Dmitrij Schostakowitsch am Klavier

Der Komponist als Interpret

33:58 Minuten
Der Komponist Dimitri Schostakowitsch arbeitet 1941 in seiner Wohnung an der Niederschrift der 7. Symphonie C-Dur (Leningrad) op.60
Dimitrij Schostakowitsch 1941 in seiner Wohnung am Klavier. © picture-alliance / akg-images
Von Elisabeth Hahn |
Dmitrij Schostakowitsch war nicht nur Komponist, sondern auch ausgebildeter Pianist. Er hat vor allem eigene Werke regelmäßig aufgeführt. Der Dirigent Nikolai Malko schrieb, Schostakowitschs Klavierspiel sei „eher überraschend als bewundernswert“.
Konzentriert, ohne große Gesten, fast statisch sitzt Schostakowitsch am Klavier - und spielt doch mit rasendem Tempo und Temperament. Sehen kann man das in einer der raren Videoaufnahmen. Mehr Aufschluss über Schostakowitsch als Interpreten geben die vielen Tondokumente. Den Großteil seiner Werke für Solo-Klavier und Klavier-Kammermusik kann man da hören – mit Schostakowitsch am Klavier. Unter seinen Kammermusikpartnern sind namhafte Musiker wie David Oistrach, Daniel Shafran, Maxim Schostakowitsch, das Moskauer Beethoven-Quartett und Miecyszlaw Weinberg. Nur zwei Monate nach der Uraufführung der 10. Sinfonie von Schostakowitsch nehmen die beiden Freunde das Werk gemeinsam auf – in einem Arrangement für Klavier zu vier Händen. Schostakowitsch sitzt links, Weinberg rechts am Klavier.
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Der Komponist Mieczysław Weinberg© http://www.weinbergsociety.com

"Wie macht er das?"

Im Mai 1926 leitet der Dirigent Nikolai Malko die Uraufführung der 1. Sinfonie von Schostakowitsch in Leningrad. Kurze Zeit später komponiert der 20-jährige Schostakowitsch seine 1. Klaviersonate. Später schreibt Malko:
"Die Tastatur bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Seine Finger spielten wie durch ein Wunder, es gelang ihnen alles. Die Aufführung seiner ersten Sonate sorgte immer für hochgezogene Augenbrauen. Ich dachte, die Sonate wäre unspielbar für einen Pianisten (…) Wenn ich Schostakowitsch darum bat, die Sonate anderen vorzuspielen, war der Effekt immer der gleiche: Verwunderung: 'Wie macht er das?'"
Ein enormes Gedächtnis hat Schostakowitsch – darüber hinaus sorgt er regelmäßig für Erstaunen, wenn er schwierige und unbekannte Partituren am Klavier mühelos primavista, also vom Blatt spielt. Der Traum einer Pianistenkarriere begleitet Schostakowitsch ein Leben lang.

Abgeschreckt von den Noten

Dmitrij Schostakowitsch wächst in einem musikalischen Haushalt auf. Sein Vater ist zwar kein Profi, aber er singt gern und spielt Klavier – und das außerordentlich gut vom Blatt. Seine Frau, Sofia Schostakowitsch, ist ausgebildete Pianistin und hat einige Klavierschüler, die sie kostenlos unterrichtet. Ihren eigenen Kindern gibt sie ab dem 9. Lebensjahr Klavierunterricht. Als Dmitrij an der Reihe ist, weigert er sich – vor allem die Noten schrecken ihn ab. Als er sich dann doch bereit erklärt, entdeckt seine Mutter schnell das große Talent ihres Sohnes. In dieser Zeit beginnt er auch mit dem Komponieren. Dmitrij bekommt Unterricht beim berühmten Klavierpädagogen Ignatiy Glyasser. Der bringt dem jungen Schostakowitsch eine solide Klaviertechnik bei – seinen Kompositionen aber steht er skeptisch gegenüber.

Gute Laune mit Tanzmusik

1917 wechselt Schostakowitsch zu Alexandra Rozanova am Konservatorium in St. Petersburg. Sie interessiert sich für seine Kompositionen und legt nicht nur Wert auf eine technische Ausbildung, sondern auch auf Klang und Interpretation. Der heranwachsende Klavierschüler unterhält seine Freunde mit Improvisationen und sorgt regelmäßig für gute Laune, wenn er spontan Tanzmusik auf dem Klavier improvisiert. Mit 13 Jahren erhält er auch Kompositionsunterricht bei Maximilian Steinberg. Er spielt und hört in dieser Zeit sehr viel Musik, besonders gern spielt er mit seinen Mitschülern Arrangements für vier Hände – eine Leidenschaft, die ihn sein ganzes Leben lang begleiten wird.
1920 wechselt er zum renommierten Klavierprofessor Leonid Vladimirowitsch Nikolayev. In der Klavierklasse von Nikolayev studieren neben Schostakowitsch auch die später weltbekannten Pianisten Maria Yudina und Vladimir Sofronitsky. Das Repertoire von Schostakowitsch umfasst Klavierkonzerte von Chopin und Tschaikowsky, Klaviersonaten von Liszt, Scriabin, Prokofjew oder Beethoven. Dessen anspruchsvolle Hammerklaviersonate spielt er mit gerade mal 15 Jahren.

