Aus einem Jahr der Nichtereignisse
Ein Film von Ann-Carolin Renninger und René Frölke
DE-2017, Super8 und 16mm, 83min, Farbe/SW
Produktion: joon film, gefördert von Künstlerinnenstipendium Film/Video-Berliner Senat, Filmwerkstatt Kiel
Annäherung an die norddeutsche Heimat
Ein Bauer, fast 90-jährig, auf seinem Hof. Ein Jahr lang haben die Filmemacher Ann Carolin Renninger und René Frölke den alten Willi besucht und Super-Acht- und 16-Millimeter-Aufnahmen gemacht. Daraus ist der Film "Aus dem Jahr der Nichtereignisse" entstanden, der der Vergänglichkeit nachspürt.
Patrick Wellinski: Wie kann man sich der Lebenswelt eines 90 Jahre alten Bauern nähern? Die Regisseure Ann Carolin Renninger und René Frölke haben sich für ihren Dokumentarfilm "Aus einem Jahr der Nichtereignisse" für eine sehr beeindruckende und auch eine sehr schöne Methode entschieden. Sie filmen nämlich das Leben des norddeutschen Bauern Willi mit Super-Acht- und 16-Millimeter-Material.
Es rattert und brummt auf der Tonspur und die Bilder leuchten impressionistisch, und trotzdem verliert diese Bauernhofidylle nichts von ihrer Härte. So erzählen die Regisseure auch von einer doppelten Vergänglichkeit, von der unseres Lebens und von der Endlichkeit des Filmmaterials, das in unserer digitalisierten Welt so nicht mehr existiert. Genau darüber wollte ich mit den beiden Regisseuren vor der Sendung sprechen. Ann Carolin Renninger und René Frölke, herzlich willkommen!
René Frölke: Hallo.
Ann Carolin Renninger: Hallo.
Wellinski: Man kann sich Ihrem Film über zwei Wege letztlich nähern, zum einen über den Inhalt natürlich, es ist ein Film über einen fast 90 Jahre alten Mann auf seinem Bauernhof, oder wir nähern uns über die Form, vor allem über das Material, mit dem Sie gearbeitet haben, Sie haben mit Super-Acht- und 16-Millimeter-Aufnahmen gefilmt. Wie entstand denn jetzt das Projekt? War da zuerst die Idee, wir wollen mit diesem Material arbeiten? Oder war da zuerst Bauer Willi?
"Wie er da zwischen den Tieren und Pflanzen rumturnte"
Frölke: Zuerst war natürlich der Bauer da, ist ja klar. Und Ann Carolin kannte ihn schon von ihrer Kindheit an und der war da immer diese Figur am Rand der Stadt, wie so ein Fabelwesen, so zwischen Mensch und Tier. Man wusste nicht, wo das eine aufhört und wo das andere anfängt.
Renninger: Auf der einen Seite war ich fasziniert von ihm und auf der anderen Seite hatte ich auch eine große Angst, ihm zu begegnen, wie er da immer in dem Getümmel zwischen den Tieren und Pflanzen und einfach seinem Hof rumturnte. Und das Bild habe ich als Erinnerung mit mir getragen und 30 Jahre später kam es dann wieder. Und dieser Film ist eine Annäherung oder vielleicht auch ein Wunsch, das festzuhalten oder wiederzufinden, dieses Gefühl.
Wellinski: Ist der Ursprung, die Erinnerung auch vielleicht der Grund dann für das Material, das Sie gewählt haben? Man hätte ja auch einen ganz klassischen Dokumentarfilm über den Bauern machen können, man hätte mit einem sehr modernen Digitalapparat anrücken können und einfach mal zeigen, wie so ein Mensch mit 90 alleine einen Bauernhof betreibt.
Renninger: Uns ging es eigentlich mehr um den Moment, den Moment, in dem er da lebt, und gleichberechtigt eben der Hof, die Natur, und er als Mensch dazwischen und das, was er kreiert. Natürlich die Vergänglichkeit, er ist alt, er ist 90, und weniger eben darum zu erzählen, wie so ein Arbeitsleben funktioniert, sondern das sollte sich durch das Material und durch den Moment eigentlich transportieren.
