Laut, bunt, weiblich
Am 1. Mai stehen sich eine Polizistin und eine demonstrierende Rechtsanwältin gegenüber. Im Frauenblasorchester Berlin spielen beide zusammen Trompete. 66 Frauen zählt das ungewöhnliche Ensemble, das der Dokumentarfilm "Kein Zickenfox" begleitet hat.
Bettina: "Weil wir anders sind, darum klingen wir wahrscheinlich auch anders."
Kerstin: "Wenn jemand 'nen Solo spielt, egal wie es ist, alle fiebern mit, alle applaudieren, alle sind dabei, es gibt keine Missgunst oder kein Neid."
66 Frauen zwischen 20 und 75 strömen jeden Dienstag aus allen möglichen Bezirken und Berufen nach Kreuzberg zur Orchesterprobe.
Gemischter geht es nicht
Das Frauenblasorchester Berlin existiert seit über 10 Jahren und, obwohl es ausschließlich aus Musikerinnen besteht, könnte es gemischter kaum sein:
Kerstin: "Im Trompetenbereich gibt’s beispielweise eine Polizistin, Martini, die direkt neben, sag ich mal, einer Rechtsanwältin, die aber gerne... am 1. Mai stehen die sich auf beiden Seiten auf der Straße gegenüber quasi, also Polizistin und die Demonstrantin, und die spielen aber nebeneinander."
Die Vielfalt der Frauen und ihre gemeinsame Begeisterung für Musik haben die Filmemacherinnen Dagmar Jäger und Kerstin Polte sofort fasziniert, und sie beschlossen, zunächst völlig ohne Geld, das Orchester 3 Jahre lang mit der Kamera zu begleiten. Kerstin Polte erzählt, wie sich die Idee entwickelte:
"Es begab sich eines Tages, dass Dagmar, wir sind sehr lange schon befreundet, durch den Humboldt Hain spazierte, zur fete de la musique, und die Frauen gehört hat und meinte so, wollen wir nicht ein Film über die machen? Und da hab ich gesagt, hm ja, klingt gut, aber erstmal sozusagen 66 Frauen sind erstmal wild und toll und vielfältig, aber es ist nicht total auf der Hand wie macht man einen Film über die. Und dann gingen wir auch in die Proben und ich hab mir das angeguckt und wir waren wirklich sofort auch begeistert und auch total verliebt eigentlich, in wirklich diese unterschiedlichen Frauen und in die Energie, die einen so wahnsinnig mitreißt."
Zunächst waren die Orchesterfrauen allerdings skeptisch, ob sie das Filmprojekt zulassen sollten:
Dagmar: "Am Anfang, es war ja auch ne große Diskussion, wollen wir das überhaupt, das ist ja was ziemlich Intimes so die Probenarbeit, aber irgendwann... trat das ziemlich in den Hintergrund, dass die Filmfrauen da mit dabei waren"
Die musikalische Leiterin Astrid Graf ist die einzige Profimusikerin. Nach gescheiterten Versuchen ein Ensemble zu übernehmen, brachten sie ihre Klarinettenschülerinnen auf den Gedanken, doch einfach selbst eins zu gründen.
"Und dann sagte eine von diesen Schülerinnen zu mir, willste nicht ein Frauenorchester gründen und ich hab gedacht, tolle Idee, mach ich, ist spannend. Wir haben inseriert in den verschiedenen Zeitungen, und dann strömten die wirklich, also wir hatten 40 in der ersten Probe."
Das Repertoire reicht von Klassik über Jazz, Swing, Filmmusik, Rock und Pop; traditionelle Blasorchesterstücke, wie Märsche oder Polkas, werden kategorisch abgelehnt.
"Wir achten auf ganz andere Zwischentöne"
Im Film wird deutlich, es ist aber längst nicht nur das Programm, was das Frauenblasorchester von anderen – gemischten - Ensembles unterscheidet:
"Frauen reden mehr, hab ich das Gefühl, als Männer, also man weiß über den anderen Bescheid, man nimmt Rücksicht, man achtet auf ganz andere Zwischentöne auch nochmal, glaub ich, als sozusagen in so 'nem gemischten Orchester."
Im Film sieht man die Instrumentalistinnen bei den Proben, auf denen auch mal heftig gestritten wird, vor den Auftritten und beim ausgelassenen Feiern danach. Dazwischen lernen wir in Kurzporträts acht der Frauen näher kennen, zum Beispiel Steph, die sich auf ihrem Bauernhof selbst versorgt und Mini-Konzerte im Schafstall organisiert, oder Irmgard, die mit über 70 Jahren noch mal angefangen hat Saxophon zu lernen, nach dem Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann?! oder Frauke, die ihr eigenes Häuschen baut, um auch nachts Schlagzeug üben zu können.
An den Pulten sitzen Regenbogenfamilien, Hausfrauen und überzeugte Singles nebeneinander, ohne Vorurteile, Rollenmuster und Klischees. Stattdessen erfahren wir, warum in einem Frauenblasorchester eigentlich die beste Position am Schlagzeug ist:
"Du kannst Luft holen, wann du willst, du kannst dabei essen und du kannst Lippenstift tragen."
"Begrüßen Sie mit mir.... wir spielen das nämlich nicht".
Die erste Tournee des Orchesters geht nach Bayern, dort kommt es - zwischen Bierdunst und Festzelt – zu einer skurrilen Begegnung mit einer echt fränkischen Hump-ta-ta-Kapelle. Danach sind sich die Frauen des Blasorchesters einig: Man, bzw Frau, weiß, warum sie in Berlin lebt.
Als Krönung in die Philharmonie
Der Film schafft es, dass man als Zuschauer immer stärker ins Orchester und in die Musik eintaucht und am Ende mitfiebert, wenn sich alle zum glamourösen Auftritt im Kammermusiksaal der Philharmonie aufmachen:
Martini "Da hab ich immer noch Gänsehaut, wenn ich die Bilder sehe und daran denke, wie wir da auf die Bühne gekommen sind und um uns geguckt haben und ich so gedacht habe, oh, mein Gott! Alle hier, nur wegen uns".
"Das war einfach so irre, weil das Publikum so mitgegangen ist, und das so richtig gebebt hat, irgendwie, das fand ich wirklich total beeindruckend."
Irmgard: "Ich möcht natürlich, wenn wir so einen großen Auftritt haben, keinen Mist bauen, ist klar. Da hab ich noch ne ganze Menge Töne weggelassen, das merkt das Publikum natürlich nicht, weil das Instrument ja am Mund bleibt."
Bislang lief "Kein Zickenfox" fast ausschließlich auf queeren Festivals, dort hat er allerdings bereits fünf Publikumspreise abgesahnt. Den Männern – und Frauen - die sich diesen humorvollen Film entgehen lassen, kann man nur sagen: Sie haben etwas verpasst.
Astrid: "Abgesehen davon, dass der jetzt zufälligerweise über mein Orchester geht, finde ich, dass das ein sehr positiver Film ist, also man geht raus und hat danach Energie und ein gutes Gefühl."