"Röhren-Flüchtlingscamp" in Kassel
Auf dem Friedrichsplatz in Kassel stapeln sich meterhoch Betonröhren: eine Skulptur des deutsch-irakischen Performers Hiwa K für die documenta 14. Das Bauwerk soll an Geflüchtete erinnern, die im Hafen von Patras in solchen Röhren gehaust haben.
Hiwa K kontrolliert mit etwas besorgtem Blick Holzlatten, mit denen die hellbraunen Röhren verkeilt sind, die er zurzeit zu einer monumentalen Skulptur für die documenta 14 verbindet.
"Keine Sorge, wir bauen nichts, was umfällt", versucht der Bauleiter, den Künstler zu beruhigen. Das Werk entsteht an zentraler Stelle in Kassel – gleich neben dem documenta-Pavillon auf dem Friedrichsplatz. Verarbeitet werden erdfarbene Ton-Röhren für Abwasserkanäle mit einem guten Meter Durchmesser. Hiwa K stapelt sie rund vier Meter hoch in die Luft.
Kritik an der "Hochhausbegeisterung"
Er kritisiert mit den horizontal liegenden Röhren die Hochausbegeisterung der Architekten und Stadtplaner: "Ich habe den Verdacht, dass wir von der Höhe und dem Vertikalen besessen sind. Wir verkleinern uns selbst in der Horizontalen, um in die Höhe zu expandieren. Wir sehen es doch an der Stadtplanung, an den Wolkenkratzern überall, durch die viele soziale Architekturen auf dem Boden zerstört werden, zugunsten einer Elite, die in die Höhe strebt. Mein documenta-Projekt soll daran erinnern, dass es auch so etwas wie Horizontalität gibt."
Besonders abschreckend findet documenta-Künstler Hiwa K den höchsten Turm der Welt, den Khalifa-Tower in Dubai. Nicht nur wegen seiner phallischen "Form der Vertikalität”, wie es Hiwa K nennt. Sondern auch, weil Gold und andere Edelmetalle, die dort verarbeitet wurden, von Bergleuten teilweise in bis zu 3,5 Kilometer tiefen, heißen Schächten abgebaut werden mussten:
"Es ist obsessiv, wie nach den letzten Gold-Ressourcen gegraben wird. Man muss tiefer und tiefer gehen, mit allen ökologischen Folgen, die das hat. Außerdem denke ich grundsätzlich über das nach, was Sloterdijk mit dem Begriff 'vertikale Spannung' bezeichnet. Das geht es vor allem um soziale Klassen, um die Frage, was unten ist."
"Es ist obsessiv, wie nach den letzten Gold-Ressourcen gegraben wird. Man muss tiefer und tiefer gehen, mit allen ökologischen Folgen, die das hat. Außerdem denke ich grundsätzlich über das nach, was Sloterdijk mit dem Begriff 'vertikale Spannung' bezeichnet. Das geht es vor allem um soziale Klassen, um die Frage, was unten ist."
Musiker, Performer, Künstler
Hiwa K wurde 1975 in Sulaimaniyya im kurdischen Teil des Nordiraks geboren und lebt seit 1988 in Deutschland. Hier studierte Hiwa K zunächst Musik, bis heute spielt das in seiner Arbeit als bildender Künstler immer wieder eine Rolle. Etwa beim Jubiläum "60. Jahre documenta in Kassel" im Jahr 2015:
"Ich veranstaltete damals eine Performance gemeinsam mit Adam Szymczyk und Carmen Amor, einer professionellen Flamenco-Sängerin aus Sevilla. Der Flamenco ist für mich ein Symbol für eine gewissermaßen 'horizontale' Musik, die auch der Vertikalität etwa von Kirchenmusik etwas entgegensetzt. Beide treffen sich ja in Andalusien. Für mich ist der Flamenco also auch eine passende Metapher."