Frölke: Ja, und dieses Material schafft halt gleichzeitig auch so eine gewisse Distanz zu einem, dass das jetzt nicht irgendwie so ein aktuelles, faktengeladenes Werk werden soll, sondern man hat automatisch irgendwie so einen anderen Abstand. Und es fühlt sich auch viel besser an, mit so einer 60 Jahre alten Kamera auf diesem Hof diesem Menschen zu begegnen, als so eine Digitalkamera da irgendwo auf ein Stativ zu stellen und dann zu warten, was man ja dann kann mit der Digitaltechnik, bis das Schöne passiert, und sich dann am Ende das Beste rauspickt sozusagen.
"Eine Kamera, die keinen Motor hat, keine Batterien braucht"
Wellinski: Sie haben mit einer Bolex gedreht. Das, glaube ich, muss man noch erklären, was ist eine Bolex? Das wissen natürlich Filmemacher, weil das so eine legendäre Kamera ist, aber wie muss man sich eine Bolex-Kamera vorstellen?
Frölke: Ja, eine Bolex ist halt eine Kamera, die keinen Motor hat, keine Batterien braucht. Die kann man aufziehen und dann läuft sie für ungefähr 24 Sekunden und dann muss man sie wieder aufziehen. Und man hat ungefähr drei Minuten Film zur Verfügung, und das Wechseln des Films dauert auch ein bisschen, es ist nicht mal schnell einen Chip raus- und reinstecken, sondern man muss das immer planen. Und man muss auch den richtigen Film wählen logischerweise, aber das ist ja mit jeder Filmkamera so. Und man ist eigentlich immer zu langsam. Und wenn man in einem dunklen Raum wie einem Stall filmt, ist es auch immer schwer, überhaupt irgendwas zu erkennen. Also die Schärfe ist oft Glückssache. Man macht sich eigentlich das Leben unnötig schwer mit so einer Kamera.
Wellinski: Es ist auch teuer. Es wäre wahrscheinlich viel billiger gewesen, mit einem Digitalapparat anzukommen, oder?
Renninger: Definitiv, ja. Deswegen muss man genau überlegen: Was filmt man? Und wir haben eben sehr viel Zeit einfach mit Willi verbracht und beobachtet und erst langsam entschieden, was uns interessiert oder wie wir weitergehen wollen mit ihm. Und es stand auch nicht im Mittelpunkt, einen Film zu machen, das ist erst im Prozess entstanden. Anfangs stand der Wunsch, einfach was festzuhalten.
Frölke: Ja, vielleicht so eine Miniatur zu machen, einfach so ein, zwei Rollen, so ein Miniaturporträt.
Renninger: Vielleicht auch gar nicht für die Öffentlichkeit.
Frölke: Genau.
Renninger: Aber irgendwie hat Willi sich mit uns so eingelassen und wir sind gemeinsam dann immer weitergekommen und es hat sich immer noch was ergeben. Und so ist dann dieses Jahr vergangen und am Ende war das Material da und wir haben uns entschieden, daraus einen Film zu machen.
"Man arbeitet automatisch viel effektiver, weil es so teuer ist"
Frölke: Ja, wobei das auch gar nicht so viel Material ist. Es sind nur viereinhalb Stunden, die wir belichtet haben, was luxuriös ist für Film, aber mit Digitalem überhaupt nicht zu vergleichen ist, so was man … Heutzutage werden ja 100 Stunden, kommen schnell zusammen, besonders wenn man über ein Jahr dreht. Und man arbeitet einfach automatisch viel effektiver, weil es so teuer ist.
Wellinski: Sie nehmen ja auch den Prozess des Filmens mit in den Film. Der Film hat auch etwas sehr Haptisches, aber man sieht ja auch, dass Sie wechseln müssen, in dem Moment ist das Bild plötzlich schwarz oder man hört es auch rattern und knattern und Sie mussten auch den Ton separat aufnehmen, weil, ich glaube, auf der klassischen Bolex ist es schwer möglich, den Ton gleichzeitig mitzuschneiden.
Frölke: Hat keinen Ton, nee.
