Documenta-Skandal

Der "geteilte Blick auf die Welt" erfordert mehr Vorarbeit

06:57 Minuten
Glasbehälter, in denen die Künstlerin Steyerl bei der Documenta  Käse reifen lässt.
Die Künstlerin Hito Steyerl zieht aus Protest gegen den Umgang mit den Antisemitismusvorwürfen ihre künstlerischen Arbeiten von der Documenta ab – wie dieses Werk mit dem Titel "Cave". © picture alliance /dpa / Uwe Zucchi
Teresa Koloma Beck im Gespräch mit Julius Stucke |
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Mit Bedauern verfolgt die Soziologin Teresa Koloma Beck die anhaltende Krise rund um die Documenta. Der notwendige Dialog über unterschiedliche Sichtweisen zum Globalen Süden sei bereits in der Vorarbeit versäumt worden, kritisiert sie.
Das Internationale Auschwitz Komitee hat die Verantwortlichen der Kunstausstellung "documenta fifteen" in Kassel angesichts des Antisemitismus-Eklats zum Dialog mit den Besuchern aufgerufen. "Jeder Documenta-Tag, den die Verantwortlichen weiterhin schweigend und untätig auszusitzen versuchen, ist ein verlorener Tag für die Zukunft der Documenta überhaupt", sagte Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees.

Bedauern über Gesprächsabsage

"Den Eindruck teile ich", sagt die Soziologin Teresa Koloma Beck. Sie sei eigentlich selbst zu der ursprünglich geplanten Gesprächsreihe "We need to talk" eingeladen gewesen, die dann wieder abgesagt wurde. "Ich bedauere bis heute, dass es auch keine Folgeveranstaltung gab, die das irgendwie aufgegriffen hätte in einer ähnlichen Weise, wie es angedacht war."
Dass sich jetzt immer mehr Personen abwenden, die noch versucht hätten, sich konstruktiv einzubringen, bedauere sie sehr. Sie hätten anfangs noch versucht, diese zeitweise sehr pauschalen Antisemitismusvorwürfe zu kontextualisieren und ein Gespräch zu eröffnen.

Irritation statt Verständigung

"Dass sich selbst aus diesen Reihen Leute zurückziehen, das verheißt nichts Gutes", sagt die Soziologin über die Ankündigung des Direktors der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel , als Berater nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Die Künstlerin Hito Steyerl hatte außerdem bekannt gegeben, dass sie ihre Werke aus der Documenta zurückzieht.
Koloma Beck sagt, sie habe den Eindruck, dass die Documenta-Leitung mit der Einladung an das indonesische Kuratoren-Kollektiv zwar den Globalen Süden habe zu Wort kommen lassen, aber eher so, als habe man den Süden ausstellen wollen. "Aber dadurch erzeugt man nicht unbedingt die Möglichkeit zum Gespräch und zur Verständigung, sondern erst mal ganz viel Irritation, die dann bearbeitet werden muss." Diese Arbeit hätte aber eigentlich vorher beginnen müssen.

Parallelen zu den Wissenschaften

"Mich bewegt das sehr, weil das ja auch Fragen sind, die uns in den Wissenschaften umtreiben", so die Soziologin. In den Geistes- Sozial- und Kulturwissenschaften gebe es auch den Eindruck, dass es jetzt wichtig sei, nicht nur über die Kontexte im Globalen Süden zu forschen, sondern dass dies mit Forscherinnen und Forschern aus diesen Ländern zusammen erfolgt. Wenn man dann mal versuche, das zu tun, dann sehe man erst, wie schwierig das ist. "Wie die Kunst ist die Wissenschaft eine Reflexionsinstanz."
Wenn man also auf die koloniale Geschichte blicke, dann sehe die aus Europa eben anders aus als aus einer ehemaligen Kolonie, sagt Koloma Beck. Es müsse erst einen Prozess geben, um sich über den Gegenstand, den man sich ansehe, zu verständigen. Man müsse daran arbeiten, einen "geteilten Blick auf die Welt" zu entwickeln. Erst, wenn man da angelangt sei, könne man mit den eigentlichen Forschungsprozessen beginnen.
"Das kenne ich aus den wissenschaftlichen Zusammenhängen", so Koloma Beck. Bei der Documenta sei offenbar unterschätzt worden, was für eine Investition an dialogischer Vorarbeit eigentlich nötig gewesen wäre.

(gem)

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