Dokumentation "Meine Brüder und Schwestern im Norden"

"Die Nordkoreaner sind wie Südkoreaner in den 70er-Jahren"

Eine undatierte Szene aus dem Film "Meine Brüder und Schwestern im Norden" von der Regisseurin Sung-Hyung Cho.
Eine undatierte Szene aus dem Film "Meine Brüder und Schwestern im Norden" von der Regisseurin Sung-Hyung Cho. © picture alliance / dpa / Farbfilm
Sung-Hyung Cho im Gespräch mit Susanne Burg |
Sung-Hyung Cho hat eine Dokumentation über Wacken gemacht und eine über die deutsche Frauen-Fußball-Nationalmannschaft. Für "Meine Brüder und Schwestern im Norden" nahm die gebürtige Südkoreanerin die deutsche Staatsbürgerschaft an - um im abgeschotteten Nordkorea filmen zu können.
Sung-Hyung Cho: Guten Tag!
Susanne Burg: Sung-Hyung Cho, um in Nordkorea einreisen zu können, haben Sie Ihre südkoreanische Staatsbürgerschaft aufgegeben und die deutsche angenommen. Ist das nicht ein verdammt hoher Preis für einen Film?
Cho: Anfangs dachte ich, dass war schon ein bisschen seltsam für mich, auf meine koreanische Staatsangehörigkeit zu verzichten, aber mittlerweile finde ich viel besser mit deutschem Pass. Ich habe am Flughafen weniger Probleme, und mit dem deutschen Pass kann ich überall reisen. Außerdem, seitdem ich deutsch geworden bin, sind beide Länder, Nordkorea und Südkorea, meine Heimat.
Burg: Das heißt der Antrieb für Ihren Film, war das auch ein persönlicher, den Film zu machen?
Cho: Na klar, und außerdem, ich kann beide Länder besuchen, und ich habe auch deutsche Wiedervereinigung in Deutschland erlebt, und da denke ich, als Deutsche könnte ich auch dazu beitragen, dass Nordkorea und Südkorea sich versöhnen und näherkommen.
Sung-Hyung Cho, Regisseurin von "Meine Brüder und Schwestern im Norden"
Sung-Hyung Cho, Regisseurin von "Meine Brüder und Schwestern im Norden"© Deutschlandradio Kultur / Norbert Wassmund
Burg: Nur ist es ja trotzdem kein einfaches Unterfangen, in Nordkorea einen Film zu drehen. Sie sind dreimal ins Land gefahren, um Protagonisten auszuwählen. Wie viel Spielraum haben Sie sich denn über die Zeit erkämpfen können, oder andersrum: Wie sind Sie vorgegangen, um dann das drehen zu können, was Sie wollten?
Cho: Es ist ja so bekannt, dass Nordkorea die Protagonisten für die ausländischen Teams aussuchen. Natürlich wussten wir davon auch. Deswegen haben wir uns überlegt, wie wir gewisse Freiheit für uns schaffen können, und so hatten wir eine sehr, sehr lange Liste von möglichen Wunschprotagonisten aus verschiedenen Altern, Berufen und Orten, und die Nordkoreaner haben tatsächlich alle ausgesucht für uns.
Burg: Wie haben Sie sich dann diesen Protagonisten angenähert?
Cho: Ich habe die irgendwie erst zum Lachen gebracht, glaube ich. Anfangs waren sie wirklich sehr irgendwie angespannt und ängstlich, aber diese Angst hat sich sehr schnell gelegt, und sie mochten mich wirklich sehr, und sie haben sich riesig gefreut, mich zu sehen.
Burg: Man sieht Sie sehr häufig im Bild, wie Sie kommunizieren mit Ihren Protagonisten, und ich fand es sehr interessant, wie Sie Kontakt aufnehmen. Es gibt eine Szene, die ich sehr schön fand: Sie treffen eine 83-jährige Dame…
Cho: Ja, die "Tigeroma".
Burg: Ri Ok Hee ... zu Hause, und Sie sprechen darüber, welche Blutgruppe Sie haben, und es stellt sich heraus, Sie haben beide die Blutgruppe Null, und sofort scheint es eine Verbindung zu geben. Da dachte ich so, okay, warum jetzt ausgerechnet eine Blutgruppe?

