Antisemitismus-Debatte
Der israelische Künstler Omer Krieger hätte das Bild des Künstlerkollektivs Taring Padi nicht verhüllt, sondern lieber über antisemitische Symbolik in Asien diskutiert. © imago-images / Hartenfelser
Was israelische Künstler über die Documenta denken
06:03 Minuten
Wie wird der deutsche Streit um die Documenta und den Antisemitismus in Israel wahrgenommen? Unsere Korrespondentin hat nachgefragt. Sie begegnet dem Wunsch nach einer Kunst, die sich nicht ständig positionieren muss.
Wer in Israel die Zeitungen aufschlägt, stellt fest: Die Antisemitismus-Debatte um die Documenta 15 ist in der breiten Öffentlichkeit hierzulande kein Thema. Die israelische Kunstszene verfolgt die Debatte sehr wohl, oft mit Verwunderung. Die wenigsten wollen sich öffentlich äußern; die Diskussion sei so polarisiert und aufgeheizt.
„Zumindest in meinen Kreisen fragen wir uns: Wie kann es sein, dass ausgerechnet Israel schon wieder ein Thema ist?", wundert sich Omer Krieger, in Tel Aviv lebender Künstler und Kurator. Dabei gehe es dem indonesischen Kuratorenteam Ruangrupa bei dieser Documenta doch darum, Künstlerkollektiven aus dem Globalen Süden einen Raum zu geben.
Eine Diskussion überschattet die ursprüngliche Idee
„Ich denke, im Moment überschattet diese Diskussion die eigentlichen Ideen der Kuratoren. Aber vielleicht war ihr Programm auch etwas naiv in dieser Hinsicht, dass sie sich auf den Globalen Süden konzentriert haben und dabei den lokalen Kontext und die Geschichte Deutschlands übersehen haben, wo die Ausstellung nun mal stattfindet", sagt Krieger.
Hätten die Kuratoren also jüdisch-israelische Künstler einladen sollen? Schließlich wurde ein palästinensisches Kollektiv eingeladen.
Wer sollte eingeladen werden?
„Ich denke, es ist das Recht von Kuratoren zu entscheiden, wen sie zu dem Zeitpunkt am interessantesten finden", sagt Krieger. „Es gab in der Vergangenheit israelische Künstler auf der Documenta und ich bin mir sicher, es wird sie in der Zukunft auch geben. Aus der Perspektive eines Kurators würde ich aber sagen, es wäre vielleicht schlau und möglicherweise auch interessant gewesen, jüdisch-israelische Künstler einzuladen, um das Bild komplexer zu machen."
Ory Dessau, Kurator und Kustkritiker, der in Brüssel und Tel Aviv lebt, sieht das anders. Jüdisch-israelische Künstler müssten nicht auf der Dokumenta sein: „Aber die Kuratoren müssen in der Lage sein, das zu rechtfertigen, ihre Entscheidungen konzeptionell, systematisch und kohärent begründen. Tun sie das? Da bin ich mir nicht so sicher", sagt Dessau.
"Künstler nicht auf Kategorien reduzieren"
Künstler – auch israelische – gezielt nach ihrer Nationalität auszusuchen und einzuladen, findet er problematisch: „Sie sollten nicht auf die Frage nach Race, Nationalität, Geschlecht reduziert werden. Ich denke, ein Künstler ist mehr als all diese Kategorien."
Doch werden israelische Künstler aufgrund ihrer Nationalität benachteiligt? Immer wieder ist im Zuge der Documenta-Debatte diese Frage aufgekommen. Wie groß ist der Einfluss der BDS-Boykott-Bewegung in der Kunstwelt? Werden israelische Kunstschaffende boykottiert?
Wie erleben die Künstler die BDS-Kampagne?
„Es passiert wenn überhaupt im Stillen", beobachtet Tamar Margalit, Kuratorin am Center for Contemporary Art in Tel Aviv, die nach Jahren am Museum of Modern Art in New York nach Tel Aviv zurückgekehrt ist.
„Ich glaube nicht, dass eine Institution offen sagen würde, wir sollten keine Israelis einladen. Aber von dem, was ich gehört habe, von Künstlern hier, gibt es wohl immer weniger Einladungen ins Ausland“, sagt Margalit.
Böser Wille stecke wohl nicht dahinter, aber vermutlich die Furcht vor Auseinandersetzungen. Auch Omer Krieger nimmt das wahr. Es sei zwar schwer zu beweisen, „aber es gibt dieses Gefühl, dass Israel aus politischen Gründen für Kunstschaffende und Institutionen international weniger attraktiv ist. Deutschland ist vielleicht aus historischen Gründen noch eine Ausnahme."
"Internationaler Druck ist gut"
Omer Krieger äußert aber auch Verständnis: „Ich glaube, dass die Besatzung des Westjordanlandes ein Problem für Israel ist, das wir lösen müssen. Und ich denke, internationaler Druck ist gut.“
Ein Boykott in der Kunstwelt treffe aber die falschen, die kritischen Stimmen, die wie er die Besatzung kritisieren würden.
Der Kunstkritiker und Kurator Ory Dessau denkt nicht, dass es einen Boykott israelischer Künstler gibt. Aber es gebe ein anderes Thema, das angesprochen werden müsse: „Und zwar die Frage, in welchem Rahmen israelische Künstler repräsentiert werden? Normalerweise werden sie nur dann eingebunden, wenn sie Israel kritisieren."
Die Erwartung, sich zu positionieren
Auch die Tel Aviver Kuratorin Tamar Margalit beobachtet einen Trend zu mehr politischer Kunst: „Es gibt diese implizite Erwartung, dass man sich mit der Situation hier, dem Konflikt auseinandersetzen muss, einen politischen Standpunkt haben soll. Und es gibt hier sicherlich viel spannende politische Kunst. Aber das ist nicht die einzige Art von Kunst, die ausgestellt werden sollte."
Diese Erwartung, sich politisch zu positionieren, werde freilich auch an Künstler aus anderen Ländern gerichtet. Für Tamar Margalit verengt das den Blick: Künstler sollten die Möglichkeit haben, sich so auszudrücken, wie sie es wollen. Sonst verflache die Debatte.
„Es gibt eine extreme Empfindlichkeit in Deutschland"
Zu künstlerischer Freiheit gehört für Omer Krieger und Ory Dessau sogar die heftig kritisierte Karikatur des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, die aufgrund der antisemitischen Symbolik wieder abgehängt wurde: „Ich finde, es gibt eine extreme Empfindlichkeit in Deutschland, die fast an Hysterie und Panik grenzt, moralische Panik, die entspannt werden muss, damit Kunst und Kultur wachsen und gute Diskussionen stattfinden können", sagt Krieger.
Ihn würden antisemitische Bilder nicht so alarmieren. Er hätte es besser gefunden, sie zu zeigen als abzuhängen. Das hätte seiner Ansicht nach eine ganz neue Diskussion eröffnen können – über antisemitische Symbolik im asiatischen Raum und was sie bedeute. Fragen, die eine Ausstellung zumindest seiner Meinung nach beantworten sollte.