Das Drama um die Berliner Bühnen
Mit den Debatten, Befürchtungen und der Häme soll nun Schluss sein. Sowohl das Berliner Ensemble wie auch die Volksbühne starten unter neuer Leitung in die Saison. Chris Dercon und Oliver Reese traten nun gemeinsam vor das Hauptstadtpublikum.
Nein, es soll nicht mehr darum gehen, ob die Entscheidung für Chris Dercon richtig war oder nicht – damit leitet Peter Raue den Abend mit gut 400 Zuschauern ein – sondern vielmehr um die Frage:
"Wie kann es weitergehen?"
Weitergehen mit zwei Häusern, die ganz unterschiedliche Wege gehen.
"Da erhoffen wir uns durchaus, dass es ein bisschen mehr Pfeffer hat, als das Kanzlerduett."
Dann stellt Peter Raue klar, er habe als Anwalt zwar Chris Dercon beim Vertragsgestaltung beraten, Oliver Reese allerdings vertrete er nicht. Dafür aber seit vielen Jahren die Berliner Ensemble GmbH. Man sei freundschaftlich verbunden.
"Ich hatte ein bisschen Angst, wenn dieser Abend vorbei ist, habe ich zwei Freunde und zwei Intendanten und zwei Kunden verloren …"
Es fehlen "handfeste Dramen"
Eine unbegründete Angst. Denn ein Duell gibt es nicht. Niemand verliert jemanden. Niemandem wird weh getan. Letztlich moderiert Peter Raue eine Spielzeit-Pressekonferenz für zwei Theaterleiter, die ihr Programm präsentierten. Mit Punktvorsprung für Oliver Reese. Der neue BE-Chef beklagt einmal mehr, es fehlten "gute handfeste Dramen", um dann gleich am eigenen Spielplan zu demonstrieren, was für Gegenwarts-Produktionen er für sein Haus gewinnen konnte:
"Ich bin froh, dass wir ein Stück wie Rainald Goetz ‚Krieg‘ wieder zeigen ..."
Reese beklagt einmal mehr: zu viele Uraufführungen an kleinen Häusern, die selten nachgespielt würden - zu wenig Gegenwart in den großen Häusern und macht dafür ein Symptom aus: das postdramatische Fieber:
"Postdramatisches Fieber ist eine gewisse Missachtung von Wellmade Plays. Ich finde ein Wellmade Play ist verdammt schwer. Es ist die Schwierigkeit der Verdichtung – in so einem Format großartige Ensemblestücke zu finden ist so schwer, dass es kaum Meisterwerke auf diesem Gebiet gibt."
Versteht sich von selbst, dass Reese, der mit einem 28-köpfigen Ensemble startet, mehr solcher Stücke an sein Haus holen will.
Ein Ensemble kann der neue Volksbühnen-Chef Chris Dercon noch nicht vorweisen, dafür propagiert er einmal mehr das Mehrspartenhaus – ein zukünftiges, jetzt aufzubauendes Ensemble als Mischung von Schauspielern, Tänzern, Künstlern. Das Theater für ihn?
"Ein Ort – jetzt mal gut nachdenken – das hat zu tun mit was sich in den letzten Monaten abgespielt hat – wo die Kommunikation der Gesellschaft die Kommunikation der Gesellschaft präsentiert."
Theater ein Ort der Begegnung also.
"Sie sprechen, sie tanzen, sie singen. Sie sind da – wir sind zusammen anwesend."
Nach 30 Minuten der erste Applaus. Für Oliver Reese. Der widerspricht folgender Interviewaussage des Teams Dercon/Piepenbrock:
"… dass Ensemble keine Vertragsgemeinschaft mehr sei, sondern eine ideele Gemeinschaft. Ich denke schon, dass das anders ist."
Die Kraft des Experiments
Und feiert das Ensemble als wichtige Triebkraft des Theatermachens. Chris Dercon propagiert die Kraft des Experiments, die Volksbühne als Laboratorium - und einmal mehr die politische Kraft des Tanzes:
"Tanz ist heute - denk ich - eine sehr wichtige Form, um Themen von heute nicht nur auszubilden, damit wir Fragen stellen können über Identität, Engagement, das Engagement vom Körper und etwas versuchen zusammen zu tun – statt dieses Alleinseins, diese Herrschaft von Alleinsein, die unsere Politik uns heute schafft."
Applaus für Dercon. Die Nachfrage eines Zuschauers, was genau für Themen denn da mit Tanz verhandelt werden können, bleibt mit "Die Geschichte des Tanzes" weitgehend unbeantwortet. Am Ende ein kritischer Zwischenruf des Zuschauers Rolf Hochhuth:
"Ist das Theater, wie sie es vorhaben, so weit weg von der Politik, der Gesellschaftskritik und der Kultur der Gegenwart …"
Darauf eine versöhnliche Antwort von Oliver Reese. Insgesamt ein freundlich zustimmendes Publikum. Ein Moderator, der sich auf beide Häuser freut. Applaus für beide Seiten. Und Chris Dercon, der jetzt "Kooperation" sagt, statt "Kollaboration".