- "Herr Can?"
- "Ja?"
- "Es ist gut so, dass es bei uns hier nicht so viele Muslime gibt. Ich meine, wenn Islamisten plötzlich Anschläge verüben.... Man sollte sie einfach ohne langes Gerede abschieben."
- "Keine Frage. Es sollte harte Maßnahmen geben, aber nur im Rahmen des gesetzlich Möglichen."
- "Ich persönlich muss mir keine langen Verfahren mit Terroristen ansehen. Wer uns Böses will, sollte dorthin verfrachtet werden, wo er uns nicht schaden kann. Und damit meine ich nicht unbedingt unsere Gefängnisse. Wir müssen für diese Leute keine Steuergelder verschwenden."
Mit Rechten reden - nur wie?
30:03 Minuten
Die Frage, ob man mit "Rechten" reden soll, ist für viele längst geklärt. Sie haben inzwischen viel Erfahrung im Umgang mit Provokationen, alternativen Fakten und Diskurstrategien gesammelt: Was lässt sich entgegnen? Was lässt man stehen, was nicht?
"Diejenigen, die gestern gegen Kernkraft, gegen Stuttgart 21 agitiert haben, die müssen sich nicht wundern, wenn sie übermorgen ein Minarett im Garten stehen haben", sagt ein Mann.
Eine Frau erwidert: "Also 'Sie müssen sich nicht wundern' heißt, Sie befördern das."
"Nö", sagt er. Und sie: "Doch."
Karl Marx blickt ungerührt. Mächtig thront die dunkle Büste des einstigen Namensgebers der Stadt vor dem hellgrauen Chemnitzer Plattenbau. Unmittelbar darunter lädt eine mobile Ausstellung Passanten zum Gespräch. Zum Beispiel mit Karten, auf denen verschiedene Aussagen gedruckt sind. Ausgesucht werden sollen solche, denen man zustimmt. Der ältere Mann hat sich die Aussage über Kernenergie und Islamismus herausgegriffen und befestigt sie nun an einer Pinnwand. Zwei Frauen haben sich zu ihm gestellt, sie diskutieren.
"Es geht darum, wie ich diesen Satz finden würde und ich finde den okay", sagt der Mann.
Ich versuche das Argument, wie es in dem Satz formuliert ist, zu verstehen, weil das Dinge zusammen bringt, die gar nichts miteinander zu tun haben.
"Ich vermute, dass ein Politiker der CDU den Spruch gemacht hat", so der Mann.
Was hat Stuttgart 21 mit Minaretten zu tun?
Die Frau versucht es noch einmal: "Das heißt doch, das jemand, der gegen Kernenergie protestiert hat, dass die das fördern, dass der Islamismus hier übergreift. Das hat nichts miteinander zu tun."
Der Mann sieht das anders: "Die Proteste gegen Kernenergie sind die Grünen. Gegen Stuttgart 21 sind auch vorrangig die Grünen und gleichzeitig sind ja die Grünen mit den Linken vermischt die Steigbügelhalter des Islamismus in Deutschland."
Die Frauen schauen ratlos, lassen sich dann aber doch auf ein Gespräch ein, das schließlich bei den Ausschreitungen von Chemnitz vom Sommer 2018 landet. Der ältere Herr vermutet eine groß angelegte Verschwörung dahinter:
"Erklären Sie mir mal, an dem Tag, als "Pro Chemnitz" die Demonstration durchgeführt hat, gab's nen großen Block von Linksradikalen auf der anderen Seite, na, die sich gegenseitig befeuert haben sollen. Es gibt Verdacht, dass ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Niedersachsen hier mit dem Hitlergruß hantiert hat. So. Es wird auch teilweise so gemacht, dass das Nazis sind, alle."
Die Frauen, ebenfalls gebürtige Chemnitzerinnen, sprechen von Fakten, versuchen zu widerlegen und zu überzeugen und finden sich schnell in immer neuen Themenbereichen wieder: Einmal geht es um Flüchtlinge, im nächsten Moment um Homosexuelle, dann wieder um Umweltschützer und schließlich um eine alles kontrollierende gesellschaftliche Elite. Die Frauen versuchen, Schritt zu halten mit den sprunghaften Argumenten des Mannes, die nur eines eint: Sie alle sind Teil einer klassischen rechtspopulistischen Gesellschaftserzählung.
