Perspektivwechsel als Schlüsselfrage
Teil des Internationalen Filmfestivals in Durban ist die "people2people"-Konferenz, auf der sich die wichtigsten Dokumentarfilmer des afrikanischen Kontinents austauschen. Leonie March hat einige von ihnen getroffen - und sich ihre Filme angeschaut.
Bomben fallen auf die karge Landschaft. Menschen fliehen in alle Richtungen, suchen Schutz in einfachen Erdlöchern. Fliegerangriffe sind Alltag in den Grenzregionen zwischen Südsudan und Sudan. Seit Jahren bekämpft das Regime in Khartum hier Rebellen, auch nach der Abspaltung des Südens. Ein blutiger Konflikt, von dem die internationale Gemeinschaft kaum Notiz nimmt. Doch der Dokumentarfilm "Beats of the Antonov" erzählt nicht nur vom Leid der Zivilgesellschaft, von Tod und Verwüstung.
Es ist Krieg - und die Menschen tanzen und singen
Mitten im Krieg feiern die Menschen. Sie tanzen und singen, bauen mit provisorischen Mitteln traditionelle Instrumente. Sie entdecken ihre kulturelle Identität wieder. Für Regisseur Hajooj Kuka ist sie der Kern der Konflikte, die seine Heimat seit der Unabhängigkeit 1956 erschüttern.
"Die Gründungsväter gaben dem Sudan eine arabisch-islamische Identität. Danach sollten sich alle richten. Doch in einem Land mit 57 Ethnien führt das unweigerlich zu Spannungen. Wer sich nicht mit der künstlich übergestülpten nationalen Identität identifizieren konnte oder wollte, wurde zum Bürger zweiter oder dritter Klasse. In den abgeschotteten umkämpften Gebieten, fernab von der Zentralregierung, knüpfen die Menschen nun wieder an ihre ursprüngliche Kultur an. Sie entdecken ihre Muttersprache wieder, ihre Musik, ihre Tänze und traditionelle Sportarten. In diesem Kulturkampf wehren sie sich nicht nur mit Waffen, sondern auch mit ihrer eigenen Kultur."
Hajooj Kuka verleiht Menschen eine Stimme, die sonst keine Lobby haben. Die an ihrem Schicksal wachsen, statt daran zu Grunde zu gehen. Die ein Flüchtlingslager zur kulturellen Keimzelle umgestalten. Ein überraschender, eindrucksvoller Blickwinkel, der sich deutlich von gängigen Afrika-Klischees unterscheidet. Auf dem Kontinent wachse das Genre des Dokumentarfilms von Jahr zu Jahr, erzählt Rehad Desai, Initiator der "people2people"-Konferenz. Im Mittelpunkt stehen sozialkritische und politische Filme jenseits der – so heißt es im Programm – Armutspornografie.
Die Zuschauer sollen aus Dokumentationen Inspiration schöpfen
"Dieser Perspektivwechsel ist eine Schüsselfrage für uns Dokumentarfilmer. Statt Opfer zeigen wir Menschen. Ihre Kraft. Leute, die versuchen, Hürden zu überwinden. Oft vergeblich, manchmal aber auch erfolgreich. Daraus können die Zuschauer wichtige Erkenntnisse und Inspiration schöpfen. Es geht nicht um Mitleid, oder arme, hilflose Leute, sondern darum, was sie tun, um ihre Situation zu ändern. Wie sie sich ihre eigene Entwicklung vorstellen und vorantreiben."
Was aber ist Entwicklung? Welcher Weg führt aus der Armut? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des südafrikanischen Dokumentarfilms "The Shore Break".
Er spielt im ehemaligen Homeland Transkei, einer ländlichen, rückständigen Küstenregion. Dort träumt Nonhle von Ökotourismus und einer florierenden Landwirtschaft. Ihr Cousin Madiba unterstützt dagegen die Pläne der Regierung: Eine Autobahn und Bergbau. Ein vielschichtiger, seit Jahren immer wieder aufkochender Konflikt, der laut Regisseurin Ryley Grunenwald auch viel über die junge Demokratie am Kap erzählt.
"Die meisten Anführer der Anti-Apartheid stammen aus dieser Region. Deshalb wird der ANC hier wohl weiterhin die Wahlen gewinnen. Und das obwohl die Regierung die Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung seit Jahren ignoriert. Zentrale Projekte werden über den Kopf der Menschen hinweg entschieden. Aber was mich hoffnungsvoll stimmt ist, dass sich die Mehrheit der Dorfbewohner nicht von Politikern und Bergbaukonzernen, von Macht und Geld einschüchtern lässt. Sie wollen ihre Tradition und ihr Land behalten. Dafür tun sie alles."
Es wird deutlich, wo die Sympathien der jungen Regisseurin liegen. So wie sie beziehen die meisten afrikanischen Dokumentarfilmer beim diesjährigen Festival in Durban unmissverständlich Stellung: Für Minderheiten und gegen rücksichtslose Machthaber. Für die Umwelt und gegen Ausbeutung. Unbequeme Stimmen, die lauter und selbstbewusster werden.