Indie-Musik-Szene im Libanon
Es gibt keine Infrastruktur, keine Stipendien, keine geförderte Kulturpolitik. Als Musiker im Libanon zu bestehen, ist ein hartes Geschäft. Einige versuchen dennoch, für und von ihrer Leidenschaft zu leben.
Die Armenia Street im christlich geprägten Viertel Mar Mikhael an einem Samstag Abend. Eine Bar reiht sich an die andere. In jeder dritten steht eine kleine Band auf der Bühne. Musik dröhnt. Bier fließt. Junge Leute in Jeans, kurzen Röcken, mit modischen Frisuren stehen feiernd auf dem Gehsteig. Auf der Straße staut sich der Verkehr. SUVs, Porsche, rostige alte Karren, Mopeds. Wer feiern will, fährt hierher. So westlich wie hier ist der Nahe Osten außerhalb von Israel wohl nirgendwo. Wir sind mit Malek Rizkallah verabredet. Er ist Schlagzeuger der Band "Who Killed Bruce Lee", eine der derzeit angesagtesten Rockbands im Libanon.
Lässig begrüßt uns Malek vor der Bar Internazionale. Ein smarter Typ mit Wuschelkopf, der immer wieder jemandem zuwinkt. Jeder kennt ihn hier, er kennt jeden. Die Indie-Szene ist sehr übersichtlich. Für Malek und seine Band ist das ein Problem.
"Libanon ist so klein. Und es ist einfach nicht sexy, zwei Abende hintereinander in zwei verschiedenen Clubs vor denselben Leuten zu spielen. Da kann man keine Tour spielen. Das ist, als würde ich in verschiedenen Zimmern in meinem Haus auftreten."
In Jordanien gibt es noch eine kleine Szene, in den Emiraten können sie ab und zu auftreten. Mehr gibt es derzeit nicht in der Region. Israel würde von Musik und Lifestyle noch am ehesten passen für die libanesischen Rockmusiker. Aber die ständigen Kämpfe und Kriege zwischen Israel und dem Libanon verhindern mögliche Aufritte für sie in Tel Aviv oder Haifa. Und der Musikmarkt des anderen Nachbarn Syrien existiert nicht mehr.
"Libanon ist so klein. Und es ist einfach nicht sexy, zwei Abende hintereinander in zwei verschiedenen Clubs vor denselben Leuten zu spielen. Da kann man keine Tour spielen. Das ist, als würde ich in verschiedenen Zimmern in meinem Haus auftreten."
In Jordanien gibt es noch eine kleine Szene, in den Emiraten können sie ab und zu auftreten. Mehr gibt es derzeit nicht in der Region. Israel würde von Musik und Lifestyle noch am ehesten passen für die libanesischen Rockmusiker. Aber die ständigen Kämpfe und Kriege zwischen Israel und dem Libanon verhindern mögliche Aufritte für sie in Tel Aviv oder Haifa. Und der Musikmarkt des anderen Nachbarn Syrien existiert nicht mehr.
Hier im Libanon wird Indie gerade zum Mainstream, sagt Malek, aber was nützt es, wenn es zu wenig Publikum gibt, um sich einen Lebensunterhalt damit zu finanzieren? Und es auch für Künstler, wie im gesamten Libanon, kaum Rechtssicherheit gibt.
"Es gibt keine Gesetze gegen diese Piraterie. Niemand findet das falsch, keine Behörde, keine Regierung sagt den Leuten, dass es nicht ok ist Raubkopien zu machen."
Und deswegen verkaufen "Who killed Bruce Lee" genau wie meisten anderen Rockbands in Beirut fast keine Tonträger oder Downloads, obwohl sie so bekannt sind, dass Malek beim Weitergehen ein kleines Kreischkonzert zweier junger Frauen entfesselt. Höflich hält er Smalltalk mit seinen Fans und bringt uns dann in den Yunkunkun Club.
Arabischer Sound mit westlichen Einflüssen
Auf der Bühne des gewölbeartigen Kellerclubs sitzt Youmna Saba mit ihrer kleinen Band. Youmna spielt Oud, eine klassische libanesische Laute, ihre Mitmusiker jagen Gitarren und Bassounds durch eine Armada von Effektgeräten – so verbinden sie traditionellen arabischen Sound mit westlichen, psychedelischen Einflüssen. Die Musik wabert, die 25 Zuschauer sitzen im Schneidersitz auf dem Boden und lauschen respektvoll.
