Kritik an Denkrichtung

Der postkoloniale Blick auf Antisemitismus ist unterkomplex

07:12 Minuten
Das leere Gerüst, an dem das Banner von Taring Padi hing. Davor liegen die Großfiguren des Kollektivs, die sie selbst zerstört haben.
Das Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit eindeutig antisemitischen Darstellungen wurde mittlerweile abgehängt. © IMAGO/Hartenfelser
Saba-Nur Cheema im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 25.06.2022
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Taring Padi tun sich schwer, den Antisemitismus in ihrem Werk zu erkennen. Eine mögliche Erklärung liegt im unterkomplexen Verständnis von Antisemitismus in postkolonialen Ansätzen. In diesen gilt Israel als eine der letzten Kolonialmächte.
Die Kritik an dem mit eindeutig antisemitischer Bildsprache arbeitenden Kunstwerk des Documenta-Kollektivs Taring Padi reißt nicht ab. Mittlerweile hat es sich zu einer Entschuldigung durchgerungen, in der es sich aber weiterhin darüber erstaunt zeigt, dass das Banner in Deutschland als klar antisemitisch kategorisiert wurde.
Das riesige Banner mit dem Titel „People's Justice“ wurde vor 20 Jahren geschaffen und war seitdem weltweit zu sehen. Mit den Worten „Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken“ endet die Entschuldigung.

Postkolonialismus als Erklärung?

Wie konnte es dazu kommen und warum tut sich das Kollektiv so schwer damit, den Antisemitismus in seinem Werk zu erkennen und zu benennen? Seit einigen Tagen nun wird der Postkolonialismus als mögliche Erklärung dafür bemüht. Dabei handelt es sich um eine Denkrichtung mit vielen verschiedenen Ansätzen, die so unterschiedlich sind, dass man korrekterweise von Postcolonial Studies sprechen muss, um die Diversität auch sprachlich abzubilden.
Die Literaturwissenschaftlerin Andrea Geier, die auch einen Forschungsschwerpunkt in Postcolonial Studies hat, erklärte genau diesen Punkt. Sie warnt davor, wegen dieses Antisemitismusfalls den „Postkolonialismus“ in Gänze abzulehnen .

Antisemitismus: Ein Konflikt unter Weißen?

Die Politikwissenschaftlerin Saba-Nur Cheema hingegen erkennt in dieser Denkrichtung ein „relativ unterkomplexes Verständnis von Antisemitismus“: „In postkolonialen Ansätzen geht es vor allem um die Machtverteilung zwischen den ehemaligen Kolonisatoren und den Unterdrückten. Diese sehr vereinfachte Sicht auf die Welt führt dazu, dass alle Gesellschaften und Staaten irgendwo eingeordnet werden – auf die gute und die böse Seite.“
Deswegen gelte Israel als eine der letzten Kolonialmächte und dementsprechend werde auch der Staat als ein koloniales Projekt gesehen. „Juden und Jüdinnen werden in diesem Ansatz vor allem dem Westen zugeordnet und anschließend auch den Weißen“, so Cheema. Daher werde dem Antisemitismus nicht die gleiche Bedeutung zugemessen, wie dem Rassismus. „Also: Antisemitismus wird als ein Konflikt unter Weißen gesehen.“

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