Auf Spurensuche in der afghanischen Filmgeschichte
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Das afghanische Kino ist geprägt von den Regimewechseln im Land. Auf der Berlinale läuft nun ein Dokumentarfilm über die unvollendet gebliebenen Filme: Sie gestatten einen besonderen Einblick in die Realität des Landes, sagt die Regisseurin.
Am Donnerstag beginnen in Berlin die 69. Internationalen Filmfestspiele. Eine besondere Entdeckung findet sich im "Forum" des Festivals: Mariam Ghanis Dokumentarfilm "What We Left Unfinished", der einen Blick in die reiche afghanische Filmgeschichte wirft: Im Mittelpunkt stehen dabei nicht große Klassiker, sondern gerade die unvollendeten Filme, die es nie ins Kino geschafft haben. Der Film ist aus einem Projekt afghanischer Archive zur Digitalisierung der eigenen Filmgeschichte hervorgegangen.
Weitreichende Zensur
Dass die Filme nicht fertig gestellt wurden, habe auch mit den Regimewechseln im Land zu tun, erklärt die Regisseurin im Deutschlandfunk Kultur. Lange habe die Sowjetunion die Filmproduktion des Landes kontrolliert. Dann kam die Zeit der Öffnung, nach der "mehr Themen erlaubt waren. Die Finanzierung war zwar weniger stabil, da die Sowjetunion zuvor sehr in das afghanische Kino investiert hatte. Dafür gab es weniger Zensur."
Die Zensur war umfassend, sagt Ghani:
"Das ging damit los, dass man sein Skript einreichen musste. Das musste genehmigt werden. Wenn dann ein Skript genehmigt wurde, wurde der Film gedreht. Dann gab es Probesichtungen in verschiedenen Ministerien. Man musste diverse Institutionen durchlaufen, bis man zur finalen Ebene der Zensur kam, wo dann ein Zensor buchstäblich Teile aus dem Film herausschnitt, die ihm noch immer nicht gefielen."
Subversive Szenen
Aus diesem Aspekt heraus ergibt sich der besondere Reiz dieser Filmruinen, erklärt Ghani weiter. Denn: "Bei diesen fehlt diese letzte Etappe. Es sind noch alle Teile enthalten, weil noch nicht gefiltert wurde. Deshalb sieht man auch subversivere Szenen als in anderen Filmen, die vollendet worden sind."
Die unvollendeten Filme bilden ein Dokument ihrer Entstehungszeit, sagt Ghani:
"Die Realität der Zeit wird viel authentischer wiedergespiegelt."
Mitunter empfindet sie diese Filme "als wichtiger als manche vollendeten Filme."
Waghalsige Szenen drehte man kurzerhand real
Die Produktionsbedingungen des afghanischen Films sind insbesondere im Vergleich zu westlichen Sicherheitsstandards haarsträubend gewesen, führt Ghani aus: "Es gab keine Stunt-Koordinatoren."
Waghalsige Szenen drehte man einfach unter realen Bedingungen nach. Dadurch entstand eine "bemerkenswerte Mischung aus Fiktion und Realität", die man nach westlichen Begriffen gar als Avantgarde einstufen könne.
Als Beispiel führt Ghani einen Film über die Aprilrevolution an, der "diesen Staatsstreich nochmal komplett nachstellte. Mit haufenweise echter Munition, mit echten Panzern. Es tauchen, glaube ich, zehn verschiedene Militärschusswaffen auf. Der komplette Wahnsinn, es erscheint total verrückt. Aber es ist auch Teil einer größeren Tradition afghanischen Filmemachens."
(thg)
Tipp: Auf Youtube gibt es ein ausführliches Filmgespräch mit Mariam Ghani.