"Menschenhandel ist nicht Prostitution"
Prostitution sei eine Dienstleistung, Menschenhandel eine Straftat, sagt die Sozialarbeiterin Babette Rohner. Von einem generellen Verbot von Prostitution hält sie nichts. Stattdessen müssten die Arbeitsbedingungen der Frauen verbessert werden.
Liane von Billerbeck: Alice Schwarzer hat mit ihrem neuen Buch eine Debatte in Deutschland befeuert. Diskutiert wird die Frage: Sollte man die 2002 legalisierte Prostitution doch wieder gesetzlich verbieten? Deutschland hat ja eines der liberalsten Prostitutionsgesetze Europas, die Zwangsprostitution allerdings, die fällt nicht darunter, sie ist ein Straftatbestand und auch weiterhin hier verboten. Weil aber beides in der aktuellen Debatte immer wieder gern vermischt wird, wollen wir heute darüber reden mit Babette Rohner.
Sie ist Sozialarbeiterin beim Projekt Ban Ying, das ist ein Ausdruck, der aus dem Thailändischen kommt und heißt "Haus der Frauen". Der Verein Ban Ying hat eine Zufluchtswohnung für Frauen aus Südostasien und eine Beratungs- und Koordinationsstelle gegen Menschenhandel, beide Projekte werden von der Senatsfrauenverwaltung in Berlin unterstützt. Frau Rohner ist jetzt bei uns im Studio, herzlich willkommen!
Babette Rohner: Guten Tag!
von Billerbeck: Gibt es denn aus Ihrer Erfahrung einen Zusammenhang zwischen Legalisierung der Prostitution als Arbeitsvertrag für die Prostituierten und Zwangsprostitution?
Rohner: Nach unserer Erfahrung gibt es da überhaupt keinen Zusammenhang, sondern es ist eher umgekehrt, dass diejenigen, die sowieso gegen Prostitution sind, gerne das Argument des Menschenhandels benutzen, um besser bewaffnet zu sein, um die Prostitution abzuschaffen. Die Prostitution ist eine in der Zwischenzeit oder schon lange legale Berufstätigkeit. Da kann man dafür oder dagegen sein, ob dieser Beruf ein schöner Beruf ist, aber es ist eben eine Berufstätigkeit, es ist eine Dienstleistung. Menschenhandel ist eine Straftat, die eben ganz klar geahndet wird im Strafgesetzbuch. Und das muss auseinandergehalten werden. Es geht um die Arbeitsbedingungen, und wenn die eben ein bestimmtes Maß an Ausbeutung und Entzug von Freiheitsrechten beinhaltet, dann ist es Menschenhandel. Das kann in der Prostitution passieren, aber Menschenhandel ist nicht Prostitution.
von Billerbeck: Bleiben wir mal bei der Zwangsprostitution, denn das ist ja unser Thema in dieser Debatte jetzt. Was passiert mit einer Frau, die unter Zwang nach Deutschland gebracht wird, um hier als Prostituierte zu arbeiten, und das aber gar nicht will?
Rohner: Die meisten Frauen, mit denen ich bisher gesprochen habe, die Betroffene von Menschenhandel sind, die sind freiwillig nach Deutschland gekommen. Worüber sie getäuscht wurden, waren die Arbeitsbedingungen.
von Billerbeck: Das heißt, was ist ihnen vorher gesagt worden?
Rohner: Dass sie zum Beispiel als Prostituierte arbeiten, das wussten viele von ihnen. Einige von ihnen haben auch in ihrem Herkunftsland schon als Prostituierte gearbeitet, das war also gar nicht das Thema. Aber die Arbeitsbedingungen wurden ihnen eben so beschrieben, dass sie viel verdienen, dass sie sich ihre Freier selbst aussuchen können, dass sie über die Sexualpraktiken selbst entscheiden können, dass sie also selbstbestimmt arbeiten können. Und das ändert sich dann schlagartig, wenn sie in Deutschland sind. Ihnen wird der Lohn abgenommen, sie dürfen keine Freier ablehnen, sie dürfen keine Sexualpraktiken ablehnen. Es kann passieren, dass sie dann eingesperrt werden, misshandelt, vergewaltigt und geschlagen werden, das sind dann die Straftatbestände.
von Billerbeck: Nun ist ja beides verboten, Menschenhandel und auch Zwangsprostitution als Teil dieses Menschenhandels in Deutschland. Warum wird denn dieses Verbot nicht durchgesetzt?
