Dokumentarfilm "Who’s afraid of Alice Miller"

Die zwei Gesichter einer Mutter

08:35 Minuten
Die Autorin und Psychologin. Alice Miller in einer undatierten Aufnahme
Die Kindheitsforscherin Alice Miller machte ihrem Sohn das Leben schwer. © picture alliance / dpa / Julika Miller
Martin Miller im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
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In ihren Büchern warb die Psychoanalytikerin Alice Miller für eine liebevolle Erziehung, ihrem eigenen Sohn gegenüber war sie kalt und gefühllos. Im Dokumentarfilm „Who’s afraid of Alice Miller“ geht Martin Miller nun den Traumata seiner Mutter nach.
Der Bestseller "Das Drama des begabten Kindes" machte die Psychoanalytikerin Alice Miller 1979 zum Star. Ihre Darstellung der Folgen schlimmer Kindheitserlebnisse ließ die Autorin über Jahrzehnte als Lichtgestalt für den Kampf um den Schutz und die Rechte von Kindern erscheinen.
Umso größer war das Erstaunen, als sich drei Jahre nach ihrem Tod der Sohn Martin Miller mit einer ganz anderen Darstellung seiner Mutter 2013 erstmals zu Wort meldete. In seinem Buch "Das wahre Drama des begabten Kindes" warf der Psychotherapeut Alice Miller vor, bei der Erziehung völlig versagt zu haben, und schilderte seine schlimme Kindheit.

Neue Spurensuche im Film

Nun kommt der Dokumentarfilm "Who's Afraid of Alice Miller?" von Regisseur Daniel Howald in die Kinos, in dem sich der Sohn noch einmal auf Spurensuche begibt. Er reist nach Warschau und Lodz, um Dokumente seiner Eltern aus der Zeit vor ihrer Ausreise 1946 aus Polen in die Schweiz zu suchen.
Sein Vater sei der "Erpresser" seiner Mutter gewesen, die unter anderem Namen als Jüdin unter Deutschen in Warschau überlebt hätte, sagt Miller. Es habe damals viele Frauen gegeben, die ihr Leben gerettet hätten, in dem sie Männer verführten. Der Vater habe Alice Miller und deren Schwester später mit zwei Stipendien zur Flucht in die Schweiz verholfen. Dort lebte sie dann bis zu ihrem Tod 2010.

Die Erfindung der idealen Mutter

Viele Stars machten eine Persönlichkeitsveränderung durch, wenn sie berühmt würden, sagt Miller heute über seine Mutter. "Es hat zwei Alice Miller gegeben", sagt ihr Sohn. "Es hat die echte Alice Miller gegeben, die habe ich erlebt."
Seine Mutter habe als Jüdin in Polen während der NS-Zeit traumatische Erfahrungen gemacht, aber sie dann aufgespalten. "Sie hat im Prinzip in ihren Büchern eine Alice Miller erfunden." Da sei sie als "ideale Mutter" erschienen und mit diesem Bild von sich selbst habe sich die Analytikerin immer mehr identifiziert. "Die Leute haben das geglaubt."

Langes Schweigen

"Meine Mutter war sehr prozessfreudig", erläutert Miller, warum er erst nach ihrem Tod 2010 sein Buch veröffentlichte. Sie hätte gegen ihn prozessiert, wenn er das Buch zu ihren Lebzeiten geschrieben hätte. "Da hatte sie überhaupt keine Hemmungen."
Über eine lange Zeit habe er seine Mutter auch nicht schlechtmachen wollen, wenn andere Leute zu ihm sagten, er müsse doch eine sehr schöne Kindheit gehabt haben. "Das ist natürlich ein langer Prozess, man schont seine Eltern." Deshalb habe er den Mund gehalten.
"Irgendwann dann 2013 hatte ich einfach genug von dieser Sache und diese Idealisierung meiner Mutter war auch mit entscheidend ein Grund, dass ich dieses Buch geschrieben habe."

Der Bestseller bleibt populär

Er unterscheide zwischen den persönlichen Erfahrungen mit seiner Mutter und deren Arbeit. Sie habe ihn einerseits sehr gequält und ihm als Kind das Leben schwer gemacht. Andererseits habe sie ihm auch mit ihrer Theorie den Schlüssel in die Hand gegeben, "mich dann eigentlich auch wieder aus dieser furchtbaren Situation herauszuarbeiten".
Einige Aspekte der psychologischen Theorien seiner Mutter seien bis heute aktuell, sagt Miller. Das positive Denken und die Glückspsychologie feierten wieder eine Hochkonjunktur. Der Bestseller von Alice Miller, "Das Drama des begabten Kindes", sei unverändert sehr populär.
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