Jura an der FU Berlin, um im rasanten Tempo die Karriere eines Top-Juristen einzuschlagen.
Ein Ombudsmann, der immer ansprechbar ist
Eine Personalie, für die sich auch Theologe und SPD-Mitglied Markus Meckel stark macht. Er war der letzte Außenminister der ersten freigewählten DDR-Regierung. Aktuell ist er der Vorsitzende des Stiftungsrates der "Stiftung Aufarbeitung" und sagt:
"Und es geht natürlich jetzt wirklich darum, einen Opferbeauftragten zu finden, der nicht in seinem Selbstverständnis ein allgemeiner Aufarbeitungsbeauftragter ist. Hier macht es Sinn, einen Ombudsmann zu haben, der für die Öffentlichkeit ansprechbar ist, aber eben auch für das einzelne Opfer. Der sich auch hinter einen Fall klemmen kann, der Rechtsprüfungen machen kann. Und sagt, hier haben wir Defizite in unserem Rehabilitationsverfahren, hier haben wir Opfergruppen, die bisher nicht berücksichtigt sind."
Die CDU und der scheidende Stasi-Beauftragte Roland Jahn wollen dagegen Uwe Schwabe, Mitarbeiter im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, ins Rennen schicken. Gerüchte, dass er – aufgrund des Personalgerangels hinter den Kulissen – nicht mehr zur Verfügung stehe, will Schwabe weder dementieren noch bestätigen.
Nicht alle wollen einen Opferbeauftragten
Die brandenburgische Landesbeauftragte Maria Nooke unterstützt dagegen die Bürgerrechtlerin und Mitgründerin des Neuen Forums Petra Morawe. Die frühere Referentin für Grundsatzfragen bei der Brandenburger Landesbeauftragten habe eine fundierte Kenntnis der Anliegen von Opfern der SED-Diktatur, sagt Nooke.
"Das betrifft zum Beispiel die Anerkennung von Gesundheitsschäden, das betrifft Fragen, wie Rehabilitierungsgesetze angewendet werden." Würde man sie fragen, dann würde sie den Job machen, so Petra Morawe am Telefon.
Die Schaffung eines SED-Opferbeauftragten im Bund stößt jedoch nicht überall auf Zustimmung. Für Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, einst Mitglied der Bundestags-Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur" und langjähriger Projektleiter in der Forschungsabteilung der Jahn-Behörde, ist der "Job vollkommen überflüssig" und sei das "Ergebnis eines Kompensationsgeschäftes, um die Opferverbände für die Abwicklung der Stasiunterlagenbehörde zu gewinnen".
Hat ein überparteilicher Kandidat eine Chance?
Etwas weniger drastisch formuliert es Lutz Rathenow, Lyriker und DDR-Oppositioneller, dessen Stasi-Akte 15.000 Seiten umfasst. Bis Anfang des Jahres war er der sächsische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
"Eigentlich ist der neue Opferbeauftragte eher eine sympathische Überflüssigkeitskonstruktion. Die Landesbeauftragten werden sowieso die meiste Arbeit ganz praktisch weitermachen müssen. Insofern wird es mit der Installierung von ihm, viele Erwartungen geben, die nicht erfüllt werden können."
Nichtsdestotrotz kann sich auch Lutz Rathenow Jes Möller als SED-Opferbeauftragten beim Bund vorstellen. Einzige Bedingung: Dieser müsse für seine Dienstzeit die Parteimitgliedschaft ruhen lassen. Jes Möller stehe bereit, sagt er. Doch ob er im Bundestag als überparteilicher Kandidat eine Chance hat, ist unklar.
Alles bleibt weiter unklar
Warum die Große Koalition bis jetzt keinen gemeinsamen Kandidaten präsentiert, obwohl man bereits im Januar darüber entscheiden wollte – bleibt ebenso unklar. Sowohl die sachsen-anhaltischen SPD-Bundestagsabgeordnete Katrin Budde, Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, wie auch ihr Stellvertreter Johannes Selle, CDU, haben auf Nachfragen nicht reagiert.
Ob man noch bis zum 17. Juni einen Opferbeauftragten findet, ist höchst ungewiss. Im Hintergrund heißt es, wenn es zwischen der Union und SPD keine Einigung gebe, dann könne es keine Besetzung geben.
Lutz Rathenow ist einigermaßen ernüchtert über das Vorgehen der Berliner Großen Koalition, nennt es ein "Trauerspiel" und fügt hinzu: "Dieses Amt wird beschädigt, bevor es überhaupt installiert ist."