Nach dem Konzert überreden wir Youmna zu einem Interview. In einem Land, dessen Bevölkerung Arabisch, Englisch und Französisch spricht, sich aus drei verschiedenen Religionsgruppierungen zusammensetzt, wie definiert man da einen typisch libanesischen Sound, eine ureigene musikalische Identität, wollen wir wissen?
"Diese Verschmelzung, sich nicht nur eine Musikfarbe rauszusuchen sondern viele, das ist typisch libanesisch. Denn der Libanon selbst ist ja auch eine Mischung aus vielen Kulturen. Es gibt viele verschiedene musikalische Traditionen und auch Experimente innerhalb dieser Stile. Deswegen ist dieses genreübergreifende das typisch libanesische und nicht ein bestimmtes Genre."
Youmna Saba lebt für ihre Musik. Aber von ihrer Musik zu leben, ist auch für sie schwer. Der Krieg in Syrien trifft sie persönlich dabei besonders hart. Alle ihre Kontakte in die Region sind abgebrochen. Das ist für sie nicht zuletzt deswegen bitter, da ihr Mix aus Tradition und Moderne gerade in Damaskus gut ankam.
"Vor dem Krieg boomte die Musikszene in Syrien, es gab große Schritte in Richtung einer modernen Szene für arabische Musik. Vor dem Krieg dachte ich, vielleicht kann ich nach Syrien ziehen und dort Musik studieren oder mit syrischen Musikern arbeiten und hin – und her pendeln, aber diese Option gibt es jetzt nicht mehr."
"Diese Verschmelzung, sich nicht nur eine Musikfarbe rauszusuchen sondern viele, das ist typisch libanesisch. Denn der Libanon selbst ist ja auch eine Mischung aus vielen Kulturen. Es gibt viele verschiedene musikalische Traditionen und auch Experimente innerhalb dieser Stile. Deswegen ist dieses genreübergreifende das typisch libanesische und nicht ein bestimmtes Genre."
Youmna Saba lebt für ihre Musik. Aber von ihrer Musik zu leben, ist auch für sie schwer. Der Krieg in Syrien trifft sie persönlich dabei besonders hart. Alle ihre Kontakte in die Region sind abgebrochen. Das ist für sie nicht zuletzt deswegen bitter, da ihr Mix aus Tradition und Moderne gerade in Damaskus gut ankam.
"Vor dem Krieg boomte die Musikszene in Syrien, es gab große Schritte in Richtung einer modernen Szene für arabische Musik. Vor dem Krieg dachte ich, vielleicht kann ich nach Syrien ziehen und dort Musik studieren oder mit syrischen Musikern arbeiten und hin – und her pendeln, aber diese Option gibt es jetzt nicht mehr."
Künstler haben keinen Einfluss
Am nächsten Tag. Der Beiruter Songwriter Charlie Rayne, den wir mal auf einem Festival in Deutschland kennengelernt haben, holt uns mit seinem alten Renault ab.
"Wir fahren jetzt nach Batroun. Das ist der Ort, an dem das jährliche Alternative-Festival "WickerPark" stattfindet. Wir treffen den Gründer des Festivals und schauen uns das Feld an, auf dem das stattfindet. Das ist direkt neben seinem Haus."
Aber was heißt nach Batroun entlang der Mittelmeerküste fahren? Eher kriechen. Der Stau ist gnadenlos. Wir brauchen Stunden für die 50 Kilometer. Charlie sitzt in Shorts und Schlappen am Steuer und meint lapidar, heute sei wohl etwas mehr Verkehr. Charlie ist ein begnadeter Folkmusiker, der klingt wie der junge Bob Dylan.
Im Moment lebt Charlie wieder bei seinen Eltern, um Geld zu sparen, während er sein zweites Album aufnimmt. Sie gehören eher zu den Wohlhabenden im Libanon. Wir haben den Eindruck, dass das für die meisten der Musiker und Bands gilt, die wir bisher kennengelernt haben: Ohne finanzielle Unterstützung der Familie geht es nicht.