Wellinski: War das für Sie auch klar, dass Sie quasi die Arbeit am Material mitnehmen in den Film über Willi?
Renninger: Das ist im Schnitt entstanden. Es wäre ganz leicht gewesen, das raus zu lassen, aber uns ging es darum, die Begegnung auch abzubilden oder im Ton abzubilden.
Frölke: Ja, einmal das, und dann stand auch von Anfang an fest: Okay, diese Bolex wird man hören, das ist keine geblimpte, da ist kein Tonschutz drumrum um diese Kamera, die ist ungeblimpt und man wird den Ton immer hören in diesen Räumen. Also wird diese Kamera anwesend sein im Film und die wird ein bisschen eigentlich das kaputtmachen, was eben passiert. Man hat ständig so eine Art Riss in der Leinwand, weil nicht nur der Film da ist, sondern eben immer gleichzeitig auch dieses Machen. Also wir als Macher sind auch immer anwesend und das kriegt man nicht raus, das kann man nicht einfach weglöschen.
Wellinski: Sind Sie eigentlich nostalgisch? Weil dieses Arbeiten am Film, wenn man den Film selber sieht. Sie lieben das ja, genauso wie Sie Ihrer Figur mit sehr viel Empathie entgegentreten, sind Sie auch mit sehr viel Empathie im Prozess des Arbeitens mit dem Material unterwegs.
"Dieses nostalgische Material hat uns auch geholfen"
Renninger: Vielleicht ist da Nostalgie drin, aber auf der anderen Seite haben wir auch immer wieder versucht, was jetzt die Natur und die Romantik und dieses romantische Bild eines Lebens auf dem Land von diesem Bauer, oder eben Sachen, die nicht mehr in der Zukunft so existieren werden, haben wir immer wieder versucht zu brechen, weil es auch so leicht ist, dass man darauf was legt, was eigentlich gar nicht da ist, wenn man guckt, wie Willi die Welt dort sieht. Und dieses nostalgische Material hat uns auch geholfen, immer wieder durch den Ton und durch das Kaputte und dieses Schwarz einfach das romantische Bild zu brechen.
Wellinski: Das Leben auf dem Bauernhof ist ja auch hart, aber jetzt kommen zwei Städter und sehen dieses Leben, das ganz anders ist. Und man kann sich natürlich vorstellen, dass mit 90 dieser Alltag auf einem Bauernhof noch viel härter ist. Waren Sie denn auch beeindruckt davon, wie ein Mann mit 90 in dieser Routine einfach weitermacht?
Renninger: Sehr, ja. Vor allem von seiner Gelassenheit, dass er das so hinnimmt, dass seine Knie nicht mehr so funktionieren, wie sie mal funktioniert haben, und er das genauso hinnimmt, wie er damals um vier aufgestanden ist, um die Kühe zu melken, weil das einfach so war. Und dieses Lebensgefühl, das Willi in sich trägt, das war ja auch eine Sache, die Kern des Films ist: Man kommt überall durch.
Wellinski: Sie nähern sich ja auch jemandem wie Willi gar nicht hart biografisch, Sie befragen ihn auch gar nicht. Und trotzdem ist es sehr spannend zu sehen, dass aus ihm heraus manchmal seine Erinnerungen an den Krieg hervorkommen. Dann heißt es: die Schlacht von Monte Cassino, dann fragen Sie aber nach, aber es wirkt so, als würde das von ihm kommen, als ob er sich mitteilen wollen würde, aber irgendwie will er es dann wieder nicht. Wie haben Sie diese Momente erlebt, wie er dann quasi mit seinen Erinnerungen plötzlich ankam und davon erzählt hat?
