Offensive des Traditionshauses
40:10 Minuten
Ein vom neuen Direktor der Pariser Oper in Auftrag gegebener Bericht empfiehlt mehr Diversität bei der Besetzung und in der Interpretation der Werke. Nun geht das renommierte Haus daran, den Vorschlag umzusetzen.
Christian Rodrigue Moungoungou sitzt in einem großen Raum in den oberen Stockwerken der Opéra Bastille auf einem schwarzen Ledersofa. Die Sonne scheint durch die breite Glasfront, durch die man auf die Dächer von Paris blickt. Vor ihm auf einem niedrigen Tisch liegt ein Stapel Fotos. Ein Bild zeigt Moungoungou als Kind im zentralafrikanischen Gabun. In seiner Heimat – so erzählt der Bariton der Pariser Oper – gibt es kein einziges Opernhaus.
Moungoungou kam Mitte der 90er als 18-Jähriger nach Frankreich. In der katholischen Einrichtung, in der er wohnte, lernte er liturgische Musik kennen. Eine Stunde pro Woche Unterricht, so erinnert er sich: "Ich habe Bach entdeckt, Bruckner, Verdi mit dem Requiem, kurz, sehr viele Komponisten. Wir hatten jemanden, der uns erklärte, was wir hörten. Es war einfacher, von der Musik berührt zu werden, weil es religiöse Musik war mit einem religiösen Text. Es ist eine Musik, die ich so besser und genauer kennengelernt habe."
Weiß zu sein, ist der Maßstab
Eigentlich studierte Moungoungou Wirtschaftswissenschaften. Aber er sang nebenbei in verschiedenen Chören, bekam kleine Solostücke.
"Ich hatte immer mehr Lust zu singen. Am Ende meines Studiums habe ich mir die Frage gestellt, ob ich mein Leben wirklich in einer Bank oder Versicherung oder dem Finanzmarkt weiterführen oder etwas anderes machen will. Ich habe mir ein Jahr gegeben, um Musik zu machen, und sagte mir: Wenn es nicht geht, habe ich schon mein anderes Diplom."
Der Plan ging auf. Seine Erfahrungen und glückliche Zufälle führten ihn über das Konservatorium in Lyon schließlich als Bariton an die Pariser Oper. Etwa 15 Jahre ist das her. Christian Rodrigue Moungoungou war damals der erste schwarze Sänger im Chor des renommierten Hauses.
Moungoungou sagt, er habe sich hier immer wohl gefühlt, und dennoch wusste er, worum es geht, als ihn letzten Sommer andere nicht-weiße Kollegen aus dem Ballett kontaktierten und von ihrer Idee eines Manifestes erzählten. Sie wollten aufmerksam machen auf ihre Situation an der Oper –mit Beobachtungen aus einer Welt, in der die weiße Hautfarbe nach wie vor Maßstab ist: für nicht-weiße Künstler gab es kein passendes Make-up, keine passenden Frisuren. Die traditionellen, hell-beigen Ballett-Strumpfhosen ließen ihre Beine grau erscheinen.
Opern mit kolonialem Blick auf die Welt
Hinzu kommt: Die Werke der Oper geben einen kolonialen Blick auf die Welt wider – mit exotischen Vorstellungen außereuropäischer Kulturen. Oft wurden Darstellern auf der Bühne die Gesichter schwarz oder gelb gemalt. Auch die Besetzungen spiegeln in keiner Weise die Diversität der heutigen Gesellschaft wider.
Kurzum: Viele nicht-weiß Künstler fühlten sich nicht wohl in dieser weiß geprägten Welt und wollten Veränderungen. In der Leitung der Oper hatte man bereits angefangen, über Diversität nachzudenken. Die Initiatoren des Manifests stießen bei Operndirektor Alexander Neef also auf offene Ohren.
"Und ich fand es ganz toll, dass sie sich geäußert haben. Dazu gehört Mut – und auch Vertrauen. Ich glaube, die hätten sich nicht geäußert, wenn sie gedacht hätten, dass die Kompanie sie zurückweist. Und was das Manifest gesagt hat, auf eine ganz bemerkenswerte Art und Weise meiner Meinung nach, ist: Wir sind Teil dieser Kompanie. Wir wollen Teil dieser Kompanie sein. Wir lieben unseren Job. Wir lieben die Werke, die wir tanzen und singen und spielen, und es gibt ein paar Punkte, über die wir reden wollen."
Das will auch Alexander Neef. Der gebürtige Schwabe ist ohnehin der Meinung, man verstehe die Stücke heute nicht mehr so wie in der Zeit, als sie geschrieben wurden.