Rohner: Das hat ganz viele verschiedene Ursachen. Und weil das so komplex ist, glaube ich, wird das auch gerne so viel durcheinandergebracht. Das eine ist, dass es ganz schwer ist, Menschenhandel nachzuweisen. Und das ist bis heute so. Es ist eben eine Straftat und es ist eine Zeugin, mindestens eine Zeugin ist notwendig, damit eben der Beweis erbracht wird, dass es sich um Menschenhandel handelt. Die Betroffenen von Menschenhandel sind eben sehr selten bereit, als Zeuge aufzutreten, weil ihnen von deutscher Seite sehr wenig entgegengebracht wird, um sie zu schützen. Aber selbst, wenn sie als Zeugin aussagen, geht es immer noch um ihre Glaubwürdigkeit.
von Billerbeck: Einer Prostituierten glaubt man nicht?
Rohner: Zumindest ist das die Strategie vonseiten der Menschenhändler, dass gesagt wird, sie hat es freiwillig getan, sie wollte damit ihren Drogenkonsum finanzieren, sie wusste, worauf sie sich einlässt, sie übertreibt sowieso, das stimmt alles nicht. Und deswegen geht es eben in diesen Prozessen immer um die Glaubwürdigkeit. Und oft steht einfach Aussage gegen Aussage und wir haben in Deutschland den Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten.
Und deswegen gibt es viele Freisprüche, viele Einstellungen oder zum Teil auch nur sehr geringe Urteile, dann zwei Jahre auf Bewährung, was dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Betroffener widerspricht, und sich deswegen auch so die Haltung breitmacht, es hat sowieso keinen Sinn auszusagen, denn die Täter werden nicht verurteilt, stattdessen bringe ich mich selbst und möglicherweise auch meine Familie im Herkunftsland in Gefahr, und dann halte ich lieber meine Klappe.
von Billerbeck: Nun steht im Entwurf des Koalitionsvertrags ja drin, dass genau auf diese Zeugenschaft als Beweismittel für Menschenhandel möglicherweise verzichtet werden soll oder kann. Wie kann man denn ohne eine Zeugin Beweise erbringen?
Rohner: Keine Ahnung. Ich habe noch mal mit unserer Anwältin gesprochen, weil mich das so überrascht hat, was da in diesem Koalitionsvertrag drin steht, und sie meinte auch, sie hat keine Ahnung, wie das funktionieren soll. Weil, es ist ein Grundsatz, dass eine Zeugin vor Gericht aussagt, das ist die Beweisführung in Strafprozessen. Man kann das abmildern, indem gesagt wird, wir benutzen Videoaufnahmen, sie muss vielleicht nicht unbedingt persönlich erscheinen, aber ganz ohne Zeugin … Ich weiß nicht, ich meine, das hängt dann an der Kreativität der Großen Koalition, aber aus juristischer Perspektive ist das zurzeit nicht vorstellbar, wie das umzusetzen sein soll. Das scheint Politik zu sein. Und die Erfahrung machen wir ja oft: Wenn es um Menschenhandel geht, da wird von politischer Seite schon seit vielen Jahren viel versprochen, viel geredet, viel Wind gemacht, und de facto passiert überhaupt gar nichts.
von Billerbeck: Was fordern Sie denn, was müssten staatliche Behörden denn tun, um beispielsweise solche Zeuginnen für Menschenhandel, Zwangsprostitution zu schützen?
Rohner: Was wir schon ganz lange fordern, ist, dass es entkoppelt wird, die Zeuginnenschaft vom Aufenthalt. Wenn es Drittstaatsangehörige sind, also Betroffene außerhalb der EU, dass sie erst mal eine Art Bleiberecht bekommen, damit sie zur Ruhe kommen können, damit sie sich erholen können und dann in Ruhe überlegen können, wollen sie eine Aussage machen oder nicht. Bisher ist es so, dass, wenn eine Klientin nicht bereit ist auszusagen, muss sie ausreisen.
von Billerbeck: Das heißt quasi, das Bleiberecht als Belohnung für die Aussage?
Rohner: Auch das nicht. Weil, sie muss ja, wenn der Prozess …
von Billerbeck: Bisher, meine ich.
