Dissonanzen mit Weihwasser
Es gibt diese Momente: Man blickt sich in die Augen und versteht sich. Das ist schön. Es geht aber auch anders herum: Man glaubt sich zu verstehen, dann blickt man tiefer, und alles ist plötzlich anders. So geschah es in St. Ottilien vor der Weihwasserschale.
Es war ein wirklich sympathischer, älterer Herr, der mich da scherzend durch die Klosteranlage führte und mir freundlich alles zeigte. Wir hatten keine Verabredung, er war einfach da, nahm sich Zeit für mich und wir plauderten über dies und das, auch über so weltliche Dinge wie Busfahrpläne und unpraktisches Reisegepäck. Wir kamen an der Gärtnerei vorbei, dem Klosterladen, dem Museum. Und dann zeigte er auf den Eingang der Kirche. Kein Gottesdienst, die Kirche war vollkommen leer. Gleich im Eingang stand monströs und sperrig eine aus grauem Marmor gefertigte Weihwasserschale.
Ich war keineswegs überrascht, als mein Begleiter die Hand mit dem geweihten Wasser benetzte und sich bekreuzigte. Ich wollte es ihm gleichtun, schon aus Höflichkeit, aber irgendetwas tief in meinem Innern verhinderte, dass sich meine Hand bewegte. Da war nichts zu machen. Ich spürte - ohne den Blick zu heben, dass mein Begleiter auf mich wartete. Aber es geschah einfach nichts.
Nun kann ich zu meiner Verteidigung vorbringen, dass ich ehemalige Klosterschülerin bin und von der katholischen Kirche reichlich drangsaliert wurde. Bereits im zarten Alter von sieben Jahren hatte ich resigniert beschlossen, nach meinem Tod den direkten Weg in die Hölle zu wählen. Das Fegefeuer schien mir eine Qual – die lodernden Flammen, die schmorenden Sünder – und der Himmel war sowieso unerreichbar. Ich lebte in ständiger Sünde. Gummibärchen futtern, kleine Brüder ärgern - alles, was Spaß machte, war verboten. Nur die Tatsache, dass ich sonntags zur Beichte gehen und mich schnurstracks aller Sünden der Woche entledigen konnte, machte das Leben lebenswert.
Meine bigotte Großmutter hatte eine private Weihwasserschale im Wohnzimmer und bespritzte mich, wann immer sie mich erwischte. Ich mochte es einerseits nicht besonders, andererseits konnte sie mich damit auch zwischen den Sonntagen von den Sünden reinigen, und das war praktisch.
Den Platz meiner bigotten Großmutter nahm nach ihrem Tod fast nahtlos meine mexikanische Schwiegermutter ein. Sie hatte immer Weihwasser vorrätig und bewahrte es in einer schmucklosen Limonadenflasche direkt neben ihrem Schlafzimmeraltar (Lila! Pink! Rot!) auf. Sie bespritzte meinen schwangeren Bauch und murmelte fromme Wünsche, ich ließ es geschehen. Sie entriss mir ihren neugeborenen Enkel, und tunkte ihn – kaum dass er atmen konnte – ins geweihte Wasser. Ich nahm es gleichmütig hin. Ich hatte mich, so schien es, mit der katholischen Kirche versöhnt, ja, ich konnte sogar manchem kuriosen Volksglauben etwas abgewinnen. So trug ich lange Zeit ein "milagrito”, ein kleines Wunder, im Portemonnaie – ein münzgroßes, metallenes Herz, das in mexikanischen Kirchen verkauft wird. Es hilft gegen Krebs, Durchfall und Rheuma. Und auch gegen allerlei andere Krankheiten, leider aber nicht gegen Diebstahl. Das Portemonnaie mitsamt Herz kam mir abhanden, seither geht es so schlecht und recht - auch ohne Wunder.
Ein bisschen Weihwasser in St Ottilien hätte mir also sicher nicht geschadet.
