Dokumentarfilm "Spuren - Die Opfer des NSU"

Was diesen Menschen angetan wurde

09:23 Minuten
Ein altes Foto der Familie Şimşek.
Der Film "Spuren" gibt auch den Angehörigen der NSU-Opfer eine Stimme. Hier im Bild: die Familie Şimşek. © Salzgeber/ privat
Aysun Bademsoy im Gespräch mit Ute Welty |
Audio herunterladen
Im Umgang mit dem NSU schauen wir zu viel auf die Täter und zu wenig auf die Angehörigen der Opfer, kritisiert die Filmemacherin Aysun Bademsoy. Wie deren Leben durch Verlust, Schmerz und den NSU-Prozess schwer belastet wurde, zeigt ihr Film "Spuren".
Ute Welty: 1969 kommt sie nach Berlin, 1979 spielt sie mit Herbert Grönemeyer, 1989 beginnt sie, Dokumentarfilme zu drehen. Immer wieder beschäftigt sich Aysun Bademsoy mit Menschen, die einen sogenannten Migrationshintergrund haben, und mit Menschen, die diesen Hintergrund eben nicht haben – in der Fußballmannschaft, bei der Polizei oder wenn es um einen Begriff wie Ehre geht.
"Spuren" heißt der Film von Aysun Bademsoy, der in dieser Woche in den Kinos startet. Die Dokumentation zeichnet die Spuren der NSU-Opfer nach: Innerhalb von sieben Jahren ermordet die rechtsextreme Terrorgruppe zehn Menschen, türkischstämmig, griechischstämmig, deutschstämmig.
Die Filmemacherin Aysun Bademsoy spricht in ein Mikrofon
Die Filmemacherin Aysun Bademsoy.© imago/Seeliger
Gleich zu Beginn Ihres Films erleben wir einen Mann, der versucht, seine Verzweiflung, seine Wut über den Mord mit seinem Alltag zu vereinbaren. Das ist ein ehemaliger Mitarbeiter des ersten Opfers. Warum haben Sie diese Szene an den Anfang des Films gestellt?
Bademsoy: Als ich das erste Mal an diesem Tatort war und den Blumenhändler Ali Toy kennengelernt habe, habe ich ihm gesagt, dass ich gerne was zu diesem Thema machen möchte und die Perspektive auf das, was die Menschen, die damit in Berührung gekommen sind oder betroffen waren, mich wahnsinnig interessiert. Er ist zum Auto gegangen und hat einen Riesenordner mit Fotos und Zeitungsausschnitten geholt und angefangen zu erzählen.
Dann hat er mir die Bäume gezeigt, die er für Enver gepflanzt hat, natürlich lastete auf ihm etwas, an das ich bis dahin noch nicht so gedacht hatte: Er hat um Urlaub gebeten, der Enver Simsek hat ihm das genehmigt, so ein guter Arbeitgeber muss er gewesen sein, sagte er selber auch. Er sagt, wäre ich nicht in den Urlaub gefahren, wäre ich hier ermordet worden, und das hat ihn so fertiggemacht und so berührt und mit einer Schuld belastet.
Dadurch, dass Enver Simsek Blumen scheinbar wahnsinnig geliebt hat, sich wahnsinnig gut auskannte, all das habe ich ja erfahren, hat er als Blumenverkäufer ihm das wieder zurückgeben wollen, indem er ganz viele Bäume gepflanzt hat. Das ist ja nicht nur einer, sondern die ganze Allee lang. Da sind Quittenbäume, Bäume, die es hier eigentlich überhaupt nicht gibt, hat er gepflanzt, und die sind riesig.
Welty: Maulbeerbäume.
Bademsoy: Ja, Maulbeeren, das ist eine meiner Lieblings-Obstsorten oder, besser gesagt, meiner Tochter. Ich fand das so rührend. Trotzdem ist da etwas, was einem den Zugang zu dieser Katastrophe, was diesen Menschen passiert ist, vielleicht erleichtert.

"Wahnsinnig nette und gute Menschen"

Welty: Es ist ja auch eine unglaublich lange Zeitspanne, die sich in einem solchen Ordner dokumentiert. Die Morde beginnen 2000. Erst 2018 wird Beate Zschäpe als Mittäterin verurteilt, die Komplizen Böhnhardt und Mundlos haben sich schon Jahre vorher das Leben genommen. Wie erleben die Angehörigen diese Zeitspanne?
Bademsoy: Das ist ja das, was Gamze oder Semiya Simsek auch im Film sagen: In dem Moment, wo das rauskam, dass es dieses sogenannte – sagen wir mal – Trio war, weil es nicht nur die drei gewesen sind, man muss echt sagen, ganz klar, es sind so viele Menschen dahinter, die sind so vernetzt miteinander gewesen: Wie kommt man auf eine Straße in Nürnberg, so eine kleine Nebenstraße, wo die Änderungsschneiderei ist und wo der ermordet wird, in einem ganz kleinen Laden? Es sind alles so komische, fragwürdige Orte gewesen.
Das Foto zeigt die Teilnehmer einer Demonstration nach dem Urteil im NSU-Prozess. Sie halten Bilder der vom NSU Ermordeten hoch.
Anteilnahme: Nach dem Urteil im NSU-Prozess demonstrieren im Juli 2018 in München Teilnehmer mit Porträts der NSU-Opfer.© picture alliance / Lino Mirgeler / dpa
Für mich war das ganz interessant zu erfahren, wie kommt man mit sowas klar? Fünfeinhalb Jahre ist das Verfahren ja gelaufen. Für die Familie war das erst mal eine Erleichterung, dass sie nicht schuld sind, dass der Vater nicht so war, wie er dargestellt wurde: Drogenhandel, Schwarzgeld.
Alles Kriminelle wurde deren Familien ja angedichtet. Und das sind Familienväter, die wirklich wahnsinnig nette und gute Menschen waren. Das war auch meine Frage: Wie lebt man damit - einerseits Erleichterung, dass die Mörder endlich gefasst sind, aber gleichzeitig fünfeinhalb Jahre einem Prozess folgen.
Bei dem Prozess wurden ja auch Taten und die Tatorte en détail erklärt. Der Vater zum Beispiel von Halit Yozgat, der war außer sich, als ihm beschrieben wurde, wie der Sohn vorgefunden wurde und die Tatorte präzise dargestellt wurden. Also, es muss ganz schlimm für die Familien sein. Elif Kubasik, die Frau von Mehmet Kubasik, hat mir gesagt, ihr ist ständig schlecht gewesen, und dann auch neben diesen Nazis zu sitzen und im Zuschauerraum die Nazis zu wissen, die jubeln und applaudieren. Ich glaube, das kann man einfach nicht an sich vorbeiziehen lassen.