"Kunst leidet hier unter Elitismus. Viele hier denken, dass Kunstmärkte und ähnliches was für reiche Kids sind. Die Bourgeoisie macht ne Show. Ist schon was dran. Denn um hier irgendwie Kunst zu machen, musst Du wenigstens etwas Geld haben. Ohne hast Du keinen Zugang und keine Zeit."
Von staatlicher Seite gibt es keine Förderung für die junge Indie-Szene, sagt Charlie schulterzuckend, während er sich auf die überfüllte Autobahn schiebt. Die stets wacklige libanesische Regierung aus Sunniten, Schiiten und Christen hat ganz andere Probleme, als sich ernsthaft um Kulturpolitik zu kümmern.
"Wir fahren jetzt nach Batroun. Das ist der Ort, an dem das jährliche Alternative-Festival "WickerPark" stattfindet. Wir treffen den Gründer des Festivals und schauen uns das Feld an, auf dem das stattfindet. Das ist direkt neben seinem Haus."
Aber was heißt nach Batroun entlang der Mittelmeerküste fahren? Eher kriechen. Der Stau ist gnadenlos. Wir brauchen Stunden für die 50 Kilometer. Charlie sitzt in Shorts und Schlappen am Steuer und meint lapidar, heute sei wohl etwas mehr Verkehr. Charlie ist ein begnadeter Folkmusiker, der klingt wie der junge Bob Dylan.
Im Moment lebt Charlie wieder bei seinen Eltern, um Geld zu sparen, während er sein zweites Album aufnimmt. Sie gehören eher zu den Wohlhabenden im Libanon. Wir haben den Eindruck, dass das für die meisten der Musiker und Bands gilt, die wir bisher kennengelernt haben: Ohne finanzielle Unterstützung der Familie geht es nicht.
"Kunst leidet hier unter Elitismus. Viele hier denken, dass Kunstmärkte und ähnliches was für reiche Kids sind. Die Bourgeoisie macht ne Show. Ist schon was dran. Denn um hier irgendwie Kunst zu machen, musst Du wenigstens etwas Geld haben. Ohne hast Du keinen Zugang und keine Zeit."
Von staatlicher Seite gibt es keine Förderung für die junge Indie-Szene, sagt Charlie schulterzuckend, während er sich auf die überfüllte Autobahn schiebt. Die stets wacklige libanesische Regierung aus Sunniten, Schiiten und Christen hat ganz andere Probleme, als sich ernsthaft um Kulturpolitik zu kümmern.
"Es gibt keine Infrastruktur, die Künstler unterstützt, es gibt keine Stipendien, keine Darlehen, es gibt gar keine Unterstützung von der Regierung. Deswegen ist das alles sehr Do-It-Yourself."
Libanesische Do-It-Yourself-Kultur
In Batroun bekommen wir einen Eindruck davon, wie viel Kraft diese Do-It-Yourself-Kultur entfalten kann. Charlie parkt seinen Wagen vor einem weißen alten Landhaus direkt am Meer. Zum Haus gehört das Feld, auf dem jedes Jahr das "WickerPark" Festival steigt. Junior Daou hat es gegründet. Das Haus am Meer ist sein Elternhaus. Das Feld hat ihm sein Vater überlassen, als Junior vor sechs Jahren fand, es sei an der Zeit, ein Event auf die Beine zu stellen, das der lokalen Szene im Wortsinne eine Bühne gibt.
"Wir hatten nur eine Band mit eigenem Material. Es gab nicht viele davon, und nur eine, die wir uns leisten konnten. Die waren etwas größer und wir ganz klein. Wir wussten nicht, was wir taten. Bis heute weiß ich nicht, wie es geklappt hat. Es ging ohne Anstrengung. Später hatte ich Probleme, die beim ersten mal nicht aufgekommen sind, und ich hab mich gefragt, wie haben wir das gemacht?"