Im Trainingscamp mit den "Stammtischkämpfer*innen"
Wie den Passantinnen in Chemnitz geht es vielen. Weil logische Argumente und dialogische Ansätze im Austausch mit völkisch-nationalistischen Weltsichten oft zum Scheitern verurteilt sind, bietet die Initiative "Aufstehen gegen Rassismus" Argumentationstrainings an. Interessierte können sich zu Stammtischkämpfer*innen ausbilden lassen und wappnen für den Schlagabtausch mit rechten Parolen. An diesem Sonntag sind 25 Teilnehmer in den Ostberliner Plattenbaubezirk Marzahn gekommen, zum Workshop der beiden Sozialarbeiter Karl und Marco, die aus Sicherheitsgründen nur beim Vornamen genannt werden wollen.
"Ihr seht hier einmal verschiedene Kreise: Ganz außen haben wir die Unentschlossenen, das sind Menschen, die haben wie wir alle verschiedene Formen von Diskriminierung verinnerlicht. Das ist der äußere Kreis", sagt Karl. Er erklärt anhand eines Schaubildes, wo die unterschiedlichen möglichen Gesprächspartner zu verorten sind.
"Im zweiten Kreis die Sympathisant*innen. Das sind Leute, die haben diese Stereotype verinnerlicht, finden das gut und teilen das mehr oder weniger reflektiert oder unreflektiert. Im dritten Kreis, da steht jetzt Parteimitglieder, das können Leute sein, die das verinnerlicht haben und nicht reflektieren wollen. Das heißt, die schließen sich aufgrund von abwertenden Einstellungen zusammen und organisieren so ihre menschenverachtenden Einstellungen. Und in der Mitte haben wir Funktionär*innen. Die setzen ihre Ziele, die auf 'nem abwertenden Menschenbild basieren, auch mit Strategien um. Und das könnte im schlimmsten Fall auch Gewalt sein."
"Was kostet denn ein Flüchtling?"
Was hier so einfach erscheint, ist in der Realität weit weniger leicht einzuordnen. Sie alle hier haben auf unterschiedliche Weise mit rechten Parolen und Meinungen zu tun gehabt. In Kleingruppen werden nun eigene Erlebnisse ausgetauscht, wird gemeinsam nach Strategien gesucht.
"Haben denn manche von euch so akute Situationen erlebt in den vergangenen Tagen, wo sie gesagt haben, Scheiße, hätte ich da mal was gesagt?", fragt eine Teilnehmerin.
Eine Frau bejaht: "Und zwar hatte ich eine Situation mit meiner Schwester leider, das finde ich besonders schwer. Da ging es darum, wie teuer die Flüchtlinge sind. Und da bin ich nicht weitergekommen. Weil, ich bin der Meinung, wir sind ein reiches Land und da fehlen mir die Argumente. Da bin ich wieder an dem Punkt: Was weiß ich? Was weiß ich nicht? Ich hab dann so argumentiert: 'Ich bin der Meinung, das Geld ist da', und da hat sie gesagt: 'Das hab ich früher auch gedacht, aber ich weiß jetzt, dass das nicht so ist.' Und das Gespräch hat sich dann aufgelöst. Weil ich nicht mehr wusste, wie ich da weiterkomme."
"Theoretisch wäre immer eine Möglichkeit zu fragen: Ja, woher weißt du das?", sagt eine Teilnehmerin. "Was kostet denn ein Flüchtling? Hast du da Zahlen?"
"Oder du fragst, was haben die Flüchtlinge dir persönlich weggenommen?", ergänzt eine andere. "Dieser persönliche Angriff passiert ja oft gar nicht, das ist ja oft dieses: Okay, irgendwas stimmt nicht, irgendwas fehlt, schieben wir's doch auf 'ne Randgruppe. Mir wäre es wichtig, viele Fragen zu stellen. Nicht Warum-Fragen aber: 'Woher kommt das, was hast du für Nachteile davon? Was genau führt dich zu dieser Annahme?' Das ist immer, was ich mache, damit komme ich da raus, den Leuten Vorwürfe zu machen."
Schon im Austausch miteinander finden viele Teilnehmer von selbst nicht nur Gemeinsamkeiten rechter Argumentationsmuster, sondern auch geeignete Strategien der Gegenrede, gegen Verallgemeinerungen, gezielte Tabubrüche oder fruchtloses Statistikpingpong:
Mit Fakten Vorurteile widerlegen. Wäre das nicht überhaupt das Naheliegendste, um rechten Ideologien, Verschwörungstheorien und Behauptungen zu begegnen? Indem man diese einfach korrekt widerlegt.
