Documenta-Magazin

Die Welt aus der Sicht des Südens

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1955 wurde in Kassel die erste Documenta veranstaltet. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Von Werner Bloch |
"South as a State of Mind" heißt das Magazin zur Documenta 14. Vor der Vorstellung der ersten Ausgabe in Städten wie Berlin, Dhaka und Kalkutta hat uns Bonaventure Ndikung vom Documenta-Team verraten, wie er die Europäer für die Kunst des Südens sensibilisieren will.
Schickes blaues Jackett, darunter eine betongrüne Kapuzenjacke und auf dem Kopf ein gehäkeltes afrikanisches Käppi: so empfängt Bonaventure Ndikung den Besucher an seinem Arbeitsplatz. Wir stehen im Savvy Contemporary, einer Art integrierten Kulturraum in Berlin-Neukölln, mit Ausstellungsflächen, Tanz, Performance und einem großartig bestückten Archiv.
Heizung gibt es hier keine, das hatte er gleich am Telefon gesagt, Sparzwänge, aber Bonaventure Ndikung sprüht vor Ideen, ein Schwerpunkt ist die deutsche Kolonialgeschichte. Überall in seinem Archiv Bücher, Fahnen, Wandkarten und viele seltene Dokumente zur Politik des Deutschen Reiches in Afrika. Aber auch Tim und Struppi im Kongo wartet hier auf einen genauen postkolonialen Blick.
"Ich bin durch das Lesen zur Kunst gekommen. Mein Vater ist Anthropologe, ich bin mit all diesen Büchern aufgewachsen und all den Reden vom Panafrikanismus, vom Postkolonialismus. Von dort bin ich dann irgendwie zur Kunst gekommen. Ich habe die Werke des späteren Staatspräsidenten Kenyatta verschlungen, das hat mir mit 14 die Augen geöffnet."
Positionen sollen in Dialog treten
Bonaventure Ndikung stammt aus Kamerun, aber er hat lange in Europa studiert. Und lebt seit 1997 in Berlin. Eigentlich ist er Biotechnologe, seine Doktorarbeit hat er über Leukämie geschrieben. Heute allerdings beschäftigt er sich mit Kunst, speziell der Kunst und Geschichte Afrikas. Der erste Genozid des letzten Jahrhunderts, sagt Bonaventure Ndikung, wurde von deutschen Soldaten in Namibia verübt, an den Hereros. Und von da, meint er, führe eine Linie in den Faschismus und in die anderen Völkermorde des 20. Jahrhunderts.
"Das hat mich immer interessiert: die Welt durch das Prisma des Südens zu betrachten."
Die Kunst des Südens, die Poesie, die Philosophie und die Geschichtsschreibung des Südens – der postkoloniale Diskurs ist sicher ein Grund, warum Bonaventure Ndikung ins Documenta-Team berufen wurde. Denn die nächste Documenta wird sich sehr viel radikaler als bisher mit dem Süden beschäftigen – auch in der Kunst. Viele, auch Galeristen, meinen ja immer noch, die Kunst sei etwa eine Domäne des Westens, sie gehöre Europa und Nordamerika, in Afrika gebe es nur "Stammeskunst".
"Ich will mit meiner Arbeit Räume eröffnen für Wissenssysteme, die anders funktionieren als die westlichen. So berechtigt das westliche System auch sein mag: Es gibt andere Epistemologien."
Solche Vorurteile will Bonaventure Ndikung aufbrechen, Positionen sollen in Dialog treten. Der neue Documenta-Kurator verfolgt seine Ideen keineswegs per Kuschelkurs. Er hat auch beträchtliches Streitpotenzial. Manchmal nimmt er es sogar mit Hegel und Humboldt auf. Hegel und Kant hatten ja behauptet, die Afrikaner hätten keine Kultur; sie seien dazu unfähig. Ein Urteil, das sich in der westlichen Kunstgeschichte lange tradiert hat. Und zum Humboldt-Forum, das gerade in Berlin entsteht, hat Bonaventure Ndikung eine ganz eigene Meinung.
Kreislauf aus Schulden, Arbeitslosigkeit und Armut
"Was bedeutet es, mitten in Berlin 2015, 2016, 2017, 2018 ein Schloss zu bauen, ein preußisches Schloss? Das hat Auswirkungen auf Raum, Kultur und Menschen. Aber was bedeutet es, wenn man es auch noch nach Humboldt benennt? Bei allem Respekt für Humboldt – aber der war doch Teil der Maschinerie, des kolonialen Systems."
Im neuen Heft "South", dem Magazin der Documenta, rechnet er vor, dass, dass Afrika in den achtziger Jahren ziemlich genau das erlitt, was Griechenland jetzt als Austeritätspolitikt durchläuft: ein Kreislauf aus Schulden, Arbeitslosigkeit und Armut.
Der frühere Präsident von Burkina Faso, Thomas Sangara, schrieb damals, in den 80er-Jahren: Schulden solle man nicht zurückzahlen. Niemand schulde Europa etwas. Europa schulde auf Grund seiner Kolonialvergangenheit der ganzen Welt etwas. Das ist eine streitbare These. Aber es ist vielleicht ganz gut, dass sie gestellt wird. Und das sich daran heftige Diskussionen anknüpfen, dafür wird Bonaventura Ndikung mit Sicherheit sorgen.
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