Über die Mühseligkeiten der Demokratie
Marie Wilkes Dokfilm "Aggregat" ist ein Film über den Lernprozess der Politik und der ganzen Gesellschaft. Die Regisseurin begleitete Journalisten und Politiker auf ihrem Weg, den Umgang mit der Neuen Rechten zu erlernen.
Susanne Burg: Die Demokratie, die ist es, die die Dokumentarfilmerin Marie Wilke in "Aggregat" beschäftigt, und zwar das mühselige Geschäft der Demokratie. Ein Jahr lang hat sie Szenen aus dem politischen Alltag in Deutschland gesammelt, hat Führungen im Reichstagsgebäude besucht, Workshops, in denen Abgeordnete Strategien im Umgang mit rechtspopulistischen Thesen üben, und war auch in Zeitungen und Fernsehsendern und hat beobachtet, wie die Journalisten dort mit der Neuen Rechten umgehen. "Aggregat" lief im Februar bei der Berlinale, kommt jetzt ins Kino, und ich freue mich, dass die Regisseurin jetzt hier im Studio ist. Guten Tag, Marie Wilke!
Marie Wilke: Guten Tag!
Burg: Sie haben 2016, 17 gedreht, da war Pegida schon zwei Jahre alt, die AfD gegründet, die Frage "Wie umgehen mit Rechtspopulismus?" war schon großes Thema. Was war bei Ihnen der ausschlaggebende Punkt, diesen Film zu drehen, und mit welchem Erkenntnisinteresse sind Sie an die Arbeit gegangen?
Wilke: Also mein Fokus war ganz klar zu Beginn des Projekts das Konstrukt Demokratie. Also wie kann man eigentlich hinter diesem abstrakten Begriff das finden, woraus Demokratie besteht, also wirklich bei den Menschen, und es war dann so, dass in der Vorbereitung des Films doch auch dieses Thema Rechtspopulismus eigentlich immer wichtiger wurde und ich dann auch gemerkt habe, dass ich es in den Film mit aufnehmen will, weil es einfach als Thema eins war, wo schnell klar wurde, dass Politiker und Journalisten und auch Bürger sich doch anhand dieses Themas auch mit ihrer eigenen Rolle wieder beginnen zu beschäftigen. Das war eigentlich das, was mich interessiert hat, noch mal die Rollen in der Demokratie zu betrachten, und da erschien mir der Rechtspopulismus als roter Faden sozusagen auch richtig.
Unsicherheiten im Umgang mit alten Thesen
Burg: Ja, der Punkt, wo es vielleicht jetzt auch gerade knirscht im demokratischen Getriebe. Sie beginnen mit ein paar Besuchern im Bundestag, die der Politik vorwerfen, zu volksfern zu agieren. So Sachen wie: die da oben wissen nicht, worum es uns geht, kommen dann. Man merkt aber gerade auch so im Umgang mit Rechtspopulismus doch auch eine gewisse Unsicherheit bei Politikern, dass sie auch erst mal lernen mussten, wie darauf reagieren, oder?
Wilke: Ja, also das habe ich bei den Politikern gespürt, dass da Unsicherheit herrschte und auch wirklich, wie man ja im Film auch sieht, ein Bedürfnis sich auszutauschen: Wie gehe ich denn damit um, wenn jemand rechtspopulistische Sachen sagt, und ich weiß gar nicht genau, ob das jetzt für mich schon eine rote Linie ist, oder wie gehe ich auf die Person ein." Also das fand ich auch sehr offen eigentlich von den Politikern, die ich im Film zeige, dass sie da ihre Unsicherheit auch zeigen, weil sie natürlich auch da mit Sachen konfrontiert sind, die es vielleicht vor ein paar Jahren so noch nicht gab oder auch mit Stimmen. Also da habe ich durchaus Unsicherheit gemerkt und auch, dass es ein Umbruch ist auch in der Kommunikation.
Burg: Sie besuchen zum Beispiel einen Workshop, in dem SPD-Abgeordnete, Politiker lernen, mit rechtspopulistischen Thesen umzugehen. Da werden dann ersteinmal diese gebräuchlichen Thesen gesammelt, wie "Die nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg" oder "Wir können nicht alle reinlassen". Dann wird damit umgegangen. Als wie fruchtbar haben Sie diese Workshops wahrgenommen?