Fakten statt Fiktionen: "Wie ich denke, so entscheide ich!"
"Auf Facebook wird uns nur noch angezeigt, was wir sehen wollen. Und viele Menschen haben kein Vertrauen mehr in konventionelle Medien. Für das Funktionieren und Überleben unserer Demokratie ist es jedoch essenziell, dass sich Menschen ihre politische Meinung auf der Grundlage von Informationen und konstruktiven Auseinandersetzungen bilden. Und dafür setzen wir uns ein und verbreiten Informationen für Deutschland."
Ein Werbevideo der Kampagne "Informationen für Deutschland". Vor den Bundestagswahlen 2017 sollten Wähler dazu bewegt werden, ihre Entscheidungen nicht aufgrund von Vorurteilen zu treffen. Der Politologe David Nonhoff war einer der Initiatoren:
"Wir machen Plakate, die wir nicht online, sondern offline aufhängen. An Werbeflächen, die jeder in der Stadt sehen kann und nicht nur die, die auf bestimmten Filterblasen im Netz unterwegs sind", sagt er. "Und auf diesen Plakaten schreiben wir ganz klein ein rechtspopulistisches Vorurteil und schreiben fett darunter ein Fakt, der dieses Vorurteil widerlegt."
So stand beispielsweise "Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg" klein gedruckt und in Anführungszeichen auf den 1200 Plakaten, die im Berliner Raum aufgehängt wurden. Darunter groß ein Fakt - das Ergebnis einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung.
"Zwischen 2005 und 2014 haben Selbständige mit Migrationshintergrund in Deutschland 1,3 Millionen Jobs geschaffen!"
"Letztendlich haben wir polarisiert mit der Kampagne. Also genau das, was wir eigentlich nicht machen wollten", räumt Nonhoff ein. "Wir wollten Menschen zusammenbringen, wir wollten sagen, wir ziehen an einem Strang. Aber was wir gemacht haben, ist, eine klare Position zu beziehen, die öffentlichkeitswirksam zu vertreten und damit bestimmte Gefühle auszulösen."
David Nonhoff und seine Mitstreiter landeten also wieder in jener Filterblase, aus der sie heraus wollten. Die von ihnen gesammelten Informationen - reine Fakten aus soziologischen Untersuchungen - konnten niemanden umstimmen:
"Ich würde mir auch wünschen, in einer Welt zu leben, in der Menschen ihre Meinungen auf Fakten basieren. Aber es ist nicht so. Ich habe mich auch in letzter Zeit viel mit Ergebnissen aus der Moralpsychologie und Sozialpsychologie auseinandergesetzt, um genau dieses Phänomen zu verstehen. Und da ist die einhellige Meinung, dass wir unsere moralischen Urteile aufgrund von Emotionen fällen. Wir sind mit einem bestimmten moralischen Dilemma konfrontiert und bilden uns automatisch dazu eine Meinung, die wir im Nachhinein rechtfertigen mit unserer Vernunft. Aber die Meinung, die ist vorher schon gefällt worden, intuitiv. Aufgrund von Gefühlen und Emotionen."
Und, so erzählt er weiter: Untersuchungen hätten ergeben, dass sich bereits im Kindergartenalter treffsicher voraus sagen lasse, ob jemand einmal konservativ oder progressiv wähle. Sind Fakten und ist der rationale Diskurs also nichts als heiße Luft? Und hieße die Formel im Umgang mit rechten Parolen folglich: "All you need is Love"?
Mit Empathie gegen Menschenverachtung
Mit Offenheit und Mitgefühl Vorurteilen begegnen - auf der menschlichen Ebene, über Grenzen hinweg miteinander ins Gespräch kommen: Das schwebte dem Essener Ali Can vor, als nach dem Flüchtlingsgeschehen 2015, die "Hotline für besorgte Bürger" ins Leben rief. Einst war Can selbst mit seinen Eltern aus der Türkei geflohen, nun lud er als "Asylbewerber Ihres Vertrauens" zum Gespräch.
