"Warum haben wir nichts gemacht?"
Der Dokumentarfilm "Homs – ein zerstörter Traum" zeigt nicht nur den Syrien-Krieg, sondern auch, wie optimistisch die Proteste einst begannen. Produzent Hans Robert Eisenhauer erklärt die Idee des Films.
Susanne Führer: Heute Abend zeigt Arte einen in jeder Hinsicht besonderen Film über den Krieg in Syrien, der gerade beim Sundance-Filmfestival ausgezeichnet wurde. Titel des Films: "Homs – ein zerstörter Traum". Zu Gast im Studio ist der Produzent des Films, Hans Robert Eisenhauer – ich grüße Sie, Herr Eisenhauer.
Hans Robert Eisenhauer: Guten Tag!
Führer: Am Ende ist der Protagonist des Dokumentarfilms, Baset, zurückgekehrt nach Homs, das war 2013. Sein Onkel, sein Bruder wurden getötet, er verletzt – wissen Sie, wie es ihm heute geht, wo er ist?
Eisenhauer: Talal Derki, der Regisseur, hat die ganze Zeit über immer wieder Kontakt mit ihm gehabt, über Skype oder über Telefon, wenn es möglich war. Und er war auch immer mal wieder im Umfeld von Homs. Es geht ihm – wie soll man das sagen – den furchtbaren Umständen entsprechend gut. Er hat im Gegensatz zu vielen seiner Kameraden ein furchtbares Bombardement, was Ende Januar stattgefunden hat gegen das Headquarter, wo die Gruppe war, überlebt.
Im Augenblick, konkret wissen wir es nicht, aber Talal ist in Kontakt. Er lebt, aber natürlich in furchtbaren Umständen, weil die Bevölkerung ja jetzt auch raus konnte. Die Restbevölkerung, die noch in dem belagerten Teil der Stadt überlebt hatte. Es ist jetzt natürlich die Befürchtung, dass das Regime die allerletzten Skrupel verliert und noch brutaler bombt, als sie das eh schon gemacht haben.
Führer: Dieser Film, Herr Eisenhauer, das muss ich mal ganz persönlich vorweg sagen, hat mich sehr beeindruckt, und zwar gar nicht mal jetzt nur wegen der Kriegsbilder, sondern gerade auch wegen des Kontrastes. Ich hatte gar keine Vorstellung davon, wie fröhlich und wie optimistisch die Proteste anfangs waren. Man sieht diese Bilder, wie die Menschen auf den Straßen tanzen und singen. Und das ist drei Jahre her – so viel Hoffnung. Das fand ich eigentlich fast noch erschütternder als die Bilder der Zerstörung.
"Hier wurde getanzt und gesungen "
Eisenhauer: Als ich meinen Koproduzenten Orwa Nyrabia aus Damaskus, der in Homs geboren ist, kennengelernt habe, hat er mir erzählt, dass Homs eine Stadt ist, in der eigentlich immer fröhliche Tänze stattgefunden haben, die Menschen auch Witze erzählen, die sind offensichtlich mit einem besonderen Humor ausgestattet. Und das sieht man auch am Anfang in den Bildern, die sich komplett unterscheiden von dem, was in anderen Ländern in der sogenannten Arabellion passiert ist, wo eher laut gebrüllt wurde. Aber hier wurde getanzt und gesungen, und Baset ist ein junger Fußballstar gewesen, 19 Jahre alt, der auch in der Jugendnationalmannschaft gespielt hat als Torwart, und gleichzeitig war er ein ganz kreativer Sänger, der immer sozusagen fast wie ein Stand-up-Comedian agiert hat und seine Texte improvisiert hat, die er dann gesungen hat, die dann von der Masse übernommen worden sind.
Zu dem Zeitpunkt, als ