Doku "The Most Beautiful Boy in the World"

Aus der Bahn geworfen

05:06 Minuten
Schwarzweißfoto von Björn Andrésen am Set von "Der Tod in Venedig", der auf einem Stuhl mit der Aufschrift "L. Visconti" sitzt und durch die Lehne in die Kamera schaut.
Vor 50 Jahren erklärte Luchino Visconti seinen Hauptdarsteller Björn Andrésen aus "Tod in Venedig" zum schönsten Jungen der Welt. © Missing Films
Von Christian Berndt |
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1971 wurde der damals 15-jährige Björn Andrésen weltberühmt: In Luchino Viscontis Film "Der Tod in Venedig" spielte er den jungen Tadzio. Doch der Ruhm erwies sich als Fluch. Eine Kino-Doku zeichnet nun das Leben des schwedischen Schauspielers nach.
Die polnische Adelige ruft nach ihrem Sohn Tadzio, während der deutsche Tourist vom Strandkorb aus den bildschönen Jüngling anschmachtet. Luchino Viscontis Verfilmung von Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ macht den schwedischen Darsteller des Tadzio nicht nur über Nacht weltberühmt. Nach der Premiere erklärt Visconti den 15-jährigen Björn Andrésen auch noch zum "schönsten Junge der Welt" und der wird - ob er will oder nicht - zur Ikone.

Räumungsklage statt Luxusleben

Im schwedischen Dokumentarfilm „The Most Beautiful Boy in the World“ porträtieren Kristina Lindström und Kristian Petri nun den schwedischen Schauspieler und Musiker und kontrastieren Andrésens Star-Vergangenheit fast brutal mit seiner wenig glamourösen Gegenwart. Der inzwischen 67-Jährige sieht mit zotteligem grauen Haar und Rauschebart wie ein Heavy-Metal-Rocker aus.
Man sieht Andrésen beim Telefonat mit dem Mieterverein: Er hat eine Räumungsklage erhalten, weil die Dunstabzugshaube Feuer gefangen hatte. Jetzt hilft ihm seine Freundin beim Aufräumen der vollgemüllten Wohnung. Andrésens Leben war früh schwierig, nach dem Selbstmord der alleinerziehenden Mutter wächst der Junge bei der Großmutter auf.

Zum Star erzogen

Seine Oma meldet ihn für alle möglichen Castings an, sie wollte einen Star als Enkel, sagt Andrésen. In den Filmaufnahmen aus seiner Jugend, von denen es bemerkenswert viele gibt, zeigt sich bereits der Ehrgeiz der Großmutter, den Enkel in Szene zu setzen.
Er hat schon eine kleine Filmnebenrolle gespielt, als er 1970 zum Casting für „Tod in Venedig“ eingeladen wird. Der italienische Regisseur Visconti sucht in Schweden nach einem Darsteller, der das Sinnbild jugendlicher Schönheit verkörpern soll.
In Originalaufnahmen vom Casting begutachtet der offen homosexuelle Visconti den Fünfzehnjährigen, fordert ihn auf, das Hemd auszuziehen. Der Junge wirkt irritiert, die Szene zeigt, wie unvorbereitet er ist. Visconti gibt Andrésen sofort die Rolle und setzt ihn beim Dreh zu „Der Tod in Venedig“ ikonisch in Szene: „Viscontis Anweisungen, wenn er mir überhaupt welche gab, waren in etwa diese vier: geh, bleib stehen, dreh Dich und lächle", so Björn Andrésen.
Der Film wird zum Triumph, man sieht Aufnahmen von den Premieren in London mit der Queen und in Cannes. Wer beobachtet, wie Visconti seinen jungen Hauptdarsteller vor sich her schubst und auf der Pressekonferenz lästert, dass Andrésen ja leider nicht mehr so schön sei wie beim Casting, kann sich vorstellen, wie die Dreharbeiten verlaufen sein müssen.

Berühmtsein als Albtraum

Andrésen selbst empfand den Trubel damals als Albtraum, sagt er, er habe das Image des schönen Jungen gehasst. Etwa als er nach dem Erfolg von „Tod in Venedig“ nach Japan eingeladen wird, und  dort einen erst recht bizarren Kult um sich erleben muss.

Ich dachte nur: Das passiert alles gerade nicht! Da standen Leute, die hatten Scheren dabei, um mir eine Locke abzuschneiden.

Björn Andrésen

In Japan werden Platten und Werbeclips mit Andrésen produziert, er wird zum blonden Schönheitsidol, eine japanische Zeichnerin erzählt, dass sein Aussehen eine ganze Generation von Manga-Zeichnern inspiriert habe. 1976 geht Andrésen für ein Filmprojekt nach Paris, das sich zwar zerschlägt, aber man zahlt ihm eine Wohnung.

Schicksalsschläge und Depression

Er lässt sich ein Jahr lang von reichen Männern aushalten und führt ein Leben zwischen Clubs und teuren Restaurants. Zurück in Schweden spielt er kleine Rollen in Film und Fernsehen, versucht, sein Leben zu stabilisieren.
Er heiratet, das Paar bekommt zwei Kinder, aber dann stirbt der Sohn mit neun Monaten: „Mit ihm ist alles zerbrochen. Ich bin in eine Depression versunken und habe getrunken. Selbstzerstörung auf jede erdenkliche Weise.“
Andrésens Leben, das zeigt der sehr persönlich gehaltene Dokumentarfilm, war und ist kompliziert. Es ist ein viel zu früh aus der Bahn geratenes Leben, und man merkt Andrésen, der immer noch als Schauspieler arbeitet, an, dass ihm die filmische Aufarbeitung seiner Vergangenheit zusagt.
Sehr offen gibt er Einblick in seinen Alltag und seine inneren Kämpfe. In den gerade geschnittenen Zügen seines Gesichts erkennt man noch den Tadzio aus „Tod in Venedig“. Am Ende des Dokumentarfilms, wenn Andrésen am Lido von Venedig steht, wirkt er fast versöhnt mit dem Jüngling, den er zeitlebens nicht losgeworden ist.
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