"Ich sag immer, wenn wir eine Partitur aus dem Regal nehmen und sie aufmachen, dann können wir diese Partitur nur als Menschen des 21. Jahrhunderts verstehen. Wir können sie verstehen mit Hilfe der Musikwissenschaft, der Dramaturgie. Man kann natürlich schon ein historisches Wissen haben über dieses Stück. Aber andererseits: Man kann es nicht historisch realisieren. Wir sind kein Museum und wir sind keine Zeitreisenden. Wir gehen nicht in die Zeitmaschine und reisen zurück in die Zeit von Verdi, Mozart oder Händel und sind dann für einen Abend wieder Menschen des 18. Jahrhunderts – weder im Graben, noch auf der Bühne, noch im Publikum."
Viele wünschen sich einen anderen Umgang
Neef holte den Historiker Pap Ndiaye sowie die politische Aktivistin und Schriftstellerin Constance Rivière ins Haus. Die beiden wurden beauftragt, einen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Diversität an der Pariser Oper zu schreiben. Ndiaye beschäftigt sich auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen der Gegenwart. Er glaubt, das Manifest der Künstler war notwendig.
"Es hat gezeigt, dass diese Frage nicht nur den Direktor beschäftigt, sondern dass unter den Angestellten der Oper viele waren, die sich Änderungen wünschten. Das Manifest wurde von mehr als 400 Leuten unterschrieben. Der Erfolg kommt gleichzeitig von einer Bewegung von oben – mit der Initiative des Direktors – und einer Bewegung von unten – mit dieser Mobilisierung vor allem der Tänzer an der Oper."
Und trotzdem führte der Aufschrei der Künstlerinnen und Künstler zu Verunsicherung in der Belegschaft. Bariton Moungoungou sagt, es hätte Missverständnisse gegeben, als das Manifest herauskam. Er hat mit vielen seiner Kollegen diskutiert. Manche hätten es als Anschuldigung verstanden oder als Versuch, Quoten einzuführen. Auch Moungoungou fragten sie: "Christian, hast du was erlebt an der Oper? Ist etwas passiert? Ich habe gesagt: Nein, aber andere haben hier etwas erlebt, und ich habe ähnliches mit Leuten erlebt, die nicht an der Oper arbeiten. Wir haben also darüber geredet. Ich finde das gut. Denn auch die Leute, die mit dem Manifest nicht einverstanden waren, haben sich an mich gewandt. Ich konnte mich mit Leuten austauschen, mit denen ich vorher befreundet war und danach noch immer bin. Ich konnte erklären, warum ich das Manifest unterschrieben habe. Über diese Fragen hatten wir vorher nie gesprochen."
Benachteiligung schon vor der Aufnahmeprüfung
Auch Historiker Ndiaye konnte den Unmut bei seinen Befragungen spüren, ebenso aber die diskriminierenden Verletzungen. Ndiaye nennt als Beispiel die Aufnahmeprüfung an der Tanzschule der Oper, wo die meisten Tänzerinnen und Tänzer des Ensembles ausgebildet werden. Diese sei nicht gerecht, benachteilige nicht-weiße Kinder. Zum einen, weil sich zum Beispiel Kinder aus Frankreichs Überseegebieten wegen der Reisekosten selten bei der prestigeträchtigen Schule in Nanterre bei Paris bewerben. Aber noch etwas hat ihn und seine Kollegin bei ihren Recherchen im Haus überrascht.
"Bei der Auswahl der Kinder gibt es Vorstellungen aus einer veralteten Anthropologie, was die Körper und vor allem die nicht-weißen Körper betrifft: Wir wollen, dass diese problematische Prozedur überarbeitet wird. Wir nennen es indirekte Diskriminierung. Zum Beispiel sagt man: Schwarze Kinder haben platte Füße. Wenn man platte Füße hat, kann man schwer Spitzentanz machen."
Kritik von Rechts
Der Prozess, den die Pariser Oper angestoßen hat, gefällt nicht allen. Als die ersten Berichte an die Öffentlichkeit gelangen, twittert Marine Le Pen, Chefin des extrem rechten Rassemblement National: "Die Pseudo-Fortschrittlichen wollen im Namen eines verrückten Anti-Rassismus das Repertoire der Pariser Oper abschaffen. Das hat nichts zu tun mit Anti-Rassismus zu tun, sondern ist reiner Obskurantismus!"