Rohner: Wenn sie ausgesagt hat, muss sie nach dem Prozess ausreisen. Also, sie bekommt ja sowieso nur einen Aufenthalt für die Dauer des Prozesses. Das führt eben auch dazu, dass sich die Klientinnen eben sehr unsicher fühlen. Sie werden einfach nicht geschützt von deutscher Seite und müssen im Extremfall eben genau dahin zurück, wogegen sie ausgesagt haben. Und da sagen viele, dann sage ich lieber gar nicht aus, das, was ich vorhin gesagt habe, das ist mir zu gefährlich.
Und solange Deutschland nicht bereit ist, die Betroffenen wirklich zu schützen und ihnen vor allem auch vor der Aussage eine Zeit zu gewähren, wo sie tatsächlich erst mal zur Ruhe kommen können als doch ziemlich traumatisierte Menschen, wird sich da sowieso nicht viel ändern. Und es muss sich natürlich auch ans Prozessende anschließen, dass sie dann ein Bleiberecht in Deutschland bekommt, und das muss ausgedehnt werden zumindest auf ihre Kinder.
von Billerbeck: Babette Rohner ist bei uns zu Gast, Sozialarbeiterin bei der Berliner Initiative Ban Ying, die sich gegen Zwangsprostitution und vor allem Menschenhandel einsetzt. Sie wollen ja auch die Männer, die sogenannten Freier in die Pflicht nehmen und haben schon vor Jahren in einer Kampagne aufgeklärt, woran man als Mann erkennen kann, ob die Prostituierte, zu der man geht, dazu gezwungen wurde. Wie erkennt man das denn?
Rohner: Es kann viele Hinweise darauf geben, dass die Frau nicht freiwillig in der Prostitution tätig ist. Ein Hinweis kann sein, dass sie gar nicht das Geld erhält, sondern dass das jemand anders abkassiert. Es kann sein, dass sie verängstigt wirkt oder zumindest verschüchtert oder einen sehr unsicheren Eindruck macht. Es kann sein, dass sie nur sehr gebrochen Deutsch spricht. Ich betone das mit "es kann sein" so doll, weil, es muss nicht auf Menschenhandel hinweisen. Auch Frauen, die nicht gut Deutsch sprechen, können sehr wohl freiwillig in der Prostitution tätig sein und ihre Interessen durchsetzen.
Deswegen ist es immer wichtig, sich die Summe dieser verschiedenen Indizien anzugucken, und deswegen haben wir auf unserer Website eine ganze Liste, woran eben erkennbar sein kann, ob es möglicherweise Menschenhandel ist. Und dann weisen wir aber immer darauf hin, dass der Freier oder der Kunde sich erst mal an uns wendet oder an eine Fachberatungsstelle und nachfragt, bevor er – wir beraten auch anonym, das ist alles gar kein Thema –, bevor er vielleicht anfängt, Dinge in Gang zu setzen, die der Frau am Ende eher schaden als nützen.
von Billerbeck: Nun gibt es ja das viel zitierte schwedische Modell, das auf eine Bestrafung dieser Freier setzt, auch in Frankreich will man Geldstrafen für Freier einführen, damit man diesen Frauenmarkt irgendwie austrocknet. Taugt das was?
Rohner: Unserer Meinung nach nicht. Diejenigen Männer, die gezielt zu Frauen gehen – das gibt es ja auch –, die unfreiwillig in der Prostitution arbeiten, da handelt es sich dann eben um Vergewaltigung. Und da gibt es genug Gesetze, um diese Männer zu verurteilen. Freier oder Kunden, die eine sexuelle Dienstleistung von Prostituierten, die relativ selbstbestimmt arbeiten, entgegennehmen wollen, wofür wollen Sie die bestrafen? Wenn die Frau selbst entscheidet, dass das ihre Berufstätigkeit ist, was ist daran strafbar, an der Handlung?
von Billerbeck: Also, der Staat muss an einem anderen Punkt ansetzen, nämlich mehr Möglichkeiten, mehr Bleiberecht, mehr Hilfen für die betroffenen Frauen?
Rohner: Ja.
von Billerbeck: Das sagt Babette Rohner, Sozialarbeiterin bei der Berliner Initiative Ban Ying, die sich gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel einsetzt. Danke Ihnen für das Gespräch!
Rohner: Bitte schön!
von Billerbeck: Mehr zum Thema dann am morgigen Samstag in unserer Sendung "Im Gespräch". Sie können mit der "Emma"-Redakteurin Chantal Louis und der Bordellbetreiberin Felicitas Schirow diskutieren.
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