Frölke: Das ist diese eine Erzählung, die halt immer wieder aufgetaucht ist, wenn wir ihn besucht haben. Die Geschichte mit Italien und dem Po, den er überquert und durchschwommen hat, die kam immer, immer wieder. Die war wie sein persönlicher Mythos. Und man spürt eben auch in dieser Wiederholung, wie oft die Geschichte in seinem Leben schon erzählt worden ist und wie sie geformt wurde, wie da immer mehr abgeschliffen wurde. Und irgendwie fand ich das auch schön, sich vorzustellen, das könnte auch einem griechischen Mythos entspringen: Der junge Held, im Rücken die Truppen und er muss einen Fluss durchschwimmen. Man muss sich vorstellen, er war halt 15 damals, er ist irgendwie direkt vom Arbeitsdienst dahingekommen. Und deswegen sind die Erinnerungen natürlich auch … , die liegen extrem weit zurück. Und entscheidend, oder interessant war einfach für uns vielleicht eher die Vorstellung: Okay, das war die einzige große Reise in seinem Leben, die ging nach Italien, mit 15. Aber wir wollen das ja gar nicht so groß thematisieren, das ist eigentlich …
Renninger: Das funktioniert auch mit Willi nicht. Das ist nicht die Art, wie er spricht. Und insofern ist es leicht, dem zu widerstehen, weil er gar nicht dann …
Frölke: Der lässt sich nicht so interviewen, also er ist einfach kein Interviewpartner so.
Renninger: Und dann war viel mehr interessant, welche … Also dass das Wasser zum Beispiel immer ein Thema war, dass er vom Schwimmen im See, in seiner Kindheit dann wieder zur Flussüberquerung kommt oder irgendeine andere Wasser-Assoziation, also solche Sachen wurden so offensichtlich.
"Ich denke oft an seine Gelassenheit"
Wellinski: Sie haben erzählt von Ihrer anfänglichen Faszination auch mit Willi und dieser Annäherung an dieses Leben eines Bauern. Haben Sie denn am Ende jetzt nach den Arbeiten, haben Sie etwas für sich selber noch mitgenommen, über die Idee der Vergänglichkeit, über die Idee des Lebens, des Sterbens?
Renninger: Seine Haltung ist das Entscheidende. Ich denke oft an seine Gelassenheit, und wenn sich die Umstände ändern und es nicht mehr so ist, wie man sich das wünscht, kommt mir oft diese Haltung in den Kopf. Auf der anderen Seite aber auch für mich eine Annäherung an meine Heimat und für weitere Projekte der Wunsch, dass diese Herangehensweise weiterhin möglich ist oder immer wieder möglich sein wird. Denn das ist das, warum man Filme macht, um etwas herauszufinden. Und ich denke schon, dass wir viel herausgefunden haben für uns durch die Begegnung mit Willi, aber auch das aufzuzeichnen.
Frölke: Und dann war für mich auch noch so diese Erkenntnis: Man kommt ja mit diesem romantischen Blick und sieht die Natur und denkt, dieses heile Landleben und so. Aber es ist natürlich so, der Bauer hat die Natur auch zum Gegner. Er muss die Natur kultivieren, er muss die ständig zurückschneiden und bekämpfen, damit man da was ernten kann. Und dass da eigentlich ständig Reibung existiert und das ein ständiger Kampf war, hatte ich mir vorher nicht so bewusstgemacht.
Wellinski: Womit wir wieder bei dem antiken Element wären, der Mensch gegen die Natur, das ist der Ursprung von so vielen auch antiken Erzählungen. Hat denn Bauer Willi den Film auch gesehen? Wir sehen ihn ja während der Entstehung des Films, aber wichtig ist ja auch immer dieser andere Blick, dass man sich plötzlich auf einer Leinwand oder auf einem Monitor sieht!
Renninger: Wir haben ihm den Film gezeigt, als er fertig war, und er war eigentlich relativ unbeeindruckt. Er meinte: Ja, ich kenne mich ja! Und hat auch nicht verstanden, warum das jemanden interessieren sollte, dieser Alltag. Und als ich ihm erklärt habe, dass das in der Großstadt nicht so selbstverständlich ist, wie er hier lebt, fand er das dann auch sinnvoll, das zu zeigen.
Wellinski: "Aus dem Jahr der Nichtereignisse" heißt dieser beeindruckende Film. Die Regisseure Ann Carolin Renninger und René Frölke waren bei uns zu Gast, vielen Dank für den Besuch und für den Film!
Renninger: Vielen Dank.
Frölke: Vielen Dank.