"Ich habe für eine Streitkultur plädiert, indem ich ein Bürgertelefon kostenlos bereit gestellt habe für Menschen, die dann mich, den Migranten des Vertrauens, anrufen konnten. Und natürlich war für mich das Wichtigste, dass ich als Betroffener, der eine ähnliche Geschichte hat... Das ist ganz wichtig, dass man miteinander spricht. Damit wollte ich das Feld nicht den Radikalen, den Rechtspopulisten, den neuen Rechten, den Demagogen überlassen. Und Berührungsängste abbauen und dem abstrakten Begriff Migrant ein Gesicht und einen Namen geben."
Ali Can hat einige der Dialoge, die er mit Anrufern führte, in einem Buch veröffentlicht.
"Man kann sich vorstellen, dass vier große Themen hervorgingen", erklärt Can. "Das eine - Menschen, die wissen wollen, wie man mit Rassismus umgehen kann. Andere, die eher über Integration gesprochen haben und die der Meinung waren, dass Integration nicht gut gelingt. Dann gab es Menschen, die nicht über Integration, aber spezifisch über den Islam geredet haben. Ohnehin ging's mir bei der Hotline nie ums Belehren, ging es nicht darum, die Meinung eines Menschen zu ändern, weil ich meine, dass das eh nicht möglich ist, auf Anhieb. Sondern eher zum Nachdenken anzuregen, eine Haltung zu vermitteln. Das ist mir besonders gelungen bei der vierten großen Säule, nämlich Sicherheit und Kriminalität. Ein so genannter Messerstecher, das ist ja ein Kampfbegriff der Rechten, um Geflüchtete zu entmenschlichen, oder Rapefugees. Meine Haltung war dann eben, nicht aufzuklären und zu sagen 'Das sind nicht alles Vergewaltiger', sondern 'Woher hast du diesen Begriff?', 'Gibt es alternative Begriffe?' Ich versuche, eine menschliche Note rein zu bringen. Eine Kultur der Auseinandersetzung mit dem, was man wirklich sagt."
Ali Can suchte auch auf Pegida-Demos das Gespräch und fand für seine Hotline bald Mitstreiter. Das exzessive Aufbringen von Empathie aber war auch für ihn nach einigen Monaten erschöpfend. Zudem fand seine Aktion nicht nur Zustimmung: Gerade vonseiten der Flüchtlingshelfer wurde er für seine offene Haltung heftig kritisiert. Dabei betont Ali Can, dass er schnell davon Abstand genommen habe, mit rechten Parteifunktionären zu sprechen, sondern sich bewusst an jene Menschen wandte, die sich selbst in einer politischen Grauzone bewegten. Doch nicht jeder kann sich aussuchen, mit wem er sprechen möchte.
Strategien auf dem rhetorischen Schlachtfeld
"Wenn man sich Politiker und Politkerinnen anschaut: Die können es sich nicht aussuchen, ob sie mit den völkisch-nationalen oder populistisch-radikalen Parteien oder Bewegungen diskutieren", sagt der Berliner Kommunalpolitiker Paul Bahlmann. "Das ist ja im Kommunalparlament, im Landtag oder im Bundestag das gleiche wie in einer Bürgerversammlung."
Paul Bahlmann berät Menschen, die es sich nicht aussuchen können, ob sie mit Rechtspopulisten reden wollen: Politiker. Zusammen mit dem Werbefachmann und Rhetorikprofi Robert Pietsch sucht er geeignete Strategien im Umgang mit rechter Rede:
"Wenn wir politische Menschen beraten, ist das Thema Zielgruppe", erklärt Pietsch. "Also, zu wem spreche ich eigentlich? Weil, das vergessen auch Politiker. Wenn man im Kommunalparlament ist, mit jemandem von einer völkisch-nationalen Partei aneinander gerät, dass man in so ein Zweigespräch mit dem auf dem Plenum kommt, aber wenn man darüber strategisch nachdenkt, den Letzten, den ich politisch überzeugen kann, ist der Fraktionsvorsitzende von einer völkisch-nationalen Partei. Ich habe eine Zielgruppe, die spreche ich an, die möchte ich erreichen. Denen erkläre ich Sachen, die meinem Gesprächspartner zwar bewusst sind, aber ich erkläre sie einfach noch mal, weil sie dem Publikum nicht bewusst sind."
