Der Dokumentarfilm "The Chinese Lives of Uli Sigg" von Michael Schindhelm kommt am 6. August ins Kino.
Die vielen Leben des Uli Sigg
Unternehmer, Philanthrop, Diplomat. Ein Leben reicht Uli Sigg nicht. Vor allem ist er ein besessener Kunstsammler, hat die größte Sammlung chinesischer Gegenwartskunst aufgebaut. Regisseur Michael Schindhelm über den Versuch, die vielen Leben des Uli Sigg in einem Film festzuhalten.
Susanne Burg: "The Chinese Lives of Uli Sigg", so heißt ein Dokumentarfilm, der am Donnerstag in die Kinos kommt. Und es sind tatsächlich die "Lives" – die mehreren Leben –um die es geht. Denn Uli Sigg ist vieles, darunter Unternehmer, Philanthrop und Kunstsammler. Er hat 1979 das erste Joint Venture zwischen einem westlichen Unternehmen und der kommunistischen Regierung Chinas abgeschlossen, war Schweizer Botschafter in China seit Mitte der 90er-Jahre die weltweit größte Sammlung chinesischer Gegenwartskunst aufgebaut. Ein großer Teil davon geht an das Museum M+ in Hongkong, das 2019 eröffnet werden soll. Der Dokumentarfilm fächert all diese Facetten von Uli Sigg auf. Und in diese Form gegossen hat das Material Michael Schindhelm, der selbst einige Leben hat, Autor, Kulturberater, Theaterintendant ist und für uns nun in seiner Rolle als Filmregisseur in ein Studio in Rotterdam gegangen ist, wo er sich gerade aufhält. Guten Tag, Herr Schindhelm.
Michael Schindhelm: Guten Tag, Frau Burg!
Susanne Burg: Wann ist Ihnen denn der Name Uli Sigg das erste Mal untergekommen?
Michael Schindhelm: Der Film ist, im Grunde genommen, der zweite Teil einer längeren Beschäftigung mit China. Denn ich habe bereits 2008 einen Film gemacht über die Entstehung des Olympiastadions in Peking. Damals wurde das Projekt ja von Ai Wei-Wei und den beiden Architekten Herzog und Dümmer aus Basel entworfen. Ich hatte fünf Jahre an diesem Film gearbeitet seit 2003, und Uli Sigg war eigentlich der Mann hinter den Kulissen, der die Verbindung zwischen Sigg und Herzog und Dümmer hergestellt hat. Das heißt, er kam auch schon in dem Film vor, und wir haben uns in der Zeit angefreundet – Sigg und ich. Und er hat mich auch öfter besucht. Ich habe ja eine Weile in Dubai zum Beispiel gelebt.
Und vielleicht ist es tatsächlich so, dass man sagen kann, wir haben eben bestimmte Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel in dem Jahr, als er nach China ging, bin ich in die Sowjetunion gegangen zum Studieren, in das andere große kommunistische Land.
Abenteuer haben wir, glaube ich, beide immer gesucht. Und insofern ist es wahrscheinlich tatsächlich der ursprüngliche Impuls auch gewesen, diesen Film zu machen.
Susanne Burg: Sie haben mit ihm ein ganz langes Interview geführt. Sie haben auch Architekten interviewt, Kuratoren, chinesische Künstler getroffen, mit denen Uli Sigg im Lauf seiner langen Karriere zusammengearbeitet hat.
Gab es da denn einen roten Faden, der sich durch die Interviews gezogen hat, was eben Uli Sigg als Person angeht?
Michael Schindhelm: Die Geschichte von Uli Sigg hat mich filmisch deswegen interessiert, weil sie eingebettet ist in die Zeitgeschichte Chinas.
Mich interessiert vor allen Dingen China. So wie Uli Sigg vor allen Dingen China beschäftigt, als diese neue Supermacht des 21. Jahrhunderts. Und Uli Sigg, sage ich immer, hat eigentlich im Grunde genommen den Kapitalismus nach China gebracht, indem er diesen ersten Joint Venture zustande gebracht hat. Und später hat er den Chinesen gezeigt, inwiefern Gegenwartskunst Gesellschaft reflektieren kann und vor allen Dingen in Erinnerung behalten kann.
Kunst erzählt Zeitgeschichte
Denn er hat ja viele Kunstwerke bewahrt vor dem Verschwinden und dem Zerstörtwerden. Er war der erste und einzige, der sich bereits in den Achtzigern und Neunzigern für diese Werke interessiert hat. Und wenn man diesen Film sieht, wird man verstehen, dass tatsächlich viele dieser Kunstwerke auf unglaublich eindrückliche und eindringliche Weise die Zeitgeschichte Chinas erzählen. Und das war für mich auch der ursprüngliche Impuls, diesen Film zu machen. Weil ich wusste, ich habe all diese Werke zur Verfügung. Und manchmal sind diese Werke eigentlich viel narrativer, erzählerischer, als es jedes Interview sein kann.
