Nach Schormann-Rücktritt

Zukunft und Gegenwart der Documenta

07:47 Minuten
Die Generaldirektorin der Documenta 15, Sabine Schormann.
Die Generaldirektorin der Documenta 15, Sabine Schormann. © picture alliance/dpa | Swen Pförtner
Philipp Oswalt im Gespräch mit Gabi Wuttke · 16.07.2022
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Nach dem Rücktritt von Generaldirektorin Sabine Schormann geht es nun um die Zukunft der Documenta. Dazu hat der Aufsichtsrat eine Analyse vergleichbarer Kunstausstellungen empfohlen. Doch auch jetzt schon gibt es einigen Regelungsbedarf.
„Das ist ein Befreiungsschlag, der schon sehr spät kommt“, sagt Dlf- Hessenkorrespondent Ludger Fittkau zum Rücktritt von Documenta-Chefin Sabine Schormann. „Seit Wochen war klar, dass sie als Generaldirektorin Verantwortung trägt, eine Verantwortung, die sie immer wieder weggeschoben hat.“
Nach einer sechsstündigen Sondersitzung des Aufsichtsrats am Freitagabend war klar, dass sie gehen muss. Bis die Entscheidung nach außen drang, sollten aber wieder mehrere Stunden vergehen. Erst am Samstagnachmittag wurde der Inhalt der Erklärung des Aufsichtsrats öffentlich.

"Ein überfälliger Schritt"

Für Fittkau ist klar, dass Schormann den Antisemitismusskandal nicht wirklich verstanden hat und deswegen nicht bleiben konnte. „Ein überfälliger Schritt, der erwartet wurde“, sagt auch Philipp Oswalt, der ehemalige Chef der Stiftung Bauhaus Dessau. Er war an der Gründung des Documenta-Instituts beteiligt und beobachtet als Forscher die aktuelle Kunstausstellung.
Oswalt glaubt, dass man so lange warten musste, „weil der Oberbürgermeister der Stadt Kassel, Herr Geselle, und Frau Schormann ein sehr enges Verhältnis zueinander haben und Herr Geselle auch die gleiche Richtung wie Frau Schormann vertreten hat.“ Der Oberbürgermeister ist auch Vorsitzender des Documenta-Aufsichtsrats.

Von anderen Kunstschauen lernen

In der Sondersitzung habe Geselle sich immer wieder hinter Schormann gestellt und ihren Rücktritt abgelehnt, berichtet Fittkau. Dann muss es eine stundenlange Debatte gegeben haben, in deren Verlauf Geselle eingesehen habe, dass der politische Druck doch zu groß geworden sei – auch nach der Distanzierung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Der Rücktritt komme also nicht ganz freiwillig, sagt Fittkau.
Doch bei einem einzelnen Rücktritt soll es nicht bleiben. Der Aufsichtsrat hat sich eine Organisationsanalyse auferlegt. Dazu will man sich andere große Kunstbiennalen wie die in Venedig genauer anschauen und daraus lernen, wie diese organisiert sind und wer wofür zuständig ist.
Der Documenta-Aufsichtsrat besteht momentan nur aus Politikerinnen und Politikern, die nach Einschätzung von Fittkau „von Kunst nicht primär Ahnung haben“. Und seitdem die Bundeskulturstiftung 2017 dieses Gremium verlassen hat, sei eigentlich auch keine Kunstexpertise mehr vorhanden. Dieser Rückzug „war auch ein Fehler. Das hat Claudia Roth eingeräumt. Jetzt muss aber diese Expertise rein. Aber das soll nicht einfach spontan und ad hoc geschehen“, sagt Fittkau.

Die laufende Documenta nicht aus dem Blick verlieren

Für Philipp Oswalt ist diese Strukturreform allerdings nur eine von drei Baustellen. Ihn beschäftigt auch die laufende Documenta. Es gebe nach wie vor „Kunstwerke, die zumindest kommentierungsbedürftig sind. Das ist in den letzten Wochen nicht erfolgt.“ Das müsse nun nachgeholt werden. Auch sei es "ein komischer Zustand, dass ein Bild abgehängt ist, das eigentlich die Debatte dominiert" und Besucher sich vor Ort nicht darüber informieren könnten.
Als dritte Baustelle bezeichnet Oswalt die Haltung der Stadtgesellschaft. Es habe in den letzten Wochen eine Art Binnensolidarisierung gegeben: „Man hat das Ganze wahrgenommen als einen Tsunami, der von Presse und Politik erzwungen worden ist. Das war auch eine sehr problematische Entwicklung. Die Stadtgesellschaft muss auch dazu ein anderes Verhältnis entwickeln.“

Nun sind offene Gesprächsangebote nötig

Für Oswalt bedeuten diese Baustellen letztlich, dass man die aktuelle Documenta für Diskussionen über die Ereignisse nutzen sollte: „Es geht nicht darum, jetzt den Laden zu schließen – ganz im Gegenteil. Es müsste eigentlich offener darüber diskutiert und gestritten werden“, was auf der Documenta genau passiert ist, wie es zu dem abgehängten Kunstwerk kommen konnte und warum es ein Tabubruch gewesen ist. 
Oswalt setzt seine Hoffnungen in die Interimsleitung, die nun eingesetzt werden soll. „Bisher hat man sich weggeduckt, wenn es schwierig wurde.“
Die Documenta endet am 25. September 2022.

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