Süd- und Nordkoreaner ticken gleich

Cho: Das ist irgendwie sehr absurd für die westlichen Zuschauer, aber für uns Koreaner ist das echt ein Hammer, weil die Südkoreaner genauso ticken und man checkt, welche Blutgruppe, und die meinen, bestimmte Blutgruppe hätte bestimmte Charakterzüge. Zum Beispiel Blutgruppe 0 ist sehr extrovertiert und aktiv und auch männlich, wenn das eine Frau sein soll, und diese Vorurteile haben die Südkoreaner, und dann musste ich feststellen, die Nordkoreaner auch. Wahnsinn.
Burg: Wo haben Sie dann gemerkt, okay, also das verbindet uns, wo trennt es uns aber auch, weil wir eben dann doch eine andere Sozialisation haben?
Cho: Wir sind wirklich sehr ähnlich, und ich habe so viele Gemeinsamkeiten entdeckt in Nordkorea, zum Beispiel dieser Patriotismus. Es ist erschreckend, wenn "Tigeroma" sagt, sie wünscht sich, dass ihr Enkelkind sich aufopfern würde für das Vaterland und dann zu einem Helden wird durch den Tod, und das war mir sehr vertraut. In meiner Kindheit wurden wir auch so erzogen, und wir mussten als Kind jeden Tag vor der koreanischen Nationalflagge schwören, dass wir uns für den ewigen Ruhm des Vaterlandes aufopfern würden. Mittlerweile in Südkorea ist es nicht mehr so, aber die Nordkoreaner sind wie so Südkoreaner in den 70er-Jahren.
Burg: Man sieht Sie eben, wie Sie mit den Protagonisten sprechen. Sie treffen zum Beispiel einen Maler, der in einem staatlichen Kunstatelier in Pjöngjang arbeitet und Bilder von schönen Menschen malt, Menschen, die – würde ich sagen – dem Bild des Regimes vom nordkoreanischen Arbeiter zum Beispiel sehr entsprechen. Sie fragen dann nicht mal extrem gesagt, wie befriedigend ist es für einen Künstler, überhaupt Propaganda zu malen, – also das würden Sie nie tun –, sondern Sie sagen dann, warum malen Sie immer das Schöne. Wie gut haben Sie sich vorher überlegt, welche Fragen Sie stellen?
Cho: Eigentlich wollten wir einen Film zu dem Thema machen, die Liebe der Bevölkerung zu den Führern, halt im Alltag ergründet. Das war unser Thema, was wir den Nordkoreanern vorgeschlagen haben, und darauf haben die Nordkoreaner so reagiert, sie meinten, das Thema sei zu politisch, und wir sollten nur den Alltag ergründen. Da dachten wir auch, hurra, eigentlich ich will den Alltag kennenlernen, und diese Liebe zum Führer kommt ja sowieso überall zum Ausdruck.
Burg: Man kann dem nicht entgehen. Überall hängen Fotos, und ständig wird darauf Bezug genommen.

Wiedervereinigung ist kein Tabu

Cho: Genau, und unser Ziel war der Alltag, und dann dachten wir, super, das machen wir. Der einzige Punkt, über den wir sprechen konnten, war halt die Wiedervereinigung.
Burg: Das ist kein Tabu.
Cho: Das ist kein Tabu. Das ist gewünscht, darüber auch zu sprechen. Insofern war es dann okay für sie.
Burg: Man merkt, finde ich, trotzdem bei den Protagonisten, dass die ständig die Schere im Kopf haben: Einmal zeigen Sie bei einer Reise von A nach B Menschen am Straßenrand, und Sie sagen dann auch im Off-Kommentar, Sie fragen sich, was die da wohl tun. War das nicht manchmal auch frustrierend, immer beim offiziellen Bild bleiben zu müssen?
Cho: Aber das weiß man ja vorher schon, und außerdem vor diesem Film hatte ich anderen Film gehabt, in dem die Kontrolle extrem war, über die Frauennationalmannschaft während der Frauenfußball-WM, und damals, die Bedingungen waren wirklich sehr extrem. Ich würde sagen, wirklich extremer als in Nordkorea, und da kannte ich, wie es so läuft in einem totalitären System.
Burg: Es wäre mal interessant zu hören, was der DFB dazu sagt, wenn man mit dem nordkoreanischen Regime verglichen wird, aber das ist ein anderes Thema.
Cho: Ja, aber für mich war es wirklich in Nordkorea halt mehr Möglichkeit dagewesen. Weil die Erfahrungen so schlimm waren, war es für mich in Nordkorea doch nicht so schlimm, weil ich mit dem schlimmsten gerechnet habe und weil ich von Anfang an gedacht habe, ich werde drehen halt im Rahmen der Möglichkeiten, nicht da was Unmögliches versuchen. Damit kann ich nur Probleme verursachen. Das wollte ich auf keinen Fall und auf Augenhöhe mit Nordkoreanern diskutieren.