Trotzdem ist es so, dass sowohl die Künstler als auch Uli Sigg viel über ihre eigene Geschichte erzählen, die sie mit diesem Land haben. Das heißt, ich habe auch die Künstler eigentlich weniger unter dem Gesichtspunkt interviewt, was sie über ihre Kunst zu sagen haben, sondern wie sie eigentlich aufgewachsen sind. Viele von diesen Leuten sind ungefähr meine Generation – also jetzt 50 bis 60 – und haben also die Kulturrevolution noch erlebt.
Sie haben diesen unglaublichen Wandel im Land China erlebt, und insofern haben die natürlich alle auf sehr unterschiedliche Weise was zu erzählen.
Susanne Burg: Wie sind Sie eigentlich an all das Bildmaterial gekommen? Es gibt viel historisches Material, von 1979 bis hin zu den Studentenprotesten 1989, bis in die Gegenwart. Wie schwierig war es, das alles zu bändigen?
Michael Schindhelm: Es ist natürlich immer die Aufgabe später dann beim Schneiden, das wieder zusammen zu bringen. Das Schöne war eigentlich, dass ich eigentlich ja seit Jahren die Geschichte kannte, sowohl die Biografie von Uli Sigg als auch viel wusste über China, weil ich mich sehr viel dort aufgehalten habe. Eigentlich im Grunde genommen seit den späten 90er-Jahren. Das hat mir sehr geholfen, die Struktur nicht aus den Augen zu verlieren.
"Die Vergangenheit ist in einem unglaublichen Tempo verschwunden"
Trotzdem war es natürlich besonders kompliziert, frühes Filmmaterial zu bekommen, sogar aus den 70er- oder spätesten 80er-Jahren. Denn ähnlich wie in der ehemaligen DDR ist es natürlich auch in China so gewesen, dass die Vergangenheit mit einem unglaublichen Tempo verschwunden ist. Das heißt, die Städte haben sich gewandelt, die öffentlichen Plätze, die Kommunikationsformen und so weiter, und so fort. Das China, das Uli Sigg erlebt hat, gibt es so natürlich heute im Grunde genommen kaum noch.
Auf der Suche nach dem alten China
Und auf der einen Seite habe ich selbst zusammen mit Location Scouts Orte aufgesucht oder zu finden versucht, die noch etwas von der historischen Qualität hatten, die Uli Sigg erlebt hat, als er Ende der 70er-Jahre in den ersten Besuchen in China gewesen ist: Zum Beispiel Karaoke-Bars, wo noch immer Karaoke praktiziert wird. Oder Büroräume oder Hotelzimmer und anderes, die noch erinnern daran, wie China vor 40 Jahren ausgesehen hat. Zum anderen habe ich auch sehr viel Glück gehabt. Weil obwohl Sigg selbst nie fotografiert hat, ist er natürlich gleichzeitig doch öfter fotografiert worden. Er hat ja einige der bedeutendsten Chinesen getroffen zu einer Zeit, als sie noch gar nicht so bedeutend waren. Weil er eben fast der einzige Weiße war, der sich damals in China aufgehalten hat. Zum Beispiel Jiang Zemin, der später zehn Jahre Präsident des Landes gewesen ist, hat mit ihm den Vertrag dieses Joint Ventures verhandelt. Und insofern gibt es doch einiges Filmmaterial.
Ein Film, der zeigt, was sonst niemand sehen konnte
Aber das Wichtigste war vielleicht, dass ich außerdem tatsächlich auch einen Super-8-Millimeter-Film gefunden habe, der noch nie gezeigt worden ist. Den hat ein Schweizer Mitarbeiter von Uli Sigg gedreht in der Zeit, als der in den frühen 80er-Jahren selbst in Peking gelebt hat. Und der Mann hat einfach Sachen gemacht und aufgezeichnet, die sonst niemand hat sehen können.
Es gibt ja von Antonioni diesen berühmten Film über China aus der Zeit Mitte der 70er-Jahre, am Ende der Kulturrevolution. Und ich würde sagen, dass dieses Filmmaterial, das ich gefunden habe, noch weit stärker den Alltag Chinas am Ende der Kulturrevolution zeigt. Weil dieser Schweizer, obwohl Amateur, gleichzeitig trotzdem natürlich viel besser das Land und die Stadt gekannt hat und dementsprechend auch Orte aufsuchen konnte, die ein Ausländer sonst nie zu sehen bekommen hat.
