Dlf-Kultur-Spontankonzert mit Mitgliedern des DSO Berlin

Musik geht auf Distanz

Das Blechbläserquintett des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin mit Antonio Adriani, Falk Maertens, Raphael Mentzen, Johannes Lipp und Andreas Klein
Das Blechbläserquintett des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin mit Antonio Adriani, Falk Maertens, Raphael Mentzen, Johannes Lipp und Andreas Klein © Susann Ziegler/DSO Berlin
Moderation: Volker Michael · 30.04.2020
Ein altes Strukturprinzip: Musik erklingt aus verschiedenen Richtungen des Raumes - ein aktuelles Thema: Musikerinnen und Musiker spielen in sicherer Entfernung voneinander. Mitglieder des DSO Berlin geben ein gutes Beispiel in Viruszeiten.
Der Ursprung der Musik ist vielstimmig. Genauso wie uns Klänge in der Natur räumlich begegnen, haben auch die alten Meister ihre Werke mit vielen verschiedenen Melodielinien quasi in den Raum hinein verteilt. Dass Räumlichkeit ein strukturelles Prinzip sein kann wie auch ein direktes Thema in der Musik, machen sich die Musikerinnen und Musiker des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin in ihrem ersten Ensemblekonzert im Deutschlandfunk Kultur zunutze - nicht nur aus aktuellem Anlass.
Es ist äußerst attraktiv, wenn sich die Interpreten in Distanz zueinander im Raum verteilen und mit der größeren Entfernung voneinander spielen können.
Ein Notenständer mit Notenblättern steht vor den bunten Kirchenfenstern.
Weiter Raum für Musik bietet die Jesus Christus Kirche in Berlin-Dahlem.© Deutschlandradio / Cornelia de Reese
Die einfachste Form des räumlichen Klangs ist das Echo, das immer auch etwas Papageienhaftes hat. Amüsant und ironisch ist das Streichsextett Joseph Haydns, das dezidiert von drei Streichtrios in unterschiedlichen Räumen (eines Schlosses) aufzuführen ist. Vergnüglich spielt der für seinen Humor bekannte Klassiker mit den Möglichkeiten, die ihm die physikalischen Gesetze bieten, um musikalische Figuren durch Wiederholung abzuwandeln.

Solo als Extremdistanz

Der Live-Abend aus der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem beginnt mit drei kurzen Canzonetten und Madrigalen des englischen Komponisten Thomas Morley. Sie erzählen von feuriger Liebe und der Kraft der Kunst, Unfassbares in schwierigen Zeiten auszudrücken. Darauf folgen direkt zwei Sätze der C-Dur-Cellosuite von Johann Sebastian Bach.
Der 1. Solo-Cellist des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, Valentin Radutiu.
Der 1. Solo-Cellist des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, Valentin Radutiu.© Peter Adamik/DSO Berlin
Dieser Komponist erschließt mit seiner Musik weite innere Räume. Zugleich ist gerade der konzertierende Solist ein besonders starkes Symbol für die Distanz, die ein einzelner Mensch braucht, um sich den anderen Zeitgenossen mitzuteilen, die ihm zuhören. In diesem Fall geschieht das allein über den Weg der Radio-Live-Übertragung.

Sinfonie unerreichbar weit

Dass Anton Bruckner Organist war und er durch den halligen Klangraum einer großen Kirche geprägt wurde, merkt man seinen Sinfonien besonders an, nicht nur weil er die nachklingende Pause in diese Sinfonien hineinkomponiert hat.
Leere Klappstühle stehen vor den Kirchenfenstern mit Blick in den modernen Kirchenraum hinein.
Blick von der Orgelempore in den Kirchenraum der Jesus Christus Kirche Berlin-Dahlem.© deutschlandradio / Cornelia de Reese
Sein Streichquintett spielen die Mitglieder des DSO in Auszügen auch deshalb, weil es die unüberbrückbar große Distanz zeigt, die momentan zwischen dem Traum und der Wirklichkeit liegt, eine Sinfonie mit den Kolleginnen und Kollegen aufführen zu können.

Orient und Okzident

Dass Distanzen und deren Überbrückung auch heutige Komponisten beschäftigen, demonstrieren die Mitglieder des DSO Berlin in vier weiteren Werken. Der koreanische Wahl-Berliner Isang Yun versuchte mit seinen Ost-West-Miniaturen für Oboe und Violoncello die Entfernung zwischen den Kulturen zu verringern. Das funktioniert bekanntermaßen am besten, indem man sich gegenseitig zuhört.

Entfernt und geliebt

Das wichtigste Thema in der Musik ist die Liebe zu entfernten Menschen - ein Beispiel ist das Werk "Mariel" für Marimbaphon und Violoncello von Osvaldo Golijov. Der argentinische Komponist erinnert sich an seinen verstorbenen Freund. Sympathie überbrückt die größtmögliche Distanz zwischen Lebenden und Toten. Stärker noch als bei den meisten musikalischen Stücken, die sich mit der "entfernten" Geliebten beschäftigen.

Musik ist ambivalent

Die kühle Realität und die strahlende Welt des Glaubens rufen die Blechbläser in Erinnerung mit dem kurzen Werk "Call (St. Louis Fanfare)" von Luciano Berio und der "Fanfare mit Hallelujas" aus dem Blechbläserquintett von Robert Beaser.
Eine Posaune steht auf einem Ständer neben einem Kabelgewirr.
Auf den Einsatz wartend...© deutschlandradio / Cornelia de Reese
Eine Fanfare ist eine Eröffnung - sie ruft die Menschen zusammen aus der Ferne. Sie ist eine Kommunikation aus dem Raum und wirkt zugleich in den Raum hinein. Im Anschluss kann etwas Unangenehmes passieren (militärischer Ruf) oder auch ein Fest beginnen (zurzeit untersagt). Musik ist immer ambivalent.
Live aus der Jesus-Christus-Kirche, Berlin-Dahlem
Thomas Morley
Drei Canzonettes (bearbeitet von Johannes Lipp und John Beyrent)

Blechbläserquintett des DSO Berlin

Johann Sebastian Bach
Prélude et Sarabande aus der Suite Nr. 3 C-Dur BWV 1009

Valentin Radutiu, Violoncello

Joseph Haydn
Divertimento für zwei Streichtrios Es-Dur Hob II:39 "Echo"

Wei Lu, Eva Schönweiß, Erste Violine
Clemens Linder, Johannes Watzel, Zweite Violine
David Adorjan, Adele Bitter, Violoncello

Luciano Berio
"Call (St. Louis Fanfare)"

Blechbläserquintett des DSO Berlin

Isang Yun
East west miniature II (1993)

Thomas Hecker, Oboe
Mischa Meyer, Violoncello

Anton Bruckner
Andante aus dem Streichquintett WAB 112

Marina Grauman, Eva Schönweiß, Violine
Annemarie Moorcroft, Sarina Zickgraf, Viola
Mischa Meyer, Violoncello

Osvaldo Golijov
"Mariel"

Henrik Schmidt, Marimbaphon
Adele Bitter, Violoncello

Robert Beaser
"Fanfare with Alleluias" aus dem Brass Quintet (2000)

Blechbläserquintett des DSO Berlin:
Falk Maertens, Raphael Mentzen, Trompete
Antonio Adriani, Horn
Andreas Klein, Posaune
Johannes Lipp, Tuba

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