Hiwa K ist also in Kassel längst kein Unbekannter mehr. Unlängst erhielt er binnen weniger Tage den nach dem documenta-Gründer Arnold-Bode benannten Kunstpreis der Stadt Kassel sowie den Preis der Berliner Schering-Stiftung. Die international besetzte Jury wurde überzeugt durch seine - so wörtlich - "autobiografischen Konstrukte", die er einzigartig kombiniere.
"Ich veranstaltete damals eine Performance gemeinsam mit Adam Szymczyk und Carmen Amor, einer professionellen Flamenco-Sängerin aus Sevilla. Der Flamenco ist für mich ein Symbol für eine gewissermaßen 'horizontale' Musik, die auch der Vertikalität etwa von Kirchenmusik etwas entgegensetzt. Beide treffen sich ja in Andalusien. Für mich ist der Flamenco also auch eine passende Metapher."
Hiwa K ist also in Kassel längst kein Unbekannter mehr. Unlängst erhielt er binnen weniger Tage den nach dem documenta-Gründer Arnold-Bode benannten Kunstpreis der Stadt Kassel sowie den Preis der Berliner Schering-Stiftung. Die international besetzte Jury wurde überzeugt durch seine - so wörtlich - "autobiografischen Konstrukte", die er einzigartig kombiniere.
"Ich selbst werde auch dort schlafen"
Die Anregung für sein Kasseler Röhren-Projekt hat Hiwa K im Hafen von Patras in Griechenland bekommen. Dort hausen Flüchtlinge wochenlang in ähnlich aufgestapelten Abwasserröhren, bevor sie einen Weg nach Italien finden oder auch nicht:
"Diese Röhren sollen an einen Flüchtling erinnern, den ich kenne. Er hat mit vielen anderen Geflüchteten in solchen Röhren gelebt. Es war in gewisser Weise ein Röhren-Flüchtlingscamp. Sie warteten dort, um sich auf einem Schiff zu verstecken, das sie auf die andere Seite des Meeres nach Italien bringen würde. Er hat dort drei Wochen verbracht."
Solange werden wohl die Kasseler Design-Studierenden, die beim Aufbau der Skulptur mithelfen, nicht in den Röhren leben müssen. Doch einige Nächte sollen sie durchaus während der documenta ab Juni dort verbringen, schlägt Hiwa K vor.
"Ich selbst werde auch dort schlafen. Das sollen auch die Studierenden für eine Weile tun, weil ich möchte, dass sie am eigenen Leib erfahren, wie man sich in solchen Röhren verhalten muss. Sie studieren Design und sind sehr an die horizontale Weise des Entwerfens gewöhnt, wo man keinen Platz sparen muss. Also sind die Röhren eine Herausforderung. Sie sollen ihre Laptops mitbringen und einmal einen Raum entwerfen, während sie selbst in den engen Röhren stecken."
"Diese Röhren sollen an einen Flüchtling erinnern, den ich kenne. Er hat mit vielen anderen Geflüchteten in solchen Röhren gelebt. Es war in gewisser Weise ein Röhren-Flüchtlingscamp. Sie warteten dort, um sich auf einem Schiff zu verstecken, das sie auf die andere Seite des Meeres nach Italien bringen würde. Er hat dort drei Wochen verbracht."
Solange werden wohl die Kasseler Design-Studierenden, die beim Aufbau der Skulptur mithelfen, nicht in den Röhren leben müssen. Doch einige Nächte sollen sie durchaus während der documenta ab Juni dort verbringen, schlägt Hiwa K vor.
"Ich selbst werde auch dort schlafen. Das sollen auch die Studierenden für eine Weile tun, weil ich möchte, dass sie am eigenen Leib erfahren, wie man sich in solchen Röhren verhalten muss. Sie studieren Design und sind sehr an die horizontale Weise des Entwerfens gewöhnt, wo man keinen Platz sparen muss. Also sind die Röhren eine Herausforderung. Sie sollen ihre Laptops mitbringen und einmal einen Raum entwerfen, während sie selbst in den engen Röhren stecken."