Susanne Burg: Sie nehmen sich auch die Zeit, diesen Werdegang von Uli Sigg in den 70er-Jahren, 80er-Jahren zu zeigen. Und dann kommen ja die 90er-Jahre, wo er plötzlich angefangen hat, sich für Kunst zu interessieren. Was war eigentlich der ausschlaggebende Punkt dafür, dass er angefangen hat, sich der Kunstszene zuzuwenden? Vorher war er wirklich ein Wirtschaftsunternehmer.
Michael Schindhelm: Es ist so, dass Sigg sich wahrscheinlich immer ein Stück weit für Kunst interessiert hat. Wahrscheinlich hat er jedoch in den ersten zehn Jahren kaum wirklichen Kontakt haben können mit Künstlern. Sie müssen sich vorstellen, dass Sigg damals wahrscheinlich unter noch wesentlich radikaleren Bedingungen gelebt hat, als das heute in Nordkorea der Fall wäre. Und insofern ist es natürlich auch für Sigg gar nicht möglich gewesen, ohne weiteres in den Untergrund zu gehen und Künstler zu treffen und dergleichen.
Als Diplomat im Untergrund
Eigentlich hat ihm erst die Souveränität eines Botschafters die Möglichkeit gegeben, auf offiziellem Weg auch Dinge zu tun, die okay sind – solange man Diplomat ist – und die man als Normalsterblicher nie machen könnte. Und deswegen hat eigentlich die Suche nach Künstlern erst dann begonnen.
Außerdem ist es so, dass die Kunstszene tatsächlich ja Anfang der 80er-Jahre zu einem großen Teil auch ausgedünnt worden ist. Weil plötzlich konnte man in den Westen reisen. Auch Ai Wei-Wei ist ja zum Beispiel 1982 nach Amerika gegangen und erst Mitte der 90er-Jahre wieder zurückgekehrt. Viele der bedeutenden Künstler haben einen wesentlichen Teil ihrer Geschichte ja nach der Kulturrevolution im Westen erlebt und sind erst dann wieder zurückgekehrt. Und waren damit auch erst dann für Sigg erreichbar.
Susanne Burg: Seine Zeit als Botschafter hat ihm allerdings auch ein bisschen Kritik eingebracht, dass er seine Funktion missbrauchen würde, um Kunst zu sammeln.
Michael Schindhelm: Sie können sich vorstellen, wenn jemand so erfolgreich ist und auch irgendwie aus dem Nichts kommt, ein Quereinsteiger ist – denn Uli Sigg ist eigentlich Journalist und Jurist und insofern noch nicht einmal ein Businessman im traditionellen Sinn des Wortes, geschweige denn ein Diplomat. Er hat das nie studiert und ist insofern natürlich immer sehr pragmatisch vorgegangen in seiner Arbeitsweise, in seiner Kommunikation. Dass das gerade auch unter den eingefleischten Experten des jeweiligen Berufszweiges nicht nur Sympathien hervorruft. Und insofern hat er ja auch immer wieder Anwürfe erlebt.
Nicht nur Sympathien für den Quereinsteiger
Außerdem ist es ja so, dass Sigg natürlich nicht unbedingt auch unter den Chinesen nur Sympathisanten hat. Denn er hat viele kritische Künstler gesammelt und kritische Kunst und viel dafür getan, damit diese Künstler auch im Westen bekannt werden. Er war zum Beispiel maßgeblich daran beteiligt, dass über 30 Künstler zum ersten Mal auf der Biennale in Venedig gezeigt werden konnten, 1999, als China selbst noch gar keinen Pavillon dort hatte. Und insofern kann man sich vorstellen, dass es auch offizielle Kreise in China selbst gibt, die das alles nur deswegen zähneknirschend akzeptieren, weil Uli Sigg gleichzeitig eben diese Meriten aus der Vergangenheit hat und er dementsprechend eben bis heute eigentlich immer noch unter einer gewissen Protektion steht.
Aber unterschwellig gibt es natürlich immer wieder Kritik. Beispielsweise hat es an der Donation seiner Sammlung nach Hongkong Kritik gegeben aus China. Weil man natürlich befürchtet, dass in Zukunft, wenn dieses Museum eröffnet, plötzlich viele Millionen Chinesen, die vom Festland nach Hongkong reisen – es sind im Moment 40 Millionen im Jahr – diese kritische Kunst sehen.
Dass sie in Zukunft diese Kunst dann doch sehen können, obwohl sie eigentlich in Festlandchina nicht zu sehen wäre.
Susanne Burg: All das kann man ab Donnerstag im Kino sehen. Da kommt der Dokumentarfilm "The Chinese Lives of Uli Sigg" ins Kino. Michael Schindhelm ist der Regisseur. Vielen Dank, Herr Schindhelm!
Michael Schindhelm: Danke Ihnen, Frau Burg, und toi, toi, toi für den Film!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.