Mein Begleiter hätte einen guten Eindruck von mir behalten, er hätte mich zum Auto begleitet, sich charmant und formvollendet verabschiedet. Nun war es zu spät. Er hatte neben der Weihwasserschale in mein Innerstes geblickt. Schmallippig verließ er den gepflasterten Weg Richtung Gärtnerei. Ja … nein … vielleicht, die Unterhaltung verebbte gänzlich. Dann verabschiedete er sich mit einem verkrampften Lächeln und verschwand. Auf Wiedersehen. Aber nicht im Himmel.
Ich war keineswegs überrascht, als mein Begleiter die Hand mit dem geweihten Wasser benetzte und sich bekreuzigte. Ich wollte es ihm gleichtun, schon aus Höflichkeit, aber irgendetwas tief in meinem Innern verhinderte, dass sich meine Hand bewegte. Da war nichts zu machen. Ich spürte - ohne den Blick zu heben, dass mein Begleiter auf mich wartete. Aber es geschah einfach nichts.
Nun kann ich zu meiner Verteidigung vorbringen, dass ich ehemalige Klosterschülerin bin und von der katholischen Kirche reichlich drangsaliert wurde. Bereits im zarten Alter von sieben Jahren hatte ich resigniert beschlossen, nach meinem Tod den direkten Weg in die Hölle zu wählen. Das Fegefeuer schien mir eine Qual – die lodernden Flammen, die schmorenden Sünder – und der Himmel war sowieso unerreichbar. Ich lebte in ständiger Sünde. Gummibärchen futtern, kleine Brüder ärgern - alles, was Spaß machte, war verboten. Nur die Tatsache, dass ich sonntags zur Beichte gehen und mich schnurstracks aller Sünden der Woche entledigen konnte, machte das Leben lebenswert.
Meine bigotte Großmutter hatte eine private Weihwasserschale im Wohnzimmer und bespritzte mich, wann immer sie mich erwischte. Ich mochte es einerseits nicht besonders, andererseits konnte sie mich damit auch zwischen den Sonntagen von den Sünden reinigen, und das war praktisch.
Den Platz meiner bigotten Großmutter nahm nach ihrem Tod fast nahtlos meine mexikanische Schwiegermutter ein. Sie hatte immer Weihwasser vorrätig und bewahrte es in einer schmucklosen Limonadenflasche direkt neben ihrem Schlafzimmeraltar (Lila! Pink! Rot!) auf. Sie bespritzte meinen schwangeren Bauch und murmelte fromme Wünsche, ich ließ es geschehen. Sie entriss mir ihren neugeborenen Enkel, und tunkte ihn – kaum dass er atmen konnte – ins geweihte Wasser. Ich nahm es gleichmütig hin. Ich hatte mich, so schien es, mit der katholischen Kirche versöhnt, ja, ich konnte sogar manchem kuriosen Volksglauben etwas abgewinnen. So trug ich lange Zeit ein "milagrito”, ein kleines Wunder, im Portemonnaie – ein münzgroßes, metallenes Herz, das in mexikanischen Kirchen verkauft wird. Es hilft gegen Krebs, Durchfall und Rheuma. Und auch gegen allerlei andere Krankheiten, leider aber nicht gegen Diebstahl. Das Portemonnaie mitsamt Herz kam mir abhanden, seither geht es so schlecht und recht - auch ohne Wunder.
Ein bisschen Weihwasser in St Ottilien hätte mir also sicher nicht geschadet.
Mein Begleiter hätte einen guten Eindruck von mir behalten, er hätte mich zum Auto begleitet, sich charmant und formvollendet verabschiedet. Nun war es zu spät. Er hatte neben der Weihwasserschale in mein Innerstes geblickt. Schmallippig verließ er den gepflasterten Weg Richtung Gärtnerei. Ja … nein … vielleicht, die Unterhaltung verebbte gänzlich. Dann verabschiedete er sich mit einem verkrampften Lächeln und verschwand. Auf Wiedersehen. Aber nicht im Himmel.