Paul Bahlmann ergänzt: "Wenn man da zielorientiert rangeht, dann geht es erstmal darum zu klären, wofür stehst du eigentlich? Weil, eine Strategie, die uns begegnet, die jedem begegnet in der Gesamtgesellschaft, ist eine Art Überfordertsein, weil so viel auf einen einprasselt. So viele Behauptungen und Unterstellungen und fiesen Angriffe. Dabei gibt es dann so ne Fokusverschiebung, dass alle sich nur noch damit beschäftigen, was ihnen entgegen steht. Aber zentral ist, eine eigene Haltung zu haben, einen eigenen Ton zu haben und eine eigene Sprache zu haben. Das sind die drei Elemente, die wir versuchen, den PolitikerInnen beizubringen und daran zu üben."
Die Strategien des rechten Vordenkers Götz Kubitschek
Neben dem Dreiklang aus Haltung, Ton und Sprache gilt es im Umgang mit Parteifunktionären deren Strategien zu erkennen. Auch darüber klärt das Duo Bahlmann-Pietsch auf. Denn auf dem Feld der Politik - anders als im Gespräch mit Bürgern - kommen hier gezielte Strategien zum Einsatz. Der rechte Vordenker Götz Kubitschek vom Think Tank Institut für Staatspolitik ist einer, der ganz offen und für jeden nachlesbar beschreibt, welche rhetorischen Strategien völkisch-nationalistische Kräfte verfolgen.
In einem im Februar 2017 in seiner Zeitschrift "Sezession" unter dem Titel "Selbstverharmlosung" erschienenen Aufsatz nennt er drei grundlegende Vorgehensweisen:
"Die eine besteht darin, in Grenzbereichen des gerade noch Sagbaren und Machbaren provozierend vorzustoßen und dann sprachliche (...) Brückenköpfe zu bilden, zu halten, zu erweitern und auf Dauer zum eigenen Hinterland zu machen."
Eine militärische Anleitung, die nichts mit einem dialogischen Vorhaben gemein hat. Es geht darum, sprachlich Raum zu besetzen.
Aus dem Bereich des Militärs kommt auch Strategie Nummer 2: die Verzahnung.
"Sprachlich kann man dadurch verzahnend vorstoßen, dass man zitiert und auf Sprecher aus dem Establishment verweist, die dasselbe schon einmal sagten oder wenigstens etwas Ähnliches."
Klares Ziel: strittige Aussagen legitimieren. Ähnlich wie bei Strategie Nummer drei, der Selbstverharmlosung.
"Es ist der Versuch, die Vorwürfe des Gegners durch die Zurschaustellung der eigenen Harmlosigkeit abzuwehren und zu betonen, dass nichts von dem, was man fordere, hinter die zivilgesellschaftlichen Standards zurückfalle. (...) Derjenige, der eine alternative Politik für unser Land formulieren sollte, kommt bei konsequenter Anwendung dieser Methode beinahe in Erklärungsnot darüber, warum sich das, was er vorhat, nicht ganz einfach in den alten Parteien, Medien und Strukturen umsetzen lasse."
Paul Bahlmann sagt dazu: "Was ich auch immer ganz interessant finde als Strategie, ist diese Immunisierung durch Selbstbezeichnung. Alle sind Nazis, alle Leute, die auf die Straße gehen, sind Nazis, wir selbst sind Nazis - ironische Selbstbezeichnung. Die Entwertung von bestimmten Vorwürfen, indem ich sie konsequent inflationär benutze, ist einfach nur eine Begriffsinflation, die da gemacht wird, ist auch ganz wichtig. Und da ist vielleicht auch das Problem, dass auch auf der demokratischen oder vor allem der linken Seite sehr schnell mit bestimmten Begriffen umgegangen wird."
Sprache sei nicht zu unterschätzen, finden Paul Bahlmann und Robert Pietsch. Das Finden eigener Begrifflichkeiten ist für sie daher ein wichtiges Werkzeug, das sie mit Teilnehmern in ihren Workshops einüben - damit diese sich nicht Labels, Metaphern und ein bestimmtes sprachliches Framing von rechts unterschieben und sich nicht zu sehr von rechtem Hass beeindrucken lassen.
"Sie wollen weniger Gegenrede haben. Also gibt es zwei Elemente, die dem Ziel dienen, Einschüchterung und Atomisierung. Das erste, Einschüchterung, machen sie mit dem Lehrerportal, jetzt machen sie das mit den Journalist*innen. Shitstorms, gezielte Shitstorms gegen Frauen und Migranten zu machen im Internet", so Bahlmann.
