Dokumentarfilm "Comrade, where are you today?"

Der geplatzte Traum vom Sozialismus

Eine Flagge der ehemaligen DDR hängt in einem Raum mit Fenster.
Zu DDR-Zeiten war die FDJ-Jugendhochschule "Wilhelm Pieck" eine Kaderschmiede des Marxismus-Leninismus. Die Filmemacherin Kirsi Marie Liimatainen gehörte 1988 zu den Studenten. © imago/IPON
Von Jens Rosbach |
An was haben wir damals geglaubt? Das wollte die Filmemacherin Kirsi Marie Liimatainen genauer wissen. Sie studierte 1988 Marxismus-Leninismus an der FDJ-Jugendhochschule "Wilhelm Pieck". Quer durch die Welt hat sie für ihren Film mit Gleichgesinnten von einst gesprochen.
Die Geschichte ist ungewöhnlich. Kirsi Marie Liimatainen wuchs in kommunistischen Kreisen Finnlands auf, sie trug ein Pionierhalstuch und diskutierte in linken Jugendorganisationen. So war es für sie nur logisch, Marxismus-Leninismus zu studieren - in der DDR. Auf der FDJ-Jugendhochschule Wilhelm Pieck traf sie – 1988 - Gleichgesinnte aus der ganzen Welt. Darunter Duma, ein südafrikanischer Freiheitskämpfer vom ANC. Eines Tages zeigte ihr der Schwarze seinen Oberkörper, berichtet Liimatainen:
"In diesem Moment, wo Duma dann Hemd oder T-Shirt hochgehoben hat, hat man dann tatsächlich gesehen, diese Narben dann auf seinem Körper. Und er hat dann erzählt, wie war im Knast war und wie er geschlagen wurde. Er war auch in Einzelhaft. Er hat mir dann auch erzählt über Hass und Wut und wie er hat versucht zu kämpfen. Und dass er weiße Menschen nicht hasst."
Liimatainen, heute 48 Jahre alt und in Berlin, erzählt: Natürlich habe sie sich damals gewundert, warum die DDR-Bürger nicht reisen durften und warum sie Angst vor staatlicher Überwachung hatten. Dennoch habe sie nicht an der sozialistischen Idee gezweifelt. So sei sie, als sie wieder in Finnland gewesen war, geschockt gewesen vom plötzlichen Ende der DDR. Sie habe ihre Kommilitonen vermisst.
"Da kam bei mir so eine Sehnsucht, sofort schon `89, wo sind die jetzt? Was machen die, was denken die? Ich glaube, ich wollte irgendwie für mich selbst Antworten finden. Was nun? An was haben wir denn jetzt geglaubt?"

Die meisten Kommilitonen waren incognito in der DDR

Doch erst 2006 beginnt Kirsi Marie Liimatainen zu recherchieren. Die Finnin, mittlerweile Schauspielerin und Regisseurin, stöbert in alten Briefen und Archiven; sie fragt auf der ganzen Welt nach ihren alten Kameraden. Eine mühsame Recherche, waren doch die Freiheitskämpfer einst inkognito in der DDR.
Schließlich fliegt Liimatainen – mit ihrer Kamera - nach Südafrika, um Duma aufzustöbern. Duma, der tatsächlich Mateo hieß. Doch statt eines glücklichen Revolutionären, der die Apartheid besiegt hat, findet sie nur dessen Grab. In einem Land, das geteilt ist in Arm und Reich, zerfressen von staatlicher Korruption. Mateos Witwe erinnert sich an ihren Mann, der bereits einige Jahre zuvor gestorben ist.
"Er war enttäuscht von der Art und Weise der Menschen, die jetzt alle beim ANC sind. Hey, sie machen es falsch. Sie tun das Falsche! Nein, das ist es nicht, wofür alle Mateos und Mandelas gekämpft haben: Sie haben gesagt, ihr müsst eine Einheit sein, Schwarz und Weiß zusammen, ja! "

Libanon: Viele frühere KP-Genossen sind heute bei der Hisbollah

Enttäuschendes erlebt die Filmemacherin auch im Libanon. Die DDR hatte einst arabische Kämpfer und kommunistischen Parteien unterstützt. Im Zedernstaat erfährt die Finnin nun, dass viele frühere KP-Genossen zur Hisbollah gegangen sind. Der ehemalige Kommilitone Nabil erklärt ihr:
"Jetzt sind Leute, die in der Partei waren, Muslime geworden, strenge Muslime. Und so wechseln sie: Irgendjemand sagt: Ich habe für Euch Arbeit und zeige Euch den Weg. Und - sie gehen mit!"
Völlig ungeplant bricht während der Dreharbeiten eine Schießerei in der Nähe aus, alle müssen flüchten. Niemand weiß, wer auf wen geschossen hat: Alltag im Libanon. Auch in Südamerika, wo die Regisseurin ebenfalls alte Genossen ausfindig macht, stößt sie auf geplatzte Illusionen. Etwa bei Mitja.
"Mitja sagt in Bolivien zum Beispiel: Ich bin heute noch Kommunistin, aber nicht in der Partei. Die Menschen sind dann mehr oder weniger allein geblieben mit ihren Träumen."

Der Niedergang der großen Idee einer gerechten Welt

"Comrade, where are you?" ist ein sensibler Film. Respektvoll nähert er sich den ehemaligen Kommilitonen. Doch die Dokumentation hat Schwächen: Sie ist zu langatmig. So wiederholen sich Begrüßungsszenen und Autofahrten. Vor allem aber bleibt die Kamera nicht an den Protagonisten dran, sondern lichtet das gesamte sozialpolitische Umfeld ab - bis hin zu Boliviens Präsidenten Evo Morales. Dadurch zerfasert der Film etwas.
Kirsi Marie Liimatainen stellt auch weniger das Schicksal der einzelnen Menschen dar als den Niedergang der großen Idee einer gerechten Welt.
"Als ich meine Freunde auf der ganzen Welt traf, dachte ich oft an unseren Traum von früher. Wohin war dieser Traum verschwunden?"

"Comrade, Where Are You Today?"
Ein Dokumentarfilm von Kirsi Marie Liimatainen
Deutschland, Finnland 2016, 90 Minuten, Filmstart 18. August

Mehr zum Thema