Der Präsidentenfall als Fernsehkammerstück
Vor zwei Jahren trat der damalige Bundespräsident Christian Wulff zurück. 68 Tage dauerte der Kampf um seine Integrität. Wie diese zwei Monate für den Präsidenten waren, schildert nun ein Film - oder zumindest, wie sie gewesen sein könnten.
Ausschnitt aus "Der Rücktritt":
"Ein Reporter der 'Bild'-Zeitung hat angerufen und angefragt, ob er den Kreditvertrag zur Finanzierung ihres Hauses einsehen darf."
"Und warum ruft er ausgerechnet heute an?"
"Na ja, die 'Bild'-Zeitung hat dazu ja schon letzte Woche Fragen gestellt, du erinnerst dich, du hast uns bei dieser Gelegenheit eröffnet, dass es nicht um einen normalen Bankkredit ging, sondern dass du dir das Geld über Freunde besorgt hast, also ein Privatkredit existierte, von dem niemand etwas wusste, nicht einmal wir ... nun das hat die 'Bild'-Zeitung jetzt rausgefunden, jetzt wollen sie wissen, wer dieser Kreditgeber gewesen ist."
Mit dieser Szene am Frühstückstisch im Bundespräsidialamt, die sich Ende 2011 so oder ähnlich zugetragen hat, beginnt der Film "Der Rücktritt" von Thomas Schadt. Das Dokudrama, das von Nico Hoffmann produziert wurde, enthält eine Vielzahl von Ausschnitten aus Fernsehberichten, Talkshows, sogar Harald Schmidt darf seine Witze machen.
Ablenkende Dokudrama Elemente
Das soll dem Film Authentizität verleihen, lenkt aber auch ab. Das ist schade, denn die beiden Schauspieler, die Christian und Bettina Wulff verkörpern, Kai Wiesinger und Anja Kling, spielen exzellent. Man hätte ihnen auch ein pures Kammerspiel zugetraut, ohne ablenkende Dokudrama Elemente. Anfangs muss man sich als Zuschauer zwar noch etwas an die Gesichter gewöhnen, zu präsent ist der Fall Wulff im visuellen Gedächtnis - und doch: Bald glaubt man Wiesinger und Kling ihre Darstellung.
Exzellent besetzt sind auch die Nebenrollen, beispielsweise Rene Schönenberger als nüchtern-korrekter Leiter des Bundespräsidialamtes Hagebölling oder Holger Kunkel, der Wulffs Berater Olaf Glaeseker spielt - mit der genau richtigen Mischung aus nass-forscher Dreistigkeit und vernunftbegabter politischer Analyse.
Ausschnitt aus "Der Rücktritt":
"Wie sollen Hagebölling und ich dich schützen, wenn wir von all diesen Dingen immer erst dann erfahren, wenn sie wie Kanonenkugeln aus dem Nichts durch das Schloss pfeifen?"
"Weil privat privat ist ... und Flitterwochen bei Freunden sind privat und rechtens. Das gilt auch für andere Dinge ..."
"Na ja rechtens schon ... .aber die Welt da draußen ist nun mal der Ansicht, dass es sich für jemanden in deiner Position nicht geziemt, sich von befreundeten Geschäftsleuten einladen zu lassen."
Wulff und Glaeseker, die zwei "best buddys", entfremden sich im Zuge der Affäre - der eine will so wenig Öffentlichkeit wie möglich - der andere pocht auf Transparenz - das kann nicht zusammenpassen.
Der berühmte Anruf
Je weiter die Affäre voranschreitet, desto mehr entwickelt sich im Bundespräsidialamt eine Art Wagenburgmentalität. Das ist spannend anzuschauen. Wulff sieht sich von den Medien verfolgt, von den links-liberalen sowieso, besonders schmerzt ihn jedoch, dass die "Bild"-Zeitung und deren Chefredakteur Kai Diekmann ihn fallen lassen. Schließlich kommt es zu dem berühmten Anruf Wulffs auf der Mailbox Diekmanns - und Tage später zu einer halbherzigen Entschuldigung.
Ausschnitt aus "Der Rücktritt":
"Tag Herr Diekmann, Christian Wulff hier, geht's Ihnen gut?
"Ich kann mich nicht beklagen"
"Der Grund meines Anrufes ist, mich persönlich bei Ihnen zu entschuldigen. Ich bin mir sehr bewusst, dass ich in meiner Wortwahl, als ich auf die Mailbox gesprochen habe, zu weit gegangen bin"
"Es ist gut, dass wir Gelegenheit haben, das zurechtzurücken ... Ich nehme Ihre Entschuldigung gerne an"
"... lassen Sie uns doch mal wieder treffen ... "
"Gerne! Auf Wiederhören! ...
"Und?"
"Das wird nix mehr."
Wulff wirft Glaeseker vor, dass der Anruf seine Idee gewesen war, Glaeseker dementiert: "Aber doch nicht auf dem Anrufbeantworter". Schließlich entlässt Wulff seinen langjährigen Weggefährten, auch weil Vorteilsnahme-Vorwürfe gegen Glaeseker selbst laut werden.
Was will der Film?
Thomas Schadts Films besticht durch seine präzise Beobachtungsgabe - die Gespräche zwischen Wulff und seiner Frau sind zwar frei erfunden, könnten aber so stattgefunden haben. Der Film wird den beiden Figuren durchaus gerecht, doch man fragt sich, was der Film eigentlich will. Will er gerade rücken? Interpretieren? Etwa, dass Wulff ein Opfer einer Medienhatz geworden sei? Man weiß es als Zuschauer nicht so genau.
Das ist das Problem von "Der Rücktritt": Historisch präzise mag er sein, eine eigene Idee, einen eigenen Blickwinkel entwickelt er nicht. Produzent Nico Hoffmann sagt über das Wulff-Bild des Films:
"Ich glaub schon, dass der Film ein weiteres Puzzleteilchen ist in der neuen Wahrnehmung. Weil ich glaub schon, dass Christian Wulff sich durch den Prozess noch mal neu positioniert hat, ich glaube auch, dass der mögliche Freispruch ihn neu positionieren wird, und das Prozessende wird in der deutschen Öffentlichkeit eine moralische Betrachtung des Falls Wulffs hervorholen, und da ist der Film ein Bestandteil von vielen."
Möglicherweise kommt der Film auch zu früh - zwei Jahre sind keine lange Zeit, wenn es um die historische Einordnung eines Politikers geht. So ist "Der Rücktritt" ein solides, auch spannendes Fernsehkammerstück geworden, das aber keine eigene oder neue Interpretation liefert. Christian und Bettina Wulff haben zu dem Film übrigens in keiner Weise beigetragen, auch bei den Voraufführungen in Hamburg und Berlin war keiner der beiden anwesend - nur von Bettina Wulff weiß man, dass sie sich den Film zumindest im Fernsehen anschauen will.