"Die haben unfassbar viele Facebookgruppen, die sie besser bespielen als alle anderen. Daher kommt diese Reichweite zustande: simulierte Mehrheit. Die haben auch die Bereitschaft gehabt zu lügen, zu sagen, wir holen uns hier die Fake Accounts, wir posten alles hin und her, kreuz und quer und tricksen so ein bisschen die Algorithmen aus. Simulierte Mehrheit, um den Leuten das Gefühl zu geben: Wir machen euch nicht nur platt, sondern ihr seid ganz allein."
Hate Speech, Shitstorms und rechte Online-Akteure
Eine, für die Einschüchterungsversuche längst Alltag geworden sind, ist Annalena Schmidt. Die Bloggerin berichtet online über den Alltag in ihrer Wahlheimat Bautzen. Die Region gilt dem Verfassungsschutz als Hochburg von Rechtsextremisten und Reichsbürgern.
Annalena Schmidt ist für ihren Einsatz für Demokratie und gegen rechte Demagogie längst über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und sitzt seit Sommer 2019 für die Grünen im Bautzener Stadtrat:
"Je mehr ich geschrieben habe, je größer meine Reichweite wurde, um so größer wurden auch die Reaktionen darauf, vor allem die negativen Reaktionen. Also dass man für einen Tweet oder für einen Blogbeitrag einen Shitstorm kassiert, dass einem Hass und Hetze im Netz entgegenschlagen, zu Anfang nur Bemerkungen und dann auch Drohungen, Beschimpfungen, die man auf der Straße erleben musste."
Sogar Morddrohungen sind für Annalena Schmidt längst Alltag. Obwohl diese, auch wenn sie digital geäußert werden, strafbar sind, ist sie inzwischen dazu übergegangen, diese nicht mehr anzuzeigen.
Die Auseinandersetzung koste zu viel Kraft und sei sinnlos. Mit rechten Akteuren sprechen, will sie daher auch nicht mehr. Reden, diskutieren - daran aber hält sie fest. Nur nicht mit allen:
Die Auseinandersetzung koste zu viel Kraft und sei sinnlos. Mit rechten Akteuren sprechen, will sie daher auch nicht mehr. Reden, diskutieren - daran aber hält sie fest. Nur nicht mit allen:
"Sprechen mit Rechten, dachte ich vor drei Jahren, ist vielleicht notwendig. Hab das auch anfangs gemacht und bin aber mittlerweile sowohl in der realen als auch in der digitalen Welt davon abgekommen, mit Rechten zu reden. Weil es einfach so ist, dass man sich selbst, aber auch die Leute, deren Beiträge man teilt, vor irgendwelchen Trollen, Hassern und Hatern schützen muss. Es gibt genug zivilgesellschaftliche Akteure demokratischer Parteien mit denen man sich zusammen tun kann und diskutieren kann. Bei Rechtsextremen und AfDlern hilft aus meiner Sicht nur eins, und das ist ganz klare Ausgrenzung. Dort werden Dinge geäußert, die nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen und das sollte man diesen Menschen deutlich machen, indem man sie ausgrenzt. Dass sich denen dadurch nicht noch eine weitere Diskursplattform bietet."
Mit neuen Narrativen die Demokratie stärken
Doch was bleibt, wenn "miteinander reden" nicht mehr möglich ist? Jane Viola Felber, Konfliktforscherin aus Chemnitz, beschreibt das Dilemma so:
"Man spricht immer über Pro Chemnitz oder die AfD, die rechtspopulistischen Akteur*innen und fragt dann, was macht man dagegen? Dann gibt es die Antirassismusworkshops, die Argumentationstrainings, das bleibt halt immer in einem Denkrahmen, der dann in die Diskussion gesetzt wird. Und der aber auch viel schließt. Und wenn man immer nur auf der Akteursebene über die aktuellen Situationen und Konflikte spricht, dann ist man in diesem 'Mit Rechten reden', in dieser Diskussion gefangen-"
In der Stadt, die 2018 wegen rechtsextremistischer Ausschreitungen bekannt wurde, haben sich Kulturschaffende, Politaktivisten und Bürger zusammengetan, um auf die Suche nach neuen demokratischen Gesellschaftserzählungen zu gehen.
"Es sind ja nicht nur die Akteur*innen, die den Diskurs bestimmen und die Einstellungsmuster", sagt Felber. "Sondern es sind vor allem die Erzählungen, die die Grundlage dieser Konflikte sind und die Menschen, die auf der Suche sind, weil das große Narrativ von Neoliberalismus und Fortschritt vielleicht zu einem Ende gekommen ist."