Ihrem Tweet fügt sie das Video einer Schwanensee-Aufführung bei mit einem weißen Tänzer und einer weißen Tänzerin hinzu, die in einem langen weißen Kleid auf die Bühne tritt. Alexander Neef hält der Kritik der prominenten Politikerin entgegen:
"Das war natürlich alles völlig übertrieben und aus dem Kontext gerissen. Es geht eigentlich nur um eine Sache: dass wir als Pariser Oper Kunst für ein Publikum des 21. Jahrhunderts machen wollen, mit Künstlern des 21. Jahrhunderts. Das schließt eben die Diversität ein. Das heißt nicht, dass man zensiert oder abschafft oder aus dem Repertoire nimmt. Aber wenn wir keine Künstler haben, die dieses Repertoire tanzen, singen und spielen wollen, dann bleibt das Repertoire nicht am Leben. Auf Französisch sagt man so schön: spectacle vivant. Ich glaube, es gibt keine gute deutsche Übersetzung dafür, aber es lebt, es muss leben und es lebt nicht ohne die Künstler."
Doch es gibt auch im Haus Bedenken. Der Vorschlag, zum Beispiel gezielt nach Talenten in Frankreichs ärmeren Vierteln zu suchen, um das Spektrum der Künstler zu erweitern, stößt nicht überall auf Begeisterung. Elisabeth Platel etwa, Direktorin der Tanzschule der Oper, ist gegen eine solche aktive Anwerbung. Ihr Argument: Sie wolle nicht Leuten Hoffnungen machen, die es am Ende vielleicht nicht ins Ballett-Ensemble der Oper schaffen. Diese könnten der Tanzschule dann vorwerfen, dass man sie angeworben hat. So beschreibt die Zeitung "Le Monde" die Position der ehemaligen Startänzerin der Pariser Oper. Und auch Bariton Moungoungou war zunächst skeptisch, als seine Künstler-Kollegen mit dem Manifest an ihn herantraten: Es war die Zeit, als in den USA nach dem Mord an George Floyd die Black-Lives-Matter-Bewegung auf den Straßen demonstrierte.
"Ich wollte nicht, dass man die Pariser Oper auf eine Stufe mit den Ereignissen in den USA stellt. Meine Kollegen erzählten von ihren Erlebnissen und fragten mich nach meinen. Es gab diesen Text, der überarbeitet wurde. Ich habe meinen Beitrag dazu geleistet und gesagt: Das unterschreibe ich, das nicht. Für mich sollte die Philosophie sein, einen Dialog zu beginnen zwischen uns, der Leitung des Hauses und den anderen Angestellten der Oper."
"Sie müssen viel mehr arbeiten als die anderen"
"Ich habe mich an der Oper nie schwarz gefühlt", sagt Moungoungou. Bei seiner Aufnahmeprüfung war er unter 54 Bewerbern der einzige Schwarze. "Man hat mich nicht genommen, weil ich schwarz bin, oder abgelehnt, weil ich schwarz bin, sondern ich wurde genommen, weil ich während der drei Bewerbungstage der Beste von allen war."
Und dennoch: Bei all den Festivals, auf denen Moungoungou in der Welt gesungen hat, war er meistens der einzige Schwarze. Er habe diese Veranstaltungen immer als Chance gesehen dabei zu sein.
"Aber natürlich stimmt es: Wenn ich mich umgesehen habe, war da niemand, der mir ähnlich war. Ich hatte also keine Motivation zu sagen: Ich will wie dieser oder jener sein, denn da war niemand."
Bei einem Bewerbungsverfahren, das Moungoungou im kanadischen Montreal durchlief, saß die mittlerweile verstorbene, amerikanische Sopranistin Shirley Verrett in der Jury.
"Ich war der einzige Schwarze, der an der Aufnahmeprüfung teilnahm, und sie war die einzige Schwarze in der Jury. Ich bin gleich in der ersten Runde rausgeflogen. Aber sie kam zu mir und sagte mir, was gut war und was nicht. Aber vor allem hat sie mir gesagt: Sie müssen viel mehr arbeiten als die anderen. Das ist normal. Ich habe auch viel mehr gearbeitet als die anderen. Diese Welt ist bereits an der Basis sehr schwierig. Aber weil wir auch noch anders sind, wissen wir nicht, wem wir begegnen. Es gibt Menschen, für die das überhaupt nicht wichtig ist, ob man schwarz ist oder nicht – von denen habe ich viele getroffen – und dann gibt es die anderen, die es sehen. Egal ob sie es sagen oder nicht, aber man merkt es."
Black- oder Yellowfacing gibt es nicht mehr
Ein weiteres Thema ist der Umgang mit den Werken. Die Opern des 19. Jahrhunderts schildern die Welt aus der kolonialistischen Perspektive der europäischen Dominanz über den Rest der Welt. Damit heute umzugehen, ist nicht einfach, findet auch Historiker Pap Ndiaye, der selbst Opern-Fan ist.