Mit Kippe im Mundwinkel, Sonnenbrille auf der Nase und einem ironischen Lächeln auf den Lippen, lässt Junior Daou seinen Blick über das Festivalgelände streifen. Die Brandung klatscht an die Steilküste, Möwen kreisen, in der Ferne baden Kinder an einem kleinen Strand. Ein schöner Ort. Während Open Air Veranstalter in Europa mit der TÜV-Abnahme oder der richtigen Menge der Toilettenhäuschen kämpfen, sind die Probleme hier anderer Natur.
"Jedes Jahr ist was anderes. Aus dem Nichts. Einmal drohte die USA mit Luftschlägen gegen Syrien während unseres Festivals. Am 13. September. Kam sogar in der Durchsage. Wir dachten, das gibt es doch nicht. Wir wissen, sowas kommt vor, aber es passiert nichts, außer dass unser Festival versaut ist."
"Wir hatten nur eine Band mit eigenem Material. Es gab nicht viele davon, und nur eine, die wir uns leisten konnten. Die waren etwas größer und wir ganz klein. Wir wussten nicht, was wir taten. Bis heute weiß ich nicht, wie es geklappt hat. Es ging ohne Anstrengung. Später hatte ich Probleme, die beim ersten mal nicht aufgekommen sind, und ich hab mich gefragt, wie haben wir das gemacht?"
Mit Kippe im Mundwinkel, Sonnenbrille auf der Nase und einem ironischen Lächeln auf den Lippen, lässt Junior Daou seinen Blick über das Festivalgelände streifen. Die Brandung klatscht an die Steilküste, Möwen kreisen, in der Ferne baden Kinder an einem kleinen Strand. Ein schöner Ort. Während Open Air Veranstalter in Europa mit der TÜV-Abnahme oder der richtigen Menge der Toilettenhäuschen kämpfen, sind die Probleme hier anderer Natur.
"Jedes Jahr ist was anderes. Aus dem Nichts. Einmal drohte die USA mit Luftschlägen gegen Syrien während unseres Festivals. Am 13. September. Kam sogar in der Durchsage. Wir dachten, das gibt es doch nicht. Wir wissen, sowas kommt vor, aber es passiert nichts, außer dass unser Festival versaut ist."
Sie zogen es durch. Mittlerweile kommen jeden Spätsommer 4000 Musikfans an die libanesische Mittelmeerküste nach Batroun. Christen und Muslime. Religion spielt bei uns keine Rolle, sagt Junior Daou und zeigt grinsend zum Horizont. Dort steht eine Moschee direkt neben einer Kirche. Die Musiker schauen beim Spielen von der Bühne aus genau darauf.
"Das ist ja typisch libanesische Kultur, dieses Bild von Moslems und Christen, die zusammenleben. Das kommt immer: Seht her - Libanon, Offenheit, gemeinsames Leben. Fehlt nur noch eine Skipiste im Hintergrund. Nur, wir denken halt einfach nicht in religiösen Zusammenhängen. Es ist etwas absurd für uns, dass wir in einem solchen Land leben, ohne gläubig zu sein. Wir sollten das alles lassen und einfach die Sonne anbeten oder so."
Aber ganz so einfach ist es nicht in einem Land, in dem sich die verschiedenen Religionsgruppen von 1975 bis 1990 in einem blutigen Bürgerkrieg gegenseitig massakriert haben. Auch heute noch ist die Ruhe brüchig, aber sie hält. Auf dem Rückweg nach Beirut werden wir an einem Militärcheckpoint von einem Soldaten angehalten, misstrauisch schaut er ins Auto, Charlie redet Französisch mit ihm, die Sprache der christlichen Upper Class. Es ist wie ein Anzug, man wird anders behandelt, meint Charlie. Wenig später dürfen wir weiter fahren. Wir wollen zum Musikproduzenten Fadi Tabbal. Eine Legende in der libanesischen Indie-Szene, der jede bekanntere Beiruter Band aufgenommen und produziert hat. Auch die Wanton Bishops, die nach Eigendefinition libanesischen Blues spielen, der seine Schmerzquelle hier nicht in der Sklaverei, sondern in den Kriegserfahrungen hat.
