Dokumentarfilm "Der Prozess"

Über NS-Verbrechen und deren Aufarbeitung in der BRD

08:06 Minuten
Demonstration vor der Urteilsverkündung im Majdanek-Prozess: Menschen mit einem Banner: "Der Majdanek-Prozess - Jammerbild der Justizpraxis"
Demonstration vor der Urteilsverkündung im Majdanek-Prozess: Nur einer der Angeklagten wurde wegen Mordes in zwei Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. © dpa / Hartmut Reeh
Von Matthias Dell |
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Eberhard Fechners Dokumentarfilm "Der Prozess" über die juristische Verhandlung der Verbrechen im KZ Majdanek ist neu in einer DVD-Sonderausgabe erschienen. Der Film schildert einen der größten Gerichtsprozesse der BRD, der von 1975 bis 1981 stattfand.
Eberhard Fechner ist ein Chronist und "Der Prozess" sein Opus Magnum. Jeder der drei Teile beginnt mit der gleichen nüchternen Einführung. Zu schwarz-weißen Luftaufnahmen von Majdanek erklingt ein Text: "Von Herbst 1941 bis zum 23. Juni 1944 existierte in Lublin-Majdanek ein Konzentrationslager, in dem mindesten 250.000 Menschen ermordet worden sind."
Dann folgt ein Schnitt und die Kamera fährt in Farbe durch einen leeren Gerichtssaal: "Vom 26. November 1975 bis zum 30. Juni 1981 wurde in Düsseldorf ein Prozess gegen 15 ehemalige Mitglieder der mehr als 1500 SS-Bewacher des Lagers geführt. Man klagte sie an, an dem hunderttausendfachen Mord beteiligt gewesen zu sein. Es war der längste Prozess in der deutschen Justizgeschichte."

230 Stunden Material

Die Stimme gehört dem Journalisten und Prozessbeobachter Heiner Lichtenstein. Fechners Autorschaft zeigt sich nicht im Off-Kommentar, sondern durch die Montage. Zwei Jahre lang schneidet er nach Prozessende gemeinsam mit seiner langjährigen Cutterin Brigitte Kirsche.
Weil im Saal nicht gedreht werden durfte, filmte Fechner seine Gespräche ab März 1976 außerhalb. 107 Drehtage , 70 verschiedene Interviews – mit Zeuginnen und Angeklagten, Verteidigern, Staatsanwälten und Richtern. 230 Stunden Material. Fechner durchstöbert außerdem Akten und Archive – zu den schmucklosen Bildern seiner Interviews gesellen sich Aufnahmen aus dem Lager. Der Prozess interessiert sich für Einzelheiten, wie eine Zeugin erzählt:
"Es ist sehr schwer nach all den Jahren, die Mörder anzuschauen und auch solche Fragen zu beantworten, ob ich zur Arbeit rechts oder links rausgegangen bin oder hier ist so gestanden oder das ist so gestanden, weil: Im Laufe von so vielen Jahren kann jeder vergessen. Man vergisst das."

Rekonstruieren, wie der Vernichtungsapparat funktionierte

Aber Fechners "Darstellung" des Verfahrens geht es um mehr. Der Film soll auch rekonstruieren, wie der Vernichtungsapparat der Nazis funktionierte. Dass er dafür – anders als Claude Lanzmann ein Jahr später in "Shoah" – Aufnahmen aus Täterperspektive verwendet, stellt sich für Fechners materialintensive Ästhetik nicht als Problem dar.
Menschen nehmen Schädel in die Hand: Befreiung des KZ Majdanek bei Lublin am 24. Juli 1944.
Befreiung des KZ Majdanek bei Lublin am 24. Juli 1944. © picture alliance akg-images
Der rastlose Arbeiter Fechner will aufbewahren. Seine Filme erzählen das deutsche 20. Jahrhundert. Und dabei hilft ihm jedes historische Dokument. Vor allem aber seine Methode, die er in "Nachrede auf Klara Heydebreck", der ersten dokumentarischen Arbeit von 1969 entwickelt hatte. Damals ging es um das Porträt einer alten Frau, die sich das Leben genommen hatte – gezeichnet durch die Äußerungen von Nachbarn und Verwandten, belegt durch Verdienstbescheinigungen und andere Papiere. Auch in "Der Prozess" entsteht ein kollektives Gespräch, das sich aus der Montage der Einzelinterviews ohne Off-Kommentar ergibt:
Prozessbeobachter: "Wenn man bedenkt, dass ein früherer NS-Staatsanwalt hier als Verteidiger fungiert. Das ist doch ein typisches Merkmal von dem heutigen Prozess."
Staatsanwalt: "Dr. Stolting, früher Staatsanwalt beim Sondergericht in Bromberg in der nationalsozialistischen Zeit, verteidigte von einem Standpunkt aus, der auch für Beobachter, Zuschauer rechts war."
Verteidiger W. Stolting: "Ich würde diese Todesurteile, bei denen ich damals den Antrag gestellt habe auf Todesurteil unter den damals gegebenen Umständen, wenn die heute wieder so wären und bei den gleichen Gesetzen, genauso wieder stellen, auch heute."
Schöffe: "Wenn ein ehemaliger Staatsanwalt aus dieser Zeit heute noch sagen kann, und uns hat er es gesagt, dem Herbert und mir, die erste Rente verdanke ich meinem Führer, und diese jetzt verdanke ich auch meinem Führer – wenn das möglich ist, und in einem Staat, wo das möglich ist, sollte man sich auch über solche Urteile nicht aufregen."

