documenta-Radio aus Kolumbien

Akustisches Bild einer karibischen Hafenstadt

Karneval in der karibischen Hafenstadt Barranquilla, Kolumbien (aufgenommen 2014)
Karneval in der karibischen Hafenstadt Barranquilla, Kolumbien © picture alliance / dpa / Ricardo Maldonado Rozo
Von Paul Paulun |
Die kolumbianische Hafenstadt Barranquilla hat ein kosmopolitisches Flair. Doch bereits seit den 1960ern geht es dort wirtschaftlich bergab. Aus diesem Schmelztiegel sendet Radio Vokaribe, einer der acht diesjährigen documenta-Radiosender.
"Was wir mit unserem Projekt wollen, ist, dass die Leute in dem Teil von Barranquilla, wo die meisten armen Leute leben, einen Platz bekommen, um über ihre Realität zu sprechen - ihre Probleme und das tägliche Leben an diesem Ort."
Walter Hernandez gehörte 1993 zu den Gründern von Radio Vokaribe, dem ersten Gemeinschaftsradio von Barranquilla.
Dass sich die sozialen Verhältnisse dort seit den 60er-Jahren stark verschlechtert hatten und die Kluft zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden der Stadt immer größer geworden war, gehörte zu den Gründungsimpulsen von Vokaribe.
Patricia Rendon Galvan war beim Start des Senders ebenfalls mit dabei. Ihr ist wichtig,...
"Dass es nicht marginalisiert bleibt, z.B. wir sind Süd und wir reden, weil wir Süd sind oder wir sind kritisch, weil wir Süd sind und wir haben Probleme. Sondern wir versuchen, dass es einen Dialog gibt zwischen diesen zwei Teilen, die sehr unterschiedlich sind."
Vorbild für Vokaribe waren Gemeinschaftsradios, die es in anderen Regionen von Kolumbien bereits gab, aber auch in Argentinien oder Bolivien.

Inzwischen ein Vollprogramm

Von einer Stunde Sendezeit pro Woche auf der Frequenz eines kommerziellen Senders wuchs das Programm ständig weiter. Und seit 2012 bietet Vokaribe sogar ein 24 Stunden Vollprogramm an.
Das Team dafür besteht aus einer heterogenen Gruppe von Musikern, freien Journalisten, Künstlern sowie Bewohnern aus der Stadt. Und alle arbeiten ehrenamtlich.
Musik spielt eine wichtige Rolle bei Vokaribe. Sie hilft dabei, ...
"… diese ganzen Wurzeln von der afrokaribischen Musik wiederzufinden. Die Leute kennen das nicht - und das ist auch eigentlich, was wir wollen, dass sie etwas neues bekommen, dass sie wissen: Musik ist nicht nur, was in den kommerziellen Sendern gespielt wird. Sondern dass es auch andere Sounds und Rhythmen gibt, die auch mit unserer Geschichte und Kultur zu tun haben. Wir sind - Afrika! Und leider kennen wir diese ganze Geschichte nicht und die Musik ist ein gutes Mittel, um das zu thematisieren."
Für das dreiwöchige Programm zur documenta wollten die Macher von Vokaribe etwas finden, das ergänzend zu den Vorgaben des documenta Radios funktioniert - etwa den langen Stücken der Klangkunst. Dadurch kam es auch zu Kontakten mit Akteuren in der Stadt, die bislang nicht bei Vokaribe dabei waren - wie dem Colectivo Ruido.

Wie laut ist Barranquilla?

Ruido heißt übersetzt Lärm - und das Kollektiv besteht aus einer Gruppe von Studenten, die mit der Geschichte der Klangkunst und der Arbeit von Komponisten wie Luigi Russolo, John Cage oder Karlheinz Stockhausen vertraut sind.
"Colectivo Ruido, die untersuchen diese Stadt - wie laut Barranquilla ist. Die stehen z.B. auf der Straße und nehmen mit einem Aufnahmegerät auf, was in einer Straße passiert und wie laut das ist und wie ungesund das ist, und machen solche Experimente - und die produzieren auch Inhalte."

Ein Labor zum Experimentieren

Neben dieser Art von "Kunstradio", das in einem Zusammenhang mit der Stadt Barranquilla steht, gibt es noch ein weiteres Element im documenta-Programm von Vokaribe, das die Hörgewohnheiten des eigentlichen Publikums herausfordert.
"Wir machen gerade ein Format, das heißt Incontemporania. Dabei unterhalten sich zwei Personen über Dinge, die in der Stadt passieren. Das wollten wir schon lange machen, aber wir haben uns das nicht getraut. Jetzt mit der documenta ist das auch für uns ein Labor, ein Experiment: Was passiert, wenn wir eine Stunde lang über ein bestimmtes Thema reden?"
Das Programm von Vokaribe ist nicht nur während des täglichen vierstündigen documenta-Slots von der sozialen Kartographie der Stadt geprägt.
Und auch wenn man kein Spanisch spricht, vermittelt sich über das versendete Universum aus Sounds, Stimmen und Musik das akustische Bild einer Stadt am Meer in Südamerika.

Mit der documenta in Athen ist auch das Radioprojekt Every Time A Ear di Soun an den Start gegangen - eine Kooperation der documenta 14 mit Deutschlandfunk Kultur.