Dokumentation einer seelischen Selbstentfremdung
Goldschmidts Novelle ist ein eindrückliches Stück Literatur und ein historisches Dokument. Er erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte in der Form quälender Erinnerungen eines verstoßenen und malträtierten Jungen in der Nazizeit.
Eigentlich wollte Georges-Arthur Goldschmidt seine Erzählung "'esprit de retour", die 2011 in Frankreich erschienen ist, einfach nur ins Deutsche übersetzen. Dann aber entwickelte sich "Ein Wiederkommen" doch zu einem eigenständigen Buch, und das hängt mit der Geschichte zusammen, die Goldschmidt darin erzählt:Sein Protagonist heißt Arthur Kellerlicht - welch sprechender Name. Er ist 19 Jahre alt, lebt im Dachzimmer eines Pariser Kinderheims und wird von einer reichen französischen Cousine mehr schlecht als recht ausgehalten.
"Ein Wiederkommen" spielt Ende der 1940er Jahre, und Goldschmidt erzählt die Vorgeschichte im Rückblick: Arthur Kellerlicht ist in Reinbek bei Hamburg aufgewachsen, seine Eltern wurden als Juden in Konzentrationslager deportiert, obwohl die Familie zum Protestantismus übergetreten war. Arthur selbst kam mit zehn in ein Internat in Savoyen, wurde während der deutschen Besatzung von einem Bauern versteckt.
Die Schwierigkeiten Georges-Arthur Goldschmidts, den Text ins Deutsche zu übertragen, hatten wohl damit zu tun, dass Arthur Kellerlicht keine gänzlich fiktive Figur ist, sondern deutlich autobiographische Züge trägt. Viele von Georges-Arthur Goldschmidts Büchern sagen "ich", ohne "ich" zu sagen: Seine schmerzhaften Kindheits- und Jugenderfahrungen umschreibt er seit vielen Jahren unter der Bezeichnung "Autofiction" - so auch hier.
Goldschmidt hat sich immer wieder, philosophisch grundiert, für unterschiedliche Aspekte der quälenden Erinnerungen des verstoßenen und malträtierten Jungen interessiert. "Ein Wiederkommen" dreht sich also auch nicht nur um das Aufwachsen eines jüdischen Kindes während des und nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern Kellerlicht arbeitet sich vor allem an einer Frage ab, die auch die des Autors ist: Warum habe ich überlebt?
Und von "Arbeiten" kann man hier mit Fug und Recht sprechen, denn Goldschmidt verlangt sich, seinem Text und dem Leser einiges ab. Die Erziehung im Internat ist von Gewalt geprägt. Bei Arthur Kellerlicht regt sich gegen diese körperlichen Züchtigungen kein Widerstand, sondern er sieht sich in seinen Minderwertigkeitsgefühlen bestätigt, ist er doch "geburtsschuldig" wegen seiner nicht-arischen Abstammung. Und schon seine Eltern hatten ihm das Gefühl gegeben, ein "Böser" zu sein, wegen seiner Renitenz und weil er sich so oft der "stummen Sünde" hingab. Er sieht sich als "nutzloser Esser", und die Begriffe Schuld und Scham ziehen sich wie rote Fäden durch "Ein Wiederkommen".
Der Titel bezieht sich übrigens auf eine Reise Kellerlichts nach Reinbek, die erste nach dem Krieg. Selbst der Besuch bei der Familie treibt ihn noch weiter in die Isolation: Die ältere Schwester hat ihn nur eingeladen, um ihm seine Ansprüche am Elternhaus abzuluchsen.
Vielleicht wird in diesem Buch ein wenig zu viel masturbiert, Erotik und Gewalt zu leid- und genussvoll gleichgesetzt, um so deutlicher wird die Absicht, die körperliche und seelische Selbstentfremdung eines "Spätzünders" zu dokumentieren, der von sich selbst oft nur als "man" spricht. Goldschmidt hat ein kompliziertes Coming of Age als Resultat des düstersten Kapitels deutscher Geschichte eindrücklich verdichtet. Der versöhnliche Schluss kommt etwas abrupt.