Traktoren sehr ordentlich aufgereiht

Burg: Ich finde auch Ihre Bilder sehr interessant. Ein Bild hat sich eingeprägt bei mir: In einem landwirtschaftlichen Kollektiv zeigen Sie so mehrere Traktoren nebeneinander, die sehr, sehr ordentlich aufgereiht sind. Alles ist ja sowieso sehr ordentlich und geplant. Inwieweit wollten Sie diese nordkoreanische Gesellschaftsordnung also auch ästhetisch umsetzen?
Cho: Ich glaube, diese Selbstinszenierung gehört irgendwie zu dem Land, und die Leute lernen sehr früh, sich selbst zu inszenieren und zur Schau stellen. Ich hoffe, dass die Zuschauer das auch mitkriegen und zwischen den Zeilen lesen können.
Burg: Sie reisen in eine Stadt, nach Wonsan, und sagen in Ihrem Kommentar, den man hört, dass es authentischer sei als Pjöngjang. Das Wort fand ich interessant, weil die Frage ja ist, was genau bedeutet jetzt in Nordkorea authentisch, ursprünglich, auf welche Wurzel bezieht man sich da?
Cho: Und da habe ich ganz konkret auf diese Bilder bezogen, die auf den Straßen zu sehen waren. Pjöngjang ist ja eine Musterstadt. Die ganze Stadt ist wie so Museum, stalinistisches Museum, aber in Wonsan haben wir einfach so auf den Straßen sehr viel Alltag gespürt, wie die Frauen, die Karren ziehen, in denen irgendwelche Gemüse oder auch Kohle zum Heizen transportiert haben und so weiter. Solche Bilder hatten wir in Pjöngjang nicht.
Burg: Sie zeigen auch wunderschöne Landschaftsbilder und sagen im Kommentar, dass Sie diese Bilder an Südkorea erinnern und dass Sie melancholisch werden. Was hat diese Reise mit Ihnen angestellt?
Cho: Ich hätte eigentlich sagen können – und sollen eigentlich –, dass ich sehr traurig wurde, aber traurig konnte ich nicht sagen aus Rücksicht.
Burg: Aus Rücksichtnahme.
Cho: Aus Rücksicht auf die Nordkoreaner, und da habe ich das Wort melancholisch gewählt, aber wenn die Südkoreaner diese Bilder sehen und meine Stimme hören, dann wissen Sie, dass ich sehr traurig wurde und weil sie auch die Bilder aus den 70er-Jahren Südkorea erkennen. Einerseits hat das Heimatgefühl und diese Bilder zu sehen, die in Südkorea verschwunden sind, aber gleichzeitig irgendwie diese Frage, warum seid ihr so zurückgeblieben, warum gibt es keine Industrialisierung und kaum Entwicklung, und hatte diese Trauer. Das Doppelgefühl war das und so weiter. Das konnte ich nicht erzählen.

"Die Nordkoreaner finden den Film ganz okay"

Burg: Werden die Südkoreaner denn den Film sehen?
Cho: Ich hoffe, aber wie es aussieht, wird es schwierig. Wir haben den Film auch nach Südkorea geschickt und eingereicht auf bestimmten Festivals, aber wir kriegen einfach keine Antwort, aber das wundert mich auch nicht, weil dieser Film ein anderes Bild von Nordkorea zeigt, und die meisten Filme über Nordkorea machen ja Nordkorea ein bisschen … was für ein schlimmes Land und Schurkenstaat und böse und so weiter, aber wir machen das nicht. Ja, sehr spannend, ob die Südkoreaner den Film sehen wollen oder nicht sehen wollen.
Burg: Und die Nordkoreaner?
Cho: Die Nordkoreaner finden den Film ganz okay, und das hat uns auch sehr erstaunt, und mittlerweile bin ich der Meinung, dass die meisten Nordkoreaner nicht in der Lage sind, zwischen den Zeilen zu lesen.
Burg: Bei uns kann man den Film jetzt sehen. Er kommt am Donnerstag in die Kinos. "Meine Brüder und Schwestern im Norden" heißt er. Die Regisseurin Sung-Hyung Cho, vielen Dank für Ihren Besuch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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