"Inakzeptabel, widerrechtlich, politisch unvertretbar"
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Ein Film über Leni Riefenstahl liegt beim WDR seit Jahrzehnten unter Verschluss: Die NS-Filmemacherin hatte juristisch ein Aufführungsverbot erwirkt. Dass dieses immer noch besteht, kritisiert der Journalist Gerhard Beckmann in einem offenen Brief.
1982 drehte die Filmemacherin Nina Gladitz (1946-2021) für den WDR den Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit". Thema der Doku ist das Schicksal der Sinti und Roma, die Leni Riefenstahl für ihren Film "Tiefland" aus dem Lager Maxglan bei Salzburg für die Komparserie am Drehort einsetzte - und von denen viele danach in Auschwitz ermordet wurden.
Einige Überlebende kamen im Film zu Wort. Doch Riefenstahl wollte vom Schicksal der Komparsinnen und Komparsen nichts gewusst haben und klagte zwei Jahre später gegen den Gladitz-Film. In mehreren Punkten wurde die Klage abgewiesen, aber nicht in allen, und Riefenstahl erreichte ein Aufführungsverbot. Die Konsequenz war, dass "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" vom WDR seither nicht gezeigt wird.
Offener Brief an den WDR-Intendanten
Nina Gladitz schrieb in ihrem Buch "Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin", das kurz vor ihrem Tod veröffentlicht wurde, sie habe nach dieser Doku keine Aufträge mehr vom WDR oder anderen ARD-Sendern bekommen.
Der ehemalige Verleger, Übersetzer und Journalist Gerhard Beckmann fordert nun in einem Offenen Brief an den WDR-Intendanten Tom Buhrow, dass der Sender den Film von Nina Gladitz aus dem Giftschrank holen soll.
"Es wäre völlig inakzeptabel, es wäre unvorstellbar und widerrechtlich und politisch völlig unvertretbar in der Bundesrepublik, wenn der WDR sich weigern würde, diesen Dokumentarfilm der Öffentlichkeit zugänglich zu machen", sagt Beckmann, der den Vorgang empörend findet. "Es würde bedeuten, dass sich der Intendant Tom Buhrow noch immer hinter den Mythos Leni Riefenstahl stellen würde. Als ob sie einer unbelehrbaren Nazi-Propagandistin zu Diensten sein wollen, die sich längst als Lügnerin erwiesen hat."
Riefenstahls Argument im damaligen Prozess, Gladitz habe sich mit den überlebenden Sinti- und Roma-Zeitzeugen "gemein gemacht" und hätte deren Aussagen beweisen müssen, "wäre heute nicht mehr justiziabel." Und: "Alle juristischen Gründe, die angeführt werden können, um diesen Dokumentarfilm der Öffentlichkeit noch länger vorzuenthalten, sind längst entfallen und irrelevant."
Der Film sei vor allem wegen der Interviews mit Überlebenden ein wichtiges Zeitdokument – von dieser Art gebe es nicht mehr viele, betont Beckmann. Er solle deshalb in allen Gedenkstätten für Sinti und Roma gezeigt werden können und müsse auch für Forschungsvorhaben freigegeben werden.
(mkn)