Do you speak English?

Von Klaus Bölling |
Es stimmt irgendwie traurig und Spott verbietet sich. Da versammeln sich die aus Berlin angereisten Bundesminister aller Ressorts unter dem Dach der Europäischen Kommission in der schönen Stadt Brüssel und man sieht auf dem Bildschirm, wie einige der Damen oder der Herren im blumengeschmückten Konferenzsaal etwas einsam herumstehen, andere freilich im angeregten Gespräch mit ihren Ministerkollegen aus einem der bald 30 EU-Mitgliedstaaten.
Wie erklärt sich das? Nicht alle, die das stärkste aller EU-Mitglieder, und das sind ja wir Deutschen, im Ausland vertreten, sind in der Lingua franca zu Hause. Lingua franca, ein wohlklingendes Wort aus dem Italienischen, schon im Mittelalter wurzelnd, übersetzt der Duden mit "Verkehrssprache eines größeren mehrsprachigen Raumes". Da waren die Duden-Redakteure ausnehmend höflich. Wir wissen es besser. Es ist nun einmal so, schade eigentlich, dass die Diplomatensprache von einst, das Französische, von unserem großen Preußenkönig Friedrich bevorzugt, ziemlich brutal vom Englischen verdrängt worden ist.

Da hat kürzlich ein englischer Journalist dem für den schmückenden Posten des Außenministers vorgesehenen Guido Westerwelle bei einer Pressekonferenz auf Englisch eine Frage gestellt. Das gehört sich nicht. Man denke nur, ein deutscher Pressemann oder eine Pressefrau kommt auf die Idee, Wladimir Putin, auf dessen vielgerühmte Deutschkenntnisse vertrauend, nicht auf Russisch, sondern auf Deutsch zu befragen. Das geht einfach nicht, das ist dreist. Unnötig harsch hat Westerwelle den Engländer zurechtgewiesen, man sei in Berlin und er möge doch besser auf Deutsch fragen.

In der Sache hatte er ja recht, denn die Bundesrepublik gehört schließlich nicht zum britischen Commonwealth. Es stellt sich nun, ganz ernst, die weitere Frage, ob ein deutscher Außenminister oder gar ein Bundeskanzler bzw. eine Kanzlerin die Lingua franca souverän beherrschen muss, weil es doch in Brüssel in aller Regel um höchstkomplizierte Sachverhalte geht und meist auch um viel Geld. Man weiß, dass der fast zeitlose Außenminister Hans-Dietrich Genscher anfangs etwas Mühe mit der Sprache der Briten hatte und sich doch sehr bald, wohl mit deutschem Akzent, im Kreis seiner Amtsbrüder sehr gut verständlich zu machen wusste.

Wenn sich zwei Politiker in der Lingua franca gut unterhalten, kann eine "Chemie" entstehen, ein Wort das Helmut Kohl unentbehrlich war. Nicht er, aber seine Frau war im Englischen nahezu perfekt. Wir haben das englische "Chemistry" in unsere Umgangssprache aufgenommen, will heißen, dass zwei Menschen auf Anhieb Sympathie füreinander empfinden, Konrad Adenauer, der die Versöhnungspolitik der Nobelpreisträger Gustav Stresemann und Aristide Briand erfolgreich fortgesetzt hat, spürte sehr bald eine "Chemie" zu oder mit Charles de Gaulle, war allerdings auf einen Dolmetscher angewiesen.

Was ist das fabula docet, also, was lehrt uns dies alles? Entscheidend sind die Persönlichkeiten, ob sie die Lingua franca tadellos sprechen oder nur ziemlich holperig. Wer sich in der Welt auskennt und über Verhandlungstalent verfügt, nicht gleich wie der Fürst Talleyrand, der ist seinem Land nützlich, auch wenn er zum Kopfhörer greifen und auf die Simultandolmetscher hören muss. Nützlicher gewiss als einer, der ins Auswärtige Amt einzieht, obwohl er sich eher für das Ressort Landwirtschaft und Naturschutz eignet. Einen solchen Außenminister bitte nicht, auch wenn er im Englischen so gut ist, dass er Shakespeare-Sonette lesen und sogar verstehen kann. Wie wohltuend zu hören, dass die Frau Bundeskanzlerin mit der Lingua franca keine Probleme hat.

Klaus Bölling: Journalist, Buchautor, ehem. Diplomat und Politiker. Geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".
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