"Wenn man sagt: Alles, was aus der Kolonisation kommt und aus einem rassistischen Blickwinkel auf die Welt, muss verworfen werden, müsste man fast das ganze Repertoire verwerfen. Wir haben uns also gegen die Idee eines Boykotts oder der Zensur von Werken entschieden. Aber die Oper muss mehrere Dinge tun: zuerst das Blackfacing verbieten, also die Darstellung von schwarz geschminkten Personen, oder das Yellowfacing für Personen, die asiatischer Herkunft sein sollen."
Noch vor zwei Jahren, erzählt Pap Ndiaye, sei zum Beispiel der Diener von Violetta in der Aufführung von "La Traviata" an der Pariser Oper schwarz geschminkt worden. Jetzt freut sich der Historiker darüber, dass die Oper angekündigt hat, das Black- oder Yellowfacing zu verbieten. Gleichzeitig schlagen Ndiaye und seine Kollegin in dem Bericht zur Diversität an der Oper vor, die Werke in ihren Zusammenhang zu setzen – mit begleitenden Broschüren oder Ausstellungen. Das Libretto von Turandot, Madame Butterfly, Aida oder Othello soll nicht verändert werden, aber: "Die Betonung, die Art wie man spricht, Ironie, der Humor, alles das kann eine Rolle spielen für die Bedeutung des Textes. Der Text ist nicht nur das Geschriebene, sondern auch die Art, wie er gesprochen oder gesungen wird."
Auch Ballettaufführungen sollen kritisch überarbeitet werden: Pap Ndiaye nennt den Nussknacker, Petruschka oder Raimonda, in denen immer wieder Stereotypen aus nicht-europäischen Ländern auftauchen. Ndiaye appelliert an die Fantasie der Regisseurinnen und Regisseure, diese historischen Werke in einen aktuellen Zusammenhang zu setzen.
Sich mit den Werken kritisch auseinandersetzen
Zuletzt wurde an der Pariser Oper Aida aufgeführt. Die niederländische Regisseurin Lotte de Beer lässt in ihrer Inszenierung die äthiopische Königstochter Aida von einer lebensgroßen Puppe spielen. Die Gliedmaßen der rudimentär zusammengesetzten, roboterartigen Marionette werden von drei Personen bewegt. Wie lebensecht lassen sie Aida knien, aufstehen, laufen – dabei bewegen sie sich möglichst unauffällig, in schwarz gekleidet, immer an der Seite der Puppe. Ihre Stimme bekommt Aida von einer Sopranistin, die hinter oder neben der großen Marionette steht. Pap Ndiaye gefällt die Inszenierung.
"Das ist eine Idee. Viele andere sind möglich. Man wird nicht alle Opernszenen mit Marionetten besetzen. Ich fand diese Aida-Inszenierung wirklich bemerkenswert. Dazu noch besetzt mit bewundernswerten Sängern. Es war klasse zu sehen, was die Regisseurin mit diesem Stück von 1871 gemacht hat, das typisch ist für die Epoche mit der Eröffnung des Suezkanals, der britischen und dann der französischen Präsenz in Ägypten. All das ist sehr gut gemacht, denn Aida spielt in der Zeit der Pharaonen, aber die Regisseurin geht auf Distanz, indem sie Aida in die gegenwärtige Zeit versetzt. Wir haben hier etwas Innovatives und kein Blackfacing."
Für Operndirektor Alexander Neef ist die Inszenierung ein Beleg von vielen, dass schon lange eine kritische Auseinandersetzung mit den Werken in Gange ist. "Die generelle Tendenz ist schon heute mehr und mehr das Verstehen-Wollen dieser Werke – und wenn es um Exorzismus geht und um Kolonialismus und all diese Fragen, die wichtig sind, dass man auch unserem Publikum heute erklären will und muss vielleicht sogar, wie diese Zeit überhaupt war. Wir wissen es heute nicht mehr. Eine Zeit, in der alle europäischen Nationen Kolonien hatten, ist uns heute sehr fremd. Und man muss immer eine Brücke bauen – zu einem Verständnis, das eben das Verständnis des Werkes bei seiner Uraufführung ist, zu einem Publikum heute, das nicht mehr diesen Hintergrund hat."
