Ein Leben wie eine griechische Tragödie
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Für viele Fußballfans war Diego Maradona ein Gott. In Neapel, wo er lange spielte, wird er noch heute verehrt. Von dem argentinischen Superstar, der hoch stieg und später tief fiel, erzählt Asif Kapadia in seinem Dokumentarfilm "Diego Maradona".
Diego Maradona gelang in seinem Heimatland Argentinien der große Durchbruch als Fußballer - danach stand ihm die Welt offen. Aus den Slums von Buenos Aires ging es für ihn nach Barcelona, wo ihm der Erfolg vorerst nicht mehr treu war.
Nach mehreren Verletzungspausen und mit dem Ruf, lieber Party zu machen als auf dem Rasen zu stehen, wechselte er 1984 nach Italien zum SSC Neapel. Der Wechsel zu dem erfolglosen Fußballclub wirkte auf Außenstehende wie ein Abstieg auf der Karriereleiter. Doch die Fans des Vereins standen geschlossen hinter ihrer Mannschaft und waren hungrig auf den großen Erfolg.
Sieben Jahre blieb Maradona beim SSC Neapel, was sowohl für den Spieler als auch den Verein und die Stadt eine Zeit des Wandels war. Für die SSC-Fans war Maradona ein Gott. Er brachte ihnen Erfolg und Erlösung. Der Club gewann 1987 die italienische Meisterschaft, ein Jahr zuvor war Maradona mit der Nationalmannschaft Argentiniens Weltmeister geworden.
Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten: Diego ließ sich mit der Mafia ein und wurde drogensüchtig. Asif Kapadia widmet sich in seinem neuen Dokumentarfilm dem Phänomen Maradona. Nicht-Fußballfan Hartwig Tegeler hat sich den Film angeschaut.
So, wie die ganze Zeit in Neapel ein Höllenritt war, ist auch die Ankunft einer. Grobkörnige Bilder mit der Videokamera aufgenommen, Autos rasen durch die "ärmste Stadt Italiens, die", wie ein Fernsehmoderator kommentieren wird, "den teuersten Fußballspieler der Welt" gekauft hat. Woher übrigens die Transfersumme von 24 Millionen D-Mark kam? Ungeklärt bis heute. 5. Juli 1984: Maradona kommt in Neapel an. Chaotische Autofahrt. Chaotische Pressekonferenz. Maradona, davor bei Barcelona, nun beim mittelmäßigen und erfolglosen SSC Neapel. 1986, 1987 dann die italienische Meisterschaft. Maradonas Verdienst. Und parallel langsam, dann immer schneller der Abstieg in die Drogensucht. Und die, die ihn einst verehrten mit den Worten, dass man nicht schlecht reden dürfe über Maradona, wie ein Neapolitaner sagt, weil man ja auch nicht schlecht rede über Gott, sie fingen an, ihn zu hassen.
Es mag ja in Stein gemeißelt klingen, das Credo des Diego Maradona: "Auf dem Spielfeld wird das Leben unwichtig. Alles wird unwichtig."
Auch Fußballverächter sind gefesselt
Aber auch für die Fußball-Götter lauert das Leben dann doch jenseits der 90 Minuten, jenseits des Spielfeldes. Das Verrückte ist, dass Asif Kapadias Film auch einen wie mich, einen, den Fußball nicht einen Deut interessiert, Schrägstrich, der von Fußball keine Ahnung hat, sofort packt. Das Verrückte ist außerdem, dass es in der Natur der Sache liegt, dass dieser Film, der sich auf die Zeit Maradonas in Italien -1984 bis 1991 - konzentriert, die Dramaturgie eines Spielfilms hat. Einer Heldenreise. Filmemacher Asif Kapadia sagt dazu:
"Am Ende gibt es diese Wendung in der Geschichte – fast wie in der griechischen Tragödie, wo jeder, der ganz nach oben kommt, wieder fällt. Es ist wie ein Film. Er sagt das in der Dokumentation selber über sich: Sein Leben ist wie ein Film. Er ist tatsächlich eine Art Filmfigur."
Wie in der Dokumentation über den Rennfahrer Ayrton Senna und die Sängerin Amy Winehouse ist auch Asif Kapadias "Maradona"-Film eine Montage aus Hunderten von Stunden Archivmaterial. Von Fernseh-Bildern bis zu wackeligen, körnigen Homemovies; komprimiert das Ganze auf 130 Minuten. Es gibt keine Interview-Partner zu sehen, und auch der Diego Maradona, mit dem der britische Regisseur 2017 in Dubai ein Interview führte, ist nur als Stimme zu hören, während wir die Bilder des Archivmaterials sehen.
Der Film erzählt davon, was Ruhm kostet
In der Montage die eigene Wahrheit der Geschichte zu entwerfen, das sieht Asif Kapadia als Aufgabe des Filmemachers an. Der hat die Macht über das Narrativ – mit dem Filmschnitt. Ob "Diego Maradona" nun die "wahre Geschichte" über Maradona erzählt, ist letztlich unerheblich. Denn Asif Kapadia erzählt vor allem davon, was der Ruhm kostet. Bruce Springsteen, der ja seine Zeit auf dem Olymp – Variante Rock-Olymp – als Gott immer noch verbringt, hat das genau auf den Punkt gebracht:
"Du musst dich da vorne wohlfühlen, du musst diesen Narzissmus und dieses Ego haben, ohne die es vorne nicht geht." Maradona hatte das Ego. Einerseits. Andererseits sind Ego und Narziss schwer zu bändigende Dämonen. Drogen helfen, denken da die menschlichen Götter, und dann… Maradona erzählt in Asif Kapadias Film, wie er noch beim FC Barcelona, also vor Neapel, das erste Mal Koks schnupfte, sich wie ein Superman fühlte. Der langjährige Personal Trainer des Fußballers, Fernando Signorini:
"Ich habe gemerkt, es gibt 'Diego', und es gibt 'Maradona'. 'Diego' war ein etwas unsicherer, aber liebenswerter Junge. 'Maradona' dagegen war die Rolle, die er sich zurecht gelegt hatte, um im Fußballgeschäft und auch in den Medien bestehen zu können. 'Maradona' durfte nie Schwäche zeigen."
Das Leuchten aus seinen Augen verschwindet
Nach dem Jekyll-und-Hyde-Schema übernahm mit dem argentinischen WM-Sieg und dem explodierenden Hass der Neapolitaner der "Maradona"-Teil die Regie. Und mit dem Fall des Stars erfolgte nun das Zermalmen von "Diego" und "Maradona". Beiden Teilen. Filmemacher Asif Kapadia:
"Je berühmter er wird, desto mehr verschwindet das Leuchten aus seinen Augen. Er fängt an zu lügen und zu betrügen. Alles beginnt, schief zu laufen, und er wird süchtig. Es gibt diesen Aufstieg und Fall – man sieht es seinem Körper an. Er kann es nicht gut verstecken."
Natürlich ist die Doku "Diego Maradona" ein gnadenloser wie präziser Kommentar zu unserer Medienkultur und ihren Protagonisten, auch, wenn sie keine Tore schießen.