Dokumentarfilm „They Shall Not Grow Old“ von Peter Jackson

130 Soldaten erinnern sich an den Ersten Weltkrieg

05:40 Minuten
Szene aus dem Dokumentarfilm "They Shall Not Grow Old" von Peter Jackson: lachende Soldaten an einem langen Tisch bei Essen und Bier.
Regisseur Peter Jackson zeigt in seinem Dokumentarfilm "They Shall Not Grow Old" den Alltag des Krieges in seinen unterschiedlichen Facetten. © Warner Bros. Entertainment/AP Photo
Von Wolfgang Martin Hamdorf |
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Peter Jackson hat den Dokumentarfilm "They Shall Not Grow Old" seinem Großvater gewidmet, der als britischer Soldat im Ersten Weltkrieg kämpfte. Die nachkolorierten und geschickt montierten Bilder liefern allerdings wenig historischen Erkenntnisgewinn.
"Ich kann mich an nichts anderes mehr erinnern als an diesen nervtötenden Lärm, dieser ständige Beschuss und die Einschläge Tag und Nacht."
Neun Millionen Soldaten aus Großbritannien und dem damaligen Empire kämpften im ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 – die Jüngsten von ihnen waren 15 oder 16 Jahre alt, eine Million von ihnen kam dabei ums Leben.
"Du fühlst dich wie ein verängstigtes Kaninchen. Mit hundert anderen zusammen eingesperrt, wie ein Kaninchen."
Der Dokumentarfilm "They Shall Not Grow Old" schildert den Alltag des Krieges in seinen unterschiedlichen Facetten: Vom Frühstück bis zum Latrinengang; vom Granatbeschuss in den Schützengräben bis zum Giftgasangriff.
Der Film zeigt das gesellige Zusammensein der Soldaten, aber auch die Verwundeten und Toten. Er zeigt die Angst, aber auch den Galgenhumor an der Front.
"Wenn der Krieg nicht so heftig war, konnte man eine richtig schöne Zeit an der Front haben. Dann war es nicht sehr gefährlich und hatte etwas von einem Zeltlager mit einem Hauch Gefahr, um es interessanter zu machen."
Die so sarkastisch als "richtig schön" beschriebene Zeit an der Front prägte und traumatisierte das Leben einer ganzen Generation. Regisseur Peter Jackson hat den Film seinem Großvater gewidmet, einem der neun Millionen britischen Soldaten, und er sieht seinen Film auch als ein Stück Familiengeschichte im kollektiven Kontext, erklärt er dem Soldatensender Forces TV.
"Mir war bewusst, dass ich während ich an diesem Film arbeitete, auch immer stärker in das Leben meines Großvaters eintrat. Denn das, was die Zeitzeugen erzählten und was ich auf den Archivbildern sah, hat er wahrscheinlich auch ähnlich erlebt und gesehen. Eine Archivaufnahme zeigt eine Minenexplosion und ich wusste, dass er so etwas auch im Krieg erlebt hat vor etwa 100 Jahren."

Im Vordergrund steht der einfache Soldat

Der Film arbeitet ohne erklärenden Off-Kommentar. Statt dessen erinnern sich 130 Soldaten an höchst Dramatisches und ganz Alltägliches. 130 Stimmen aus den 600 Stunden Audio-Material, das die BBC 1964 zum 50. Jahrestag des Kriegsbeginns aufgenommen hatte.
Im Vordergrund dieser Kriegserinnerungen stehen der kleine Mann, der einfache Soldat und nicht die politischen Hintergründe und die weltpolitischen Verstrickungen des Ersten Weltkriegs. Zu dieser Tonspur der Erinnerungen der Kriegsveteranen hat Peter Jackson die Archivbilder aus dem ersten Weltkrieg montiert. Dazu ließ er die Schwarz-Weiß-Aufnahmen in aufwendigen technischen Verfahren kolorieren.
Dabei stechen das Rot des Blutes, das Khaki-Grün der Uniformen die rosafarbenen Gesichter mit den schadhaften gelblichen Zähnen und das Braun des Schlamms besonders hervor.
Die stummen Bilder werden mit Ton unterlegt, mit Schüssen, Schreien, aber auch mit dem Akkordeon im Schützengraben. Mit Hilfe professioneller Lippenleser rekonstruierte Jackson sogar die gesprochenen Worte der Soldaten. Auf allen Ebenen möchte Jackson die Protagonisten von damals aus dem, wie er es nennt, "komischen Charlie-Chaplin- Schwarz-Weiß-Look" befreien, möchte sie für den Zuschauer erlebbar machen.
Dabei wirkt der Krieg bunt und über weite Strecken harmlos, fröhliche junge Männer schauen lachend in die Kamera, es wird gesungen und musiziert. Die Momente des Schreckens sind Montageleistungen, die blutige Hand auf dem Boden, die Explosionen, der Stacheldraht, die Makroaufnahmen der Läuse und die Ratten.

Manipuliertes Archivmaterial

Denn im Ersten Weltkrieg wurde fast immer in ruhigen Abschnitten hinter der Front gedreht, wurden kampfbegeisterte Soldaten in ihren Truppenunterkünften gezeigt. Es gab noch keine Handkameras, die Bilder von der Front hätten liefern können. Für sein Konzept eines erlebbaren Krieges musste Jackson andere Elemente montieren.
"Im ersten Weltkrieg wurden keine Kampfhandlungen gedreht, weil es für die Kameraleute lebensgefährlich war. Deshalb gibt es davon auch keine Filmaufnahmen und auch keine Fotos. Wir mussten also andere Wege finden diese Schlachten zu zeigen.
Wir verwendeten Bilder von deutschen Panzern, die bei britischen Manövern gefilmt worden waren. Dazu verwendeten wir immer wieder kurze Aufnahmen von Artilleriefeuer und Explosionen um es etwas gefährlicher zu machen."
"They Shall Not Grow Old" ist ein geschickt montierter zweistündiger Kompilationsfilm, mit manipulierten Archivmaterialien. Die digitale Nachkolorierung ist in den letzten Jahren in vielen Dokumentationen in Mode gekommen. Die alten Bilder – die immer auch in einem ganz bestimmten politischen Zusammenhang entstanden sind –, werden so zu scheinbar neutralen Bausteinen einer, sich gerne als zeitgemäß verstehenden, Geschichtsdarstellung.
Durch das Einfärben schwarz-weißer Bilder, oder die digitale Eliminierung von Kratzern und Flimmern geht die historische Authentizität des Bildmaterials verloren. Bei Peter Jacksons Ästhetisierung der Archivbilder geht es weniger um den historischen Erkenntnisgewinn, als um den Unterhaltungswert. Jackson hat den Originalaufnahmen nicht ihre wirklichen Farben zurück gegeben, er hat sie einfach nur geschminkt.
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