Nach uns die Sintflut? Wer zahlt den Preis für unseren Lebensstil? Darüber diskutiert Matthias Hanselmann am Samstag, den 4. November von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Theresa Eyerund und Prof. Dr. Stephan Lessenich. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de – und auf Facebook und Twitter.
Wer zahlt den Preis für unseren Lebensstil?
Alle zwei Jahre ein neues Smartphone, ab und an ein Billigflug für den Städtetrip – oder schnell eine neue Klamotte zum Dumpingpreis. Für viele Menschen ist das ganz normal – auch hierzulande. Shoppen und konsumieren nach Lust und Laune – aber wer zahlt den Preis für unseren Lebensstil?
"Wir leben nicht über unsere Verhältnisse. Wir leben über die Verhältnisse anderer", mahnt Stephan Lessenich, Professor für Soziologie an der Ludwig Maximilians Universität in München und Autor des Buchs "Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis". Darin prangert er die Schattenseiten unserer auf Konsum und Wachstum basierenden Wirtschaft an.
"Wir lagern schmutzige Produktion aus in andere Länder. Wir lagern Arbeit aus; wir kriegen das manchmal zu sehen, wenn in Bangladesch eine Textilfabrik abbrennt, und Menschen dort sterben. Wir lagern beispielsweise den Flächenbedarf für landwirtschaftliche Produkte aus, die werden nicht hier angebaut, sondern in Lateinamerika, mit einem riesigen Pestizideinsatz. Das heißt: Den sozialen, den ökologischen, den ökonomischen Preis unserer Lebensweise zahlen andere."
Die Konsequenzen dieser Auslagerung seien langsam auch hierzulande zu spüren:
"Wir haben in den letzten anderthalb Jahren erlebt, welche Konsequenzen unsere Externalisierungsgesellschaft hat. Flucht und Migration werden uns weiter beschäftigen. Da wir Probleme produzieren, die auf uns zurückschlagen, wäre es im Sinne der Vernunft und der vorausschauenden Einsicht, vom globalen Norden aus umzusteuern. Das wäre im wohlverstandenen langfristigen Eigeninteresse."
Seine Forderung: "Appelle auf Konsumverzicht reichen nicht. Man muss die Regeln des Welthandels und dessen Institutionen ändern."
"Mehr vom Besseren!"
"Wachstum ist per se nichts Schlechtes", sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Theresa Eyerund vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
"Wachstum wird oft nur mit Quantität gleichgesetzt. Aber es geht nicht darum, immer mehr vom Gleichen zu haben, sondern mehr vom Besseren!"
Die globalisierte Wirtschaft nur zu skandalisieren, greift für sie zu kurz.
"Die Produktionsketten sind mittlerweile so komplex: Wir könnten kein einziges Auto mehr bauen ohne internationale Zulieferung, der Ressourcenverbrauch würde wieder hochgehen. Unser System ist darauf ausgelegt, durch Arbeitsaufteilung Produkte effektiv herzustellen und Ressourcen effektiv zu nutzen. Und wenn wir das alles nicht machen würden, hätten wir hier auch viel weniger Produkte, weil alle Produktionsschritte und Energien gebunden wären, die Fachkräfte. Wir hätten gar nicht so viel überschüssige Ressourcen."
Zur Wirtschaft gehöre schließlich auch die Nachfrage seitens der Verbraucher. Da beobachtet die Wirtschaftsethikerin eine erhebliche Schere zwischen dem behaupteten Umweltbewusstsein und der Realität: So geben 74 Prozent der befragten Deutschen in einer aktuellen Umfrage zwar an, dass sie zum Schutz der Natur umweltfreundliche oder regional produzierte Waren kaufen. Der Marktanteil von Bio-Produkten in Deutschland liegt allerdings gerade einmal bei 3,7 Prozent (Stand 2013). Fair gehandelter Kaffee, das am meisten nachgefragte faire Produkt, hat einen Marktanteil von drei Prozent.
Statt auf Verbote und Reglementierung setzt die Ökonomin auf den Markt: Wenn mehr ökologische und nachhaltige Produkte gefragt würden, würden auch mehr angeboten.
Literaturhinweis:
Stephan Lessenich: "Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis"
Hanser, Berlin 2016
224 Seiten, 20 Euro
Stephan Lessenich: "Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis"
Hanser, Berlin 2016
224 Seiten, 20 Euro