Eine klug montierte, dichte Oral History

Die Sprechenden werden jeweils nur durch Texteinblendungen ihrer Funktion voneinander unterschieden, "Zeugen-Betreuerin", "Staatsanwalt", "Verteidiger", "Schöffe" steht dann da. Fechners Methode mag ihre Grenzen haben, weil sie etwa egalisiert.
Sie führt in "Der Prozess" aber zu einer klug montierten, dichten Oral History, die sich heute selbst als Material begreifen lässt, wenn man etwa einem Verteidiger wie Ludwig Bock in Bild und Ton begegnet. Einer Figur, deren Weg durch den deutschen Rechtsextremismus sich bis in die jüngere Gegenwart nachvollziehen lässt, wenn Bock selbst wegen Volksverhetzung verurteilt wird oder 2007 den Holocaustleugner Ernst Zündel vertritt.
"Hier ist das deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. - Guten Abend, meine Damen und Herren. Im Düsseldorfer Prozess um die Ermordung von mindestens 250.000 Häftlingen im ehemaligen Konzentrationslager Majdanek wurden heute die Urteile gesprochen. Die Urteile lagen deutlich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, deshalb gab es im Publikum lautstarke Proteste."
Fechners Darstellung der Düsseldorfer Verhandlung geht über die Urteilsprüche hinaus.
"Als Vertreter des Gerichts vor Kurzem den fertigen Film sahen, sagten sie: Dieser Film wird das einzige sein, was von unserem Prozess bleibt – außer den schriftlichen Urteilen natürlich", gibt der Regisseur im Oktober 1984 unbescheiden zu Protokoll, als "Der Prozess" seine Uraufführung vor Fachpublikum bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik erlebt. Aber Fechner hat Recht, in seiner Oral History steckt mehr, als Gerichtsurteile zu sagen vermögen. Etwa das, was anstelle von Reue einen der Angeklagten umtreibt.
"Zum Abschluss hat mich in diesen ganzen fünfeinhalb Jahren eins ganz besonders missgestimmt, und manchmal war ich direkt wütend drüber: dass ich als Nazi hingestellt werde. Und das ist das, was mich irgendwie die ganze Zeit bewegt hat."

Von der neonazistischen Kontinuität in der BRD

Ende 1984 wird der Film an drei Abenden ausgestrahlt – allerdings erst um 21.45 Uhr und nicht um zur besten Sendezeit, wie es der Dokumentarist gewohnt ist von seinen populären Filmen wie dem Dreiteiler über die "Comedian Harmonists" von 1976 . Und auch nicht in der ARD, sondern parallel in den dritten Programmen.
Überwiegend junge Menschen protestierten vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die Freispruche im Majdanek-Prozess
Überwiegend junge Menschen protestierten vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die Freisprüche im Majdanek-Prozess.© picture alliance / dpa / Klaus Rose
Die Sender schalten Telefonleitungen, unter denen sich Zuschauerinnen melden können. Die meisten Reaktionen sind positiv. Für den WDR bilanzierte die zuständige Redakteurin unter den Reaktionen auf den ersten Teil von Fechners "Prozess" allerdings auch andere Töne: "Warum heute noch so etwas." –"Nestbeschmutzung" – "Das kommt in allen Diktaturen vor." – "Der WDR wird von jüdischen Kreisen gesteuert." – "Die Richter von Düsseldorf sind Volksverräter, sie müssen einst daran glauben, wie die Richter von vor 1945."
Nachdenklich stimmt der letzte Satz des Protokolls, mit dem die Redakteurin die Anrufenden charakterisiert, weil er neonazistische Kontinuitäten in der Bundesrepublik illustriert.
"Auffallend dabei waren Männer um die 40, die den Faschismus nicht erlebt haben, sich zum Anwalt des nationalsozialistischen Gedankenguts machen und die ihre Väter verteidigen."

Eberhard Fechner: "Der Prozess"
Sonderausgabe auf DVD, absolut medien, 270 Minuten, 14:90 Euro



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