Der "Aufstand der Utopien" ist ein Projekt, zu dem im November 2019 Theater, Kunstprojekte und Aktionen an verschiedenen Orten in der Stadt zum Austausch einladen. Jane Viola Felber hat die Veranstaltung mit initiiert und gestaltet.
"Uns geht's drum, den Aufstand der Utopien dieses Jahr zu feiern und auch den Aufstand der Geschichten zu feiern, weil wir nicht eine Erzählung wichtig für die Diskussion finden - eine große Geschichte - sondern wir wollen verschiedene Räume in der Stadt eröffnen, wo die Bevölkerung, die Gesellschaft sich austauscht und die vielen kleine Geschichten zusammen kommen."
Erzählungen können die Gesellschaft formen
Narrativ - ein Begriff, der aus der Soziologie stammt. Gemeint sind gesellschaftliche Erzählungen, die Sinn vermitteln, Realität erklären, Orientierung bieten. Narrative sind identitätsstiftend, sie beschreiben Gesellschaft und formen diese zugleich.
Für das völkisch-nationalistische Weltbild ist das Opfernarrativ einer vom Aussterben bedrohten "deutschen Rasse" zentral - diese solle durch einen so genannten "Völkeraustausch" vernichtet werden. Dahinter, so die Erzählung weiter, stecke eine Elite, die das demokratische System mit ihren gesellschaftlichen Institutionen beherrsche. In den letzten Jahren ist die Leugnung des Klimawandels zum rechtspopulistischen und -extremistischen Weltbild dazugekommen. Einzige Rettung: ein gesellschaftlicher Umsturz, mit politischen oder auch mit kriegerischen Mitteln.
Ein pinkfarbener Roboter fährt durch die Räume des Chemnitzer Festivalzentrums und fragt Besucher nach ihren Wünschen. Eine Installation lädt ein zu einer Reise durch utopische Welten und ein Zukunftslabor fragt Kinder nach ihren Visionen. Und gleich unter der großen Büste des wohl bekanntesten Chemnitzer Utopisten, lädt eine mobile Ausstellung Passanten zum Gespräch und fragt "Welche Gesellschaft wollen wir sein?".
"Das ist das Modul 'Dafür sein', da geht es um unsere Freiheit, zu demonstrieren, zu protestieren und die Leute sind dazu angehalten, Protestplakate selber zu malen und zu formulieren, die für etwas sind, nicht dagegen", erklärt Stefanie Dilger. "Und das sind fünf Beispiele von Demosprüchen von Pro Demonstrationen, die sich für etwas einsetzen, für Europa, für die Freiheit, über die Zukunft selber zu entscheiden."
Die Politologin und Wahlberlinerin Stefanie Dilger ist Teil der Initiative "Die offene Gesellschaft", die die mobile Ausstellung konzipiert hat.
"Das ist das Thema, womit sich die komplette Initiative seit drei Jahren beschäftigt, dass es viel Untergangsstimmung gibt, sehr viele Leute sehr schnell in Problembeschreibungen kommen. Und wir sagen gut, es gibt Sachen, die wir verändern wollen in unserem Land, und die können wir nur verändern, wenn wir nach vorne schauen, wenn wir konstruktiv sind und auch positive Zukunftsvisionen haben."
2016 wurde "Die offene Gesellschaft" ins Leben gerufen, unter anderen von dem Soziologen Harald Welzer. Akteure der Initiative zogen - zunächst deutschlandweit - durch Bürgerhäuser, um Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft miteinander ins Gespräch zu bringen. Man wollte zukunftsorientierte, visionäre Debatten führen, eine neue Gesprächskultur sollte entstehen. Schnell folgte die Idee zur Ausstellung und dem Gespräch auf der Straße - deutschlandweit.
"Auch in Städten, wo ich selber ein bisschen voreingenommen war - so ner Stadt wie Görlitz, wo beinahe ein AfD-Abgeordneter Oberbürgermeister geworden wäre. Auch dort war die überwiegende Mehrheit der Menschen weltoffen, aufgeschlossen. Und auch wenn ihre Meinungen nicht immer die meine waren, haben viele Leute doch Wünsche, Meinungen, Anregungen - ob sie die mitbringen aus Biografie, aus Erfahrungen, die in die Zukunft gedacht sind. Das hat mir schon Hoffnung gemacht."