Wir treffen Fadi Tabbal in seinem Studio in einem abgeranzten Hochhaus im armenischen Viertel am Rande Beiruts. Die Straßen sind voller Müll, acht Monate lang streikte die Müllabfuhr, es gab große Demonstrationen, erst gegen den Müll, dann gegen die gesamte Regierung. Vor kurzem erst wurde die Müllkrise gelöst. Ihr Ursprung war eine Mischung aus Missmanagement und Korruption. Beides bekommt auch Musikproduzent Fadi Tabbal in seiner Arbeit zu spüren.
"Alles ist schwierig. Wenn ich irgendeinen Schrieb von der Regierung für mein Studio brauche, dann dauert das ein halbes Jahr. Nichts ist online, alles muss man sich irgendwie zusammen puzzeln. Von zu Hause ins Studio dauert es mit dem Auto eigentlich nur vier Minuten, aber hier braucht man 45."
Eine Weile ist er deswegen zu Fuß gegangen, was in Beirut eigentlich nur die Ärmsten und Touristen machen. Aber seitdem es so stinkt in den Straßen, fährt Fadi wieder Auto. Jetzt sitzt er vor einer Glasscheibe, die den Aufnahmeraum von seinem Regiezimmer trennt. Drüben spielt ein Studiokollege für ein Solo-Projekt eine Gitarre ein. Fadi stützt einen Ellbogen müde auf das Pult, durch das fast der gesamte Beiruter Indie-Sound geflossen ist und kaut lange auf unserer Frage herum, woran es denn liege, dass die Szene so oft dem Westen nacheifere. Es habe mit der Suche nach Identität zu tun, die den Libanon schon immer beschäftige, meint er schließlich.
"Das ist ja typisch libanesische Kultur, dieses Bild von Moslems und Christen, die zusammenleben. Das kommt immer: Seht her - Libanon, Offenheit, gemeinsames Leben. Fehlt nur noch eine Skipiste im Hintergrund. Nur, wir denken halt einfach nicht in religiösen Zusammenhängen. Es ist etwas absurd für uns, dass wir in einem solchen Land leben, ohne gläubig zu sein. Wir sollten das alles lassen und einfach die Sonne anbeten oder so."
Aber ganz so einfach ist es nicht in einem Land, in dem sich die verschiedenen Religionsgruppen von 1975 bis 1990 in einem blutigen Bürgerkrieg gegenseitig massakriert haben. Auch heute noch ist die Ruhe brüchig, aber sie hält. Auf dem Rückweg nach Beirut werden wir an einem Militärcheckpoint von einem Soldaten angehalten, misstrauisch schaut er ins Auto, Charlie redet Französisch mit ihm, die Sprache der christlichen Upper Class. Es ist wie ein Anzug, man wird anders behandelt, meint Charlie. Wenig später dürfen wir weiter fahren. Wir wollen zum Musikproduzenten Fadi Tabbal. Eine Legende in der libanesischen Indie-Szene, der jede bekanntere Beiruter Band aufgenommen und produziert hat. Auch die Wanton Bishops, die nach Eigendefinition libanesischen Blues spielen, der seine Schmerzquelle hier nicht in der Sklaverei, sondern in den Kriegserfahrungen hat.
Wir treffen Fadi Tabbal in seinem Studio in einem abgeranzten Hochhaus im armenischen Viertel am Rande Beiruts. Die Straßen sind voller Müll, acht Monate lang streikte die Müllabfuhr, es gab große Demonstrationen, erst gegen den Müll, dann gegen die gesamte Regierung. Vor kurzem erst wurde die Müllkrise gelöst. Ihr Ursprung war eine Mischung aus Missmanagement und Korruption. Beides bekommt auch Musikproduzent Fadi Tabbal in seiner Arbeit zu spüren.
"Alles ist schwierig. Wenn ich irgendeinen Schrieb von der Regierung für mein Studio brauche, dann dauert das ein halbes Jahr. Nichts ist online, alles muss man sich irgendwie zusammen puzzeln. Von zu Hause ins Studio dauert es mit dem Auto eigentlich nur vier Minuten, aber hier braucht man 45."