Wilke: Ich kann gar nicht wirklich beurteilen, wie fruchtbar dieser Workshop letztendlich für die Teilnehmer war. Was ich spannend fand, war, dass das ja sozusagen für mich eine Art wäre, damit umzugehen, was Leute sagen. Das ist ja fast mehr eine technische Art, also sozusagen Aussagen von Menschen in den eigenen Rahmen reinzuholen, aber natürlich merkt man da ja auch eine gewisse Unsicherheit, ob das dann teilweise mit allen Aussagen geht und, wie die eine Politikerin da ja auch ganz treffend sagt, ja, aber das stimmt ja teilweise. Also wie gehe ich jetzt damit um, was da gesagt wird. Also ob dieses Reframing immer sozusagen die richtige Technik ist. Das haben, glaube ich, jetzt auch alle Teilnehmer nicht abschließend da beantworten können.
Burg: Ist aber das vielleicht auch eine Möglichkeit, nicht einfach nur auf Konfrontation zu gehen, sondern vielleicht zu einer differenzierteren Auseinandersetzung zu führen?
Wilke: Also das war mein Eindruck bei dieser Veranstaltung, zum Beispiel, dass da die Teilnehmer, also die Abgeordneten und die anderen Menschen, die da im Bundestag arbeiten, einfach versuchen, wegzukommen von so einem Schwarzweiß, dass der eine sagt, das ist richtig, und dann sage ich, nein, das ist richtig, und dann kommt man natürlich gar nicht ins Gespräch, also dass es auf jeden Fall darum ging zu erforschen, wie kann man denn überhaupt ins Gespräch kommen und nicht sozusagen gleich aufhören zu sprechen. Also diesen Wunsch, den habe ich da bei vielen Leuten gemerkt.
Der Umbruch findet an vielen Stellen statt
Burg: Im letzten Teil Ihres Films geht es dann um die Medien. Sie sind dabei, wie ein Fernsehteam sich Gedanken macht, wie es einen Beitrag über die identitäre Bewegung schneidet. Alles in allem entsteht da der Eindruck, die nehmen ihren Job sehr ernst. Ist das nicht doch dann auch, mal überspitzt gefragt, so ein bisschen Schönreden? Ich habe häufig eher den Eindruck, dass auch im Journalismus eine große Unsicherheit herrscht.
Wilke: Also das war auch mein Eindruck während der Drehzeit, dass auch die Journalisten …, also dass ein Umbruch an vielen Stellen stattfindet, was man ja vielleicht auch in einer anderen Szene spürt, wo es darum geht, ob man einen bestimmten Witz machen kann. Nein, den machen jetzt aber vielleicht auch die Neuen Rechten. Also plötzlich wird Sprache anders gedeutet, und wie geht man damit um, dass sich Leute zu Wort melden, die sich vielleicht früher nicht zu Wort gemeldet haben. Also so diesen Umbruch, den habe ich da schon auch gespürt, also dass man auch noch genauer gucken muss, welche Worte man wählt und wie man mit Themen umgeht.
Burg: Das Material ist ja jetzt schon wieder zwei Jahre alt so ungefähr. Schauen Sie heute ein bisschen anders auf den Film, jetzt da der Rechtspopulismus noch viel mehr Alltag geworden ist?
Wilke: Also auf jeden Fall der Film sagt ja auch, das war mein Ziel, dass der Film auch immer deutlich macht, dass er ein Fragment ist aus einer ganz bestimmten Zeit, also wirklich ein Ausschnitt aus dieser Zeit, in der gedreht wurde, und selbst aus dieser Zeit sind es nur Fragmente und nicht eine geschlossene Erzählung oder eine Erklärung für diese Zeit, aber sicher: Also ich sehe an vielen Szenen, dass einiges auch schon wieder vielleicht eine Spur mehr normalisiert ist als es damals war oder dass schon ganz neue Diskussionen herrschen. Also ich spüre es schon, aber ich würde … Also für mich ist der Film trotzdem gültig, weil ich habe immer versucht, ihn nicht zu tagesaktuell zu machen, sondern er sollte generell über Demokratie erzählen.
Burg: Haben Sie denn den Eindruck, dass inzwischen Politik und Medien gelernt haben?
Wilke: Also ich habe den Eindruck, dass viele Dinge, dass die sozusagen noch mehr ins Bewusstsein gedrungen sind oder mehr diskutiert wird. Also so zum Beispiel, dass viele Journalisten auch sehen, dass sie transparenter werden müssen und zeigen müssen, wie sie eigentlich arbeiten, was man ja auch an den Öffentlich-Rechtlichen sieht, und dass man auch wieder vielleicht deutlicher sagen muss, was eigentlich der Wert von Qualitätsjournalismus ist und dass man das mal ausspricht anstatt es nur vorauszusetzen. Da habe ich schon das Gefühl, dass es noch eine Stufe weiter ist, also das ist weg von der Selbstverständlichkeit hin zu mehr auch, dass man sich behauptet.
Burg: "Aggregat", das ist der Dokumentarfilm von Marie Wilke. Er kommt am Donnerstag ins Kino, und Ihnen, Frau Wilke, herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Wilke: Danke!
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