Schockiert über milde Urteile

Welty: Das juristische Verfahren ist ja das eine, das Empfinden für Gerechtigkeit etwas anderes oder womöglich etwas anderes. Ist das ein Widerspruch, den die Angehörigen vielleicht niemals überwinden?
Bademsoy: Ich glaube, so widersprüchlich war das für die nicht. Sie haben sich nur ein bisschen mehr erhofft. Dass die Zschäpe verurteilt wurde, wurde ja eigentlich toleriert oder akzeptiert, aber dass zwei Nebenangeklagte, Wohlleben und der andere, Emminger, dass die beide kurz nacheinander freigesprochen werden, obwohl bei Emminger der ganze Körper voller Nazizeichen ist, obwohl es klar ist, dass die was damit zu tun haben, obwohl es geklärt war, dass sie die Waffen beschaffen haben und so weiter. Also ich finde, das ist schon etwas, was schwer verdaubar ist.
Natürlich, juristisch ist es schwierig, und sie haben ja auch ihre Rechtsanwälte gehabt, die ihnen das erklärt haben, aber auch die waren doch total schockiert, dass diese milden Urteile, insbesondere diese beiden Männer, dass das überhaupt möglich war. Sie hätten sich, glaube ich, alle was anderes erhofft.
Das Schlimmste war natürlich, dass denen nicht gedankt wurde. Fünfeinhalb Jahre diszipliniert in so einem Saal, der kalt und brutal ist und wo ihnen immer wieder erzählt wird, was ihren Angehörigen passiert ist, dass der Richter als ein Repräsentant vielleicht auch für diesen Staat nicht sagt: Ihr habt so viel durchgemacht, danke, dass ihr dieses Gerichtsverfahren in keiner Weise gesprengt, gestört oder alles, was wir gemacht haben, infrage gestellt habt.
Die hätten ja auch viel mehr aufbegehren können. Die haben alle daran geglaubt, dass der Richter Recht sprechen wird und ihnen etwas Wiedergutmachung ... Das ist vielleicht zu viel verlangt juristisch, aber ein Wort des Dankes hätte den Leuten doch echt gutgetan.

Die Gesellschaft hätte mehr Anteil nehmen müssen

Welty: Welche Rolle kann da Gesellschaft übernehmen, welches Signal wäre notwendig, um so etwas wie eine Hand zu reichen?
Bademsoy: Es gibt ja mehrere Dinge, die man hätte machen können. Merkel hat zum Beispiel gesagt: lückenlose Aufklärung. Okay, wir haben unglaublich viele Untersuchungsausschüsse gehabt, was ganz toll ist für die deutsche Demokratie. Ich bin in mehreren gewesen, und ich finde es ganz toll, wie sie insistiert haben. Die Gesellschaft hätte aber viel mehr Anteil nehmen müssen, viel mehr sagen müssen. Es geht nicht um Zschäpe, wie sie rumläuft oder wie sie aussieht, ist doch scheißegal, die ist eine Mörderin, die interessiert mich nicht.
Also den Blick auf die Täter zu richten, aber die Opfer nicht im Blick zu haben und vielleicht wirklich mal nachzufragen: Wie können wir das wieder gut machen, Gedenksteine, Gedenkorte, viel mehr immer wieder dran erinnern. Eine Gesellschaft muss dieses Thema im Blick behalten. Es muss in den Schulen über den NSU geredet werden. Es muss ein Stoff sein, den die Schulen bearbeiten, damit die Namen der Ermordeten ein Begriff sind. Wenn ich die manchmal sage: Viele Leute wissen überhaupt nicht, wer das ist. Diese Gesellschaft muss einfach viel mehr aufbegehren und Position beziehen.
Welty: Ist es das, was Sie mit dem Film erreichen wollen - Position beziehen?
Bademsoy: Absolut. Für mich war das ganz wichtig, dass ich den Leuten den Raum schaffe, damit sie erzählen können, damit wir ihnen zuhören und daran Anteil nehmen und auch sagen, wir sind aufmerksam, wir hören euch zu. Ach, das ist euch alles passiert. Das ist ja das Interessante, weil man doch vergisst, was diesen Menschen angetan wurde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema