"Reine Objekte waren die Frauen sicher nicht"
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Seine Frauenbilder sind bis heute umstritten: Zum 100. Geburtstag des verstorbenen Fotografen Helmut Newton hat Regisseur Gero von Boehm einen Dokumentarfilm gedreht, in dem frühere Models von der Zusammenarbeit erzählen.
Der Fotograf Helmut Newton wäre heute 100 Jahre alt geworden. Er wurde in den 1970er-Jahren berühmt, weil er für Hochglanzmagazine und Modewerbung Frauen in provozierenden Posen fotografierte. Im Dokumentarfilm "The Bad und the Beautiful", der am 31. Oktober 2020 im Kultursender 3sat läuft, lässt der Regisseur Gero von Boehm nun Frauen zu Wort kommen, die mit Newton gearbeitet haben, darunter Grace Jones, Claudia Schiffer und Isabella Rossellini.
Aus der Perspektive der Frauen
"Reine Objekte waren die Frauen sicher nicht", sagt Boehm über die oft als sexistisch kritisierten Fotografien von Newton, mit dem er auch befreundet war. "Sie haben es freiwillig gemacht, sie haben sich sogar darum gerissen, von ihm fotografiert zu werden." Die Frauen hätten Vertrauen zu Newton gehabt, der zweifellos ein Gentleman gewesen sei. "Sie fühlten sich sicher, sie fühlten sich stark." Er lasse in seinem Dokumentarfilm bewusst nur Frauen erzählen.
"Alles, was fotografiert wird, ist Objekt", so Boehm. "Aber was Helmut Newton uns zeigt, sind eigentlich Subjekte, es sind starke Frauen." Das sei in fast jedem Bild des 2004 verstorbenen Fotografen zu spüren. "Er liebte wirklich die Frauen und er wollte uns die Frauen so zeigen, wie sie uns vorher tatsächlich noch niemand gezeigt hatte."
Radikale Bildsprache
Newtons Bildsprache sei damals sehr radikal gewesen, sagt der Filmemacher. "Allein die Perspektive, die er zum Beispiel in seinen berühmtesten Bildern wählt, wenn er diese großen Amazonen auf uns herabblicken lässt." Wenn man im Berliner Museum "Helmut Newton Foundation" die Treppe hochgehe, hingen dort diese mehrere Meter hohen Bilder. "Da kriegt man als Mann fast so ein bisschen Beklemmungen." Newton lasse die abgebildeten Frauen auf den Betrachter herabblicken. Newton habe sich dafür mit der Kamera auf den Boden gehockt und von unten fotografiert, damit dieser Eindruck entsteht. "Er wollte auch Männer verunsichern."
Die meisten Fotografien müssten im Zusammenhang ihrer Zeit gesehen werden, so Boehm. In den 1970er-Jahren habe es die sexuelle Revolution bereits gegeben und der nackte Körper sei kein Tabu mehr gewesen. "Das kam zusammen mit einer notwendigen Revolution in der Modefotografie." Bis dahin sei dort alles sehr lieblich und harmlos gewesen. "Jetzt war plötzlich Provokation angesagt", so Boehm. "Wer hätte das besser bedienen können als Helmut Newton."
Neue Modernität der Fotografien
Heute würden diese Bilder wohl nicht mehr in Auftrag gegeben werden und kein Magazin würde sie mehr drucken. "Aus Rücksicht auf bestimmte Empfindlichkeiten", sagt Boehm. Dabei werde aber oft verkannt, dass Newton der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten wollte. "Wenn Nadja Auermann da mit offenen Haaren auf einem Hotelbett liegt wie eine weggeworfene Barbiepuppe, dann will uns Newton sagen: Du behandelst deine Frau wie eine Barbiepuppe. Du willst, dass sie im Minirock rumläuft, aber sie ist eigentlich viel mehr." So interpretiere das Nadja Auermann selbst in seinem Film.
"Ich finde manchmal, die Bilder passen eigentlich sehr gut in unsere Zeit", sagt Boehm. Sie hätten wieder eine gewisse Modernität, auch in Zeiten von MeToo. "Die Frauen, die er uns zeigt, scheinen wirklich zu sagen: not me - komm mir nicht zu nah." Newton spiele mit Kategorien von männlich und weiblich, zeige androgyne Frauen. Der Fotograf habe sich selbst von seiner eigenen Frau mit High Heels und einem Damenhut auf dem Kopf ablichten lassen. "Das zeigt auch unser Filmplakat."
(gem)