Georges-Arthur Goldschmidt schreibt passagenweise in einem etwas gespreizten, ältlichen Deutsch, dem man anmerkt, dass Deutsch nicht seine Alltagssprache ist. Aber gerade daraus bezieht das Buch seinen besonderen Charme, denn hier schreibt einer auf Deutsch, dem sein Deutschsein gründlich ausgetrieben wurde. "Ein Wiederkommen" und die Sprache, in der es geschrieben ist, sind also eindrückliche Literatur und historisches Dokument zugleich.
Besprochen von Dina Netz
Georges-Arthur Goldschmidt: Ein Wiederkommen. Erzählung
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2012
192 Seiten, 18,99 Euro
"Ein Wiederkommen" spielt Ende der 1940er Jahre, und Goldschmidt erzählt die Vorgeschichte im Rückblick: Arthur Kellerlicht ist in Reinbek bei Hamburg aufgewachsen, seine Eltern wurden als Juden in Konzentrationslager deportiert, obwohl die Familie zum Protestantismus übergetreten war. Arthur selbst kam mit zehn in ein Internat in Savoyen, wurde während der deutschen Besatzung von einem Bauern versteckt.
Die Schwierigkeiten Georges-Arthur Goldschmidts, den Text ins Deutsche zu übertragen, hatten wohl damit zu tun, dass Arthur Kellerlicht keine gänzlich fiktive Figur ist, sondern deutlich autobiographische Züge trägt. Viele von Georges-Arthur Goldschmidts Büchern sagen "ich", ohne "ich" zu sagen: Seine schmerzhaften Kindheits- und Jugenderfahrungen umschreibt er seit vielen Jahren unter der Bezeichnung "Autofiction" - so auch hier.
Goldschmidt hat sich immer wieder, philosophisch grundiert, für unterschiedliche Aspekte der quälenden Erinnerungen des verstoßenen und malträtierten Jungen interessiert. "Ein Wiederkommen" dreht sich also auch nicht nur um das Aufwachsen eines jüdischen Kindes während des und nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern Kellerlicht arbeitet sich vor allem an einer Frage ab, die auch die des Autors ist: Warum habe ich überlebt?
Und von "Arbeiten" kann man hier mit Fug und Recht sprechen, denn Goldschmidt verlangt sich, seinem Text und dem Leser einiges ab. Die Erziehung im Internat ist von Gewalt geprägt. Bei Arthur Kellerlicht regt sich gegen diese körperlichen Züchtigungen kein Widerstand, sondern er sieht sich in seinen Minderwertigkeitsgefühlen bestätigt, ist er doch "geburtsschuldig" wegen seiner nicht-arischen Abstammung. Und schon seine Eltern hatten ihm das Gefühl gegeben, ein "Böser" zu sein, wegen seiner Renitenz und weil er sich so oft der "stummen Sünde" hingab. Er sieht sich als "nutzloser Esser", und die Begriffe Schuld und Scham ziehen sich wie rote Fäden durch "Ein Wiederkommen".
Der Titel bezieht sich übrigens auf eine Reise Kellerlichts nach Reinbek, die erste nach dem Krieg. Selbst der Besuch bei der Familie treibt ihn noch weiter in die Isolation: Die ältere Schwester hat ihn nur eingeladen, um ihm seine Ansprüche am Elternhaus abzuluchsen.
Vielleicht wird in diesem Buch ein wenig zu viel masturbiert, Erotik und Gewalt zu leid- und genussvoll gleichgesetzt, um so deutlicher wird die Absicht, die körperliche und seelische Selbstentfremdung eines "Spätzünders" zu dokumentieren, der von sich selbst oft nur als "man" spricht. Goldschmidt hat ein kompliziertes Coming of Age als Resultat des düstersten Kapitels deutscher Geschichte eindrücklich verdichtet. Der versöhnliche Schluss kommt etwas abrupt.
Georges-Arthur Goldschmidt schreibt passagenweise in einem etwas gespreizten, ältlichen Deutsch, dem man anmerkt, dass Deutsch nicht seine Alltagssprache ist. Aber gerade daraus bezieht das Buch seinen besonderen Charme, denn hier schreibt einer auf Deutsch, dem sein Deutschsein gründlich ausgetrieben wurde. "Ein Wiederkommen" und die Sprache, in der es geschrieben ist, sind also eindrückliche Literatur und historisches Dokument zugleich.
Besprochen von Dina Netz
Georges-Arthur Goldschmidt: Ein Wiederkommen. Erzählung
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2012
192 Seiten, 18,99 Euro