Eine Weile ist er deswegen zu Fuß gegangen, was in Beirut eigentlich nur die Ärmsten und Touristen machen. Aber seitdem es so stinkt in den Straßen, fährt Fadi wieder Auto. Jetzt sitzt er vor einer Glasscheibe, die den Aufnahmeraum von seinem Regiezimmer trennt. Drüben spielt ein Studiokollege für ein Solo-Projekt eine Gitarre ein. Fadi stützt einen Ellbogen müde auf das Pult, durch das fast der gesamte Beiruter Indie-Sound geflossen ist und kaut lange auf unserer Frage herum, woran es denn liege, dass die Szene so oft dem Westen nacheifere. Es habe mit der Suche nach Identität zu tun, die den Libanon schon immer beschäftige, meint er schließlich.
"Es geht gar nicht so sehr darum, einen Sound zu imitieren, sondern eher einen Lifestyle, den sie verstehen wollen. Und das schreibt sich dann ein in die Musik."
"Mashrou' Leila" - Popstars in der arabischen Welt
Andere besinnen sich aber auch auf orientalische Traditionen und versuchen, sie in ihren Sound einzubauen, am erfolgreichsten "Mashrou’ Leila". Auch sie haben anfangs bei Musikproduzent Fadi aufgenommen. Die Band aus Studenten der American University Beirut gründete sich vor zehn Jahren, mitten im Krieg mit Israel, als Ventil für die immense Anspannung im Ausnahmezustand. Heute sind "Mashrou’ Leila" Popstars in der arabischen Welt. Die fünf Musiker modernisierten nicht nur die verstaubte Fusion aus Rock und orientalischen Sounds, sie behandeln darüber hinaus in Texten auf Arabisch sensible Themen wie etwa Homosexualität.
Solche Experimente – und die Bereitschaft zum Mixen der verschiedenen Kulturen des Libanon würde sich Fadi Tabbal häufiger wünschen. Vor allem für viele junge Bands aus der Indie-Szene ist das eher fremd bisher.
"Die Kids aus dieser Szene sind nicht wirklich mit arabischer Musik aufgewachsen. Es sind Mittel- bis Oberschicht-Kids. In Ashrafiye, einem christlichen Viertel, haben die distinguierten Familien während des Kriegs Französisch gesprochen. Es gibt Kids, die ihr ganzes Leben im Libanon verbracht haben und nicht wissen, wie man wirklich Arabisch spricht."
Arabisch scheint in der libanesischen Indie-Szene nicht sehr präsent zu sein. Ähnlich wie islamische Musiker. Die meisten haben einen christlichen Hintergrund, so unser Eindruck auf der Reise.
"Es hat damit zu tun, wo die Kids aufwachsen und auf welche Schule sie gehen. Die Viertel sind hier fast nach Religionen getrennt. Deswegen gibt es diesen Effekt. Die Kids selbst haben keine religiösen Barrieren, aber eben soziale, und sie kennen einander nicht."
Uns wird klar, das Nebeneinander der Viertel spiegelt sich auch in einem Nebeneinander der Szenen. Im libanesischen Hip Hop oder Elektro sähe die Sache mit den Religionen und Schichten wieder ganz anders aus, meint Musikproduzent Fadi und entlässt uns in ein Beirut, das gerade noch ein wenig größer und komplexer geworden ist.
Zurück im Ausgehviertel Mar Mikhael treffen wir noch einmal auf Malek von "Who Killed Bruce Lee". Es ist sein letzter Abend in der Stadt für eine Weile. Der nächste Karriere-Schritt führt die Band ins Ausland. Ein deutsches Label hat ihre letzte Platte auf den Markt gebracht und ihnen eine Tour organisiert. Noch in dieser Nacht fliegt Malek von Beirut nach Frankfurt.
"Das ist das ganze große Ding für uns. Das ist die Tour. Bevor wir das erste Mal für ein paar Konzerte in Deutschland waren, haben wir nie daran gedacht von der Musik zu leben. Im Libanon ist das unmöglich. Aber mit einem Markt wie in Deutschland geht es. Wir würden keine Million verdienen, aber wir könnten davon leben."
"Das ist das ganze große Ding für uns. Das ist die Tour. Bevor wir das erste Mal für ein paar Konzerte in Deutschland waren, haben wir nie daran gedacht von der Musik zu leben. Im Libanon ist das unmöglich. Aber mit einem Markt wie in Deutschland geht es. Wir würden keine Million verdienen, aber wir könnten davon leben."