Wenn die weiße Schminke grau aussieht
Wie sich all diese Fragen im Alltag nicht-weißer Künstlerinnen und Künstler an der Oper niederschlagen, hat auch Bariton Moungoungou erfahren. Er nennt das Beispiel einer Aufführung von Madame Butterfly: Alle Mitwirkenden hatten ein stilisiertes Make-up, das an Asien beziehungsweise Japan erinnerte. Alle bekamen weiße Gesichter und lange Wimpern. Es gibt in dem Stück eine kleine Rolle für einen Bariton, die an den Chor vergeben wurde.
"Ich bin Bariton. Ich habe mir gesagt: Diese Rolle kriege ich nie, denn das wird zu kompliziert mit dem Make-up. Aber was lustig ist: Ich habe davor schon bei Madame Butterfly gespielt" Allerdings nicht an der Pariser Oper, sondern bei einer anderen Inszenierung. Moungoungou zieht ein Foto aus den Stapel an Bildern vor sich. Es zeigt ihn in einem rot-schwarzen Kimono, das Gesicht ganz weiß geschminkt, von roten und schwarzen Linien durchbrochen.
"Wenn man mir weiße Schminke auf die Haut aufträgt, wird die nach einiger Zeit grau. Man muss also wieder Puder auftragen – und Schminke und wieder Puder und Schminke, damit das weiß wirklich weiß bleibt. Man braucht also zusätzliche Stunden zum Schminken."
Auch Kurioses hat der Bariton in diesem Zusammenhang erlebt: "Ich habe bei einer Produktion mitgemacht. Und ein Jahr später hat mir ein anderer Teilnehmer erzählt, dass ich ein Solo nicht bekommen habe, weil ich schwarz bin, was bizarr war: Es ging um die Rolle des Bösen und man wollte mir die Rolle angeblich nicht geben, weil man nicht rassistisch wirken wollte, wenn man die Rolle des Bösen mit einem Schwarzen besetzt. Es war also fast nett, mir diese Rolle nicht zu geben."
Um generell mehr Künstler unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe an die Oper zu bringen, kann sich Historiker Ndiaye durchaus eine gezielte Förderung vorstellen, wenn die entsprechende Qualifikation vorliegt.
"Die Frage der Exzellenz wird oft gegen die Diversität genutzt. In den 1970er-Jahren als die ersten Musiker anderer Herkunft in die Orchester kamen, hat man gesagt, das werde das Niveau der Orchester absenken. Die Idee des Anspruchs wurde immer gegen die Minderheiten verwendet."
Davon will auch Opernleiter Neef weg. Allerdings will er dafür nicht auf Konzepte zurückgreifen, die man aus der Gleichstellung von Mann und Frau kennt – wie der Zusatz in Stellenausschreibungen, dass bei gleicher Qualifikation die Stelle an eine Frau geht.
Diversifizierung ist ein Prozess
"Es ist ein bisschen subtiler, glaube ich. Es geht wirklich darum, Menschen von einem diversen Background zu inspirieren, zu sagen: Wir sind auch ein Ort für Euch. Und es geht nicht nur um die Künstler, es geht auch ums Publikum. Und das eine hängt mit dem anderen sehr zusammen. Man kann sein Publikum nicht diversifizieren, wenn man die Künstler und die Kunst nicht diversifiziert."
Trotz aller Bedenken und Widerstände ist Neef zuversichtlich, dass die Pariser Oper zu mehr Diversität kommen wird. Er glaubt, das Talent der diversen Künstler wird letztendlich auch die Skeptiker überzeugen. Für den Operndirektor ist diese Entwicklung eine langfristige Perspektive: "Dieser Rapport, sage ich immer ist ein Anfang und kein Ende. Und der ganze Prozess hat kein Ende."
Bariton Christian Rodrigue Moungoungou schiebt die Bilder aus seinem Leben als schwarzer Bariton in einer weißen Welt zurück in die Fototasche. Für ihn ist letztendlich nicht eine genaue Verteilung zwischen nicht-weißen und weißen Künstlern an der Oper wichtig, sondern dass sich Menschen unterschiedlichster Hautfarbe willkommen fühlen und keine Angst haben, sich zu bewerben. Seinen eigenen Weg sieht er dabei durchaus als Beispiel, wie das gelingen kann.
"Zu keinem Moment habe ich mir gesagt: Wenn ich schwarz bin, werden sie mich an der Oper Paris vielleicht nicht nehmen. Bei keiner Aufnahmeprüfung habe ich mir diese Frage gestellt. Ich habe die Prüfungen gemacht, weil das der Weg für alle Künstler ist. Wenn ich gesehen habe, dass alle um mich herum weiß sind, hat mich das nicht davon abgehalten. Ich habe es gemacht wie alle: Hier gibt es ein Vorsingen: Okay, dann gehe ich auch hin."