Job als Stummfilmbegleiter

Nach seinem Diplom am Konservatorium darf Schostakowitsch das Klavierstudium im Rahmen eines akademischen Kurses nicht fortsetzen – warum, das bleibt unklar. Für den 17-jährigen bricht eine Welt zusammen. Sein Klavierprofessor Nikolayev ist entsetzt – und gibt ihm weiterhin kostenlosen Unterricht. Später beginnt Schostakowitsch ein Aufbaustudium im Fach Komposition. Vor allem aber ist er in einer finanziellen Notlage, sein Vater ist gestorben und Schostakowitsch muss dringend Geld verdienen. Zwei Jahre lang jobbt er als Pianist an mehreren Stummfilmkinos. Er arbeitet bis zur Erschöpfung.

Enttäuschung in Warschau

1925 kann er diese ungeliebte Arbeit beenden, wenig später wird seine 1. Sinfonie uraufgeführt – mit einem Schlag ist Schostakowitsch berühmt. Trotzdem ist ihm noch nicht klar, für welche Profession er sich entscheiden soll: Klavier oder Komposition. 1927 bietet sich ihm eine große Chance. Er darf teilnehmen am Ersten Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau. Nur einen Monat hat er Zeit für die Vorbereitung. Schostakowitsch schließt sich ein, konzentriert sich nur aufs Üben. Beim Wettbewerb in Warschau nehmen 32 Kandidaten teil. Doch der große Erfolg bleibt aus, Schostakowitsch erhält lediglich ein Ehrendiplom – für den ehrgeizigen Pianisten ist das eine herbe Niederlage. In den nächsten Jahren tritt seine Pianistenkarriere mehr und mehr in den Hintergrund. Nach 1928 lernt er kein neues Repertoire mehr, 1930 tritt er das letzte Mal mit Musik von anderen Komponisten auf.

Musizieren als Lebenselixier

Von nun an spielt er hauptsächlich eigene Werke. Es entstehen seine 24 Präludien für Klavier op. 34 und das erste Klavierkonzert – Schostakowitsch geht mit seinen Werken auf Tournee durch die Sowjetunion und die Türkei. Als Interpret promoted er nicht nur seine Kompositionen, sondern hat damit auch ein Einkommen, schließlich hat er inzwischen selbst eine Familie. Ab 1937 unterrichtet er Komposition am Konservatorium in Leningrad. Für ihn ist es selbstverständlich, dass ein Komponist auch ein guter Pianist sein muss.
Schostakowitsch tritt nun mit bedeutenden sowjetischen Musikern auf. Mit dem Moskauer Beethoven-Quartett spielt er sein Klavierquintett, mit David Oistrach und Miloš Sádlo nimmt er sein 2. Klaviertrio auf. Das gemeinsame Musizieren ist für Schostakowitsch ein Lebenselixier – und viel wichtiger als die Konzerte, bei denen er oft mit Lampenfieber kämpft.
David und Igor Oistrach in London am 2. Februar 1961.
David Oistrach und sein Sohn Igor Oistrach in London am 2. Februar 1961.© imago /Zuma/Keystone
In den 1950-er Jahren spielt Schostakowitsch viele Konzerte – auch, um seine Familie zu ernähren. Denn der Tod seiner Frau Nina macht ihn plötzlich zum alleinerziehenden Vater zweier Kinder, auch der Tod seiner Mutter trifft ihn hart. Die Konzerttourneen strengen Schostakowitsch sehr an. In der gesamten Sowjetunion, aber auch im Ausland spielt er seine Klavier – und Kammermusik, darunter auch sein 2. Klavierkonzert oder die Präludien und Fugen.

Im Duo mit David Oistrach

Schostakowitsch tritt später zwar nicht mehr öffentlich auf, spielt jedoch weiterhin mit Freunden und Kollegen zusammen und stellt ihnen seine neuen Kompositionen am Klavier vor. Eine letzte Aufnahme mit ihm entsteht im Jahr 1968. In seiner Wohnung spielt er gemeinsam mit David Oistrach seine Violinsonate op. 134. Man hört deutlich, dass Schostakowitsch hier den technischen Anforderungen in den virtuosen Passagen nicht mehr gewachsen ist – trotzdem ist diese private Aufnahme ein faszinierendes Dokument und ein Beweis für den hartnäckigen Schöpfergeist von Schostakowitsch.
Das undatierte Archivbild zeigt den russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch während eines Besuches in Berlin.
Der russische Komponist Dmitrij Schostakowitsch© dpa - Report
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