Dokument einer persönlichen Krise
34 Jahre alt war Peter Weiss, als er 1950 sein "Pariser Manuskript" verfasste: eine lose Folge von Prosatexten, in denen sich eine schwere Lebenskrise des Autors widerspiegelt. Der Rotbuch Verlag hat das Werk aus dem Nachlass des Künstlers nun herausgebracht.
Peter Weiss hat mit der "Ästhetik des Widerstands" (1975-1981) eines der wichtigsten deutschsprachigen Bücher in der Zeit nach 1945 veröffentlicht. Auch sein offizielles Frühwerk, zum Teil auf Schwedisch, ist im Lauf der Zeit bekannt geworden. Jetzt aber öffnen sich auch die geheimeren Schubladen. Vor zwei Jahren bereits erschien das "Kopenhagener Journal", das Weiss Ende 1960 führte und ungeahnte intime Einblicke eröffnete.
Das "Pariser Manuskript", das jetzt aus dem Nachlass des 1982 gestorbenen Autors ediert wird, ist 1950 entstanden, als der Autor 34 Jahre alt war. Es ist auf Schwedisch geschrieben und dokumentiert eine künstlerische und persönliche Krise, deren Auswirkungen noch im "Kopenhagener Journal" zehn Jahre später zu spüren sind.
Peter Weiss, aus einer deutschjüdischen Familie stammend, war mit seiner Familie vor dem Nationalsozialismus nach Schweden geflohen und lernte diese Sprache, von der er sich eine neue Identität erhoffte, erst recht spät. Jahre vor dem "Pariser Manuskript" hatte er zwei Bände mit lyrischer Prosa veröffentlicht, um 1950 jedoch waren die Kontakte zu Verlagen abgebrochen und er schlug sich mit dem Problem der völligen Erfolglosigkeit herum.
Zusätzlich wurde dies dadurch akzentuiert, dass er immer noch von den Eltern finanziell abhängig war und sich gerade von seiner Lebensgefährtin getrennt hatte. All dies schlägt sich im "Pariser Manuskript" nieder: Eine Folge von Prosaszenen, die durch die auftretenden Personen lose miteinander verbunden sind. Zugrunde liegen offenkundig autobiografische Erfahrungen.
Die Figuren stellen entweder verschiedene Facetten des Autors selbst dar oder verkörpern gesellschaftliche Über-Ich-Instanzen. Das reflektiert auch die Psychoanalyse, der sich Peter Weiss in dieser Zeit bei dem Therapeuten Lajos Székely unterzog. Die Psychoanalyse spielte in der schwedischen Autorengruppe der "Vierziger", der sich Weiss zugehörig fühlte, neben surrealistischen und anarchosyndikalistischen Einflüssen eine große Rolle. Für Weiss war sie ein wichtiges Mittel, sich der Abhängigkeit von den Eltern bewusst zu werden. Er attackiert sie als Vertreter des autoritären Bürgertums gleichzeitig individuell und gesellschaftlich.
In den "Greisinnen", die im "Pariser Manuskript" auftauchen, wird recht konkret seine Mutterbeziehung abgehandelt; die Greisinnen stehen neben Polizei und Militär. Autobiografische Ich-Aspekte zeigen sich im Tierpfleger, der später als "Samariter" und letztlich als "Erwachender" (genauer: als Schriftsteller) dargestellt wird, sowie in den Figuren des Kentauren, des Geschlagenen und des Studenten.
Im "Pariser Manuskript" zeigen sich zum ersten Mal Peter Weiss’ Versuche, Ich und Gesellschaft aufeinander zu beziehen, zu einer Emanzipation des eigenen Ich vorzudringen und eine "engagierte Literatur" auf formal ambitionierte Weise zu entwickeln. Schon hier, im Jahr 1950, sind dabei erstaunlich radikale Ansätze erkennbar.
Rezensiert von Helmut Böttiger
"Füreinander sind wir Chiffren".
Das Pariser Manuskript von Peter Weiss.
Herausgegeben von A. Schmolke
Rotbuch Verlag, Berlin 2008
191 Seiten, 19,90 Euro
Das "Pariser Manuskript", das jetzt aus dem Nachlass des 1982 gestorbenen Autors ediert wird, ist 1950 entstanden, als der Autor 34 Jahre alt war. Es ist auf Schwedisch geschrieben und dokumentiert eine künstlerische und persönliche Krise, deren Auswirkungen noch im "Kopenhagener Journal" zehn Jahre später zu spüren sind.
Peter Weiss, aus einer deutschjüdischen Familie stammend, war mit seiner Familie vor dem Nationalsozialismus nach Schweden geflohen und lernte diese Sprache, von der er sich eine neue Identität erhoffte, erst recht spät. Jahre vor dem "Pariser Manuskript" hatte er zwei Bände mit lyrischer Prosa veröffentlicht, um 1950 jedoch waren die Kontakte zu Verlagen abgebrochen und er schlug sich mit dem Problem der völligen Erfolglosigkeit herum.
Zusätzlich wurde dies dadurch akzentuiert, dass er immer noch von den Eltern finanziell abhängig war und sich gerade von seiner Lebensgefährtin getrennt hatte. All dies schlägt sich im "Pariser Manuskript" nieder: Eine Folge von Prosaszenen, die durch die auftretenden Personen lose miteinander verbunden sind. Zugrunde liegen offenkundig autobiografische Erfahrungen.
Die Figuren stellen entweder verschiedene Facetten des Autors selbst dar oder verkörpern gesellschaftliche Über-Ich-Instanzen. Das reflektiert auch die Psychoanalyse, der sich Peter Weiss in dieser Zeit bei dem Therapeuten Lajos Székely unterzog. Die Psychoanalyse spielte in der schwedischen Autorengruppe der "Vierziger", der sich Weiss zugehörig fühlte, neben surrealistischen und anarchosyndikalistischen Einflüssen eine große Rolle. Für Weiss war sie ein wichtiges Mittel, sich der Abhängigkeit von den Eltern bewusst zu werden. Er attackiert sie als Vertreter des autoritären Bürgertums gleichzeitig individuell und gesellschaftlich.
In den "Greisinnen", die im "Pariser Manuskript" auftauchen, wird recht konkret seine Mutterbeziehung abgehandelt; die Greisinnen stehen neben Polizei und Militär. Autobiografische Ich-Aspekte zeigen sich im Tierpfleger, der später als "Samariter" und letztlich als "Erwachender" (genauer: als Schriftsteller) dargestellt wird, sowie in den Figuren des Kentauren, des Geschlagenen und des Studenten.
Im "Pariser Manuskript" zeigen sich zum ersten Mal Peter Weiss’ Versuche, Ich und Gesellschaft aufeinander zu beziehen, zu einer Emanzipation des eigenen Ich vorzudringen und eine "engagierte Literatur" auf formal ambitionierte Weise zu entwickeln. Schon hier, im Jahr 1950, sind dabei erstaunlich radikale Ansätze erkennbar.
Rezensiert von Helmut Böttiger
"Füreinander sind wir Chiffren".
Das Pariser Manuskript von Peter Weiss.
Herausgegeben von A. Schmolke
Rotbuch Verlag, Berlin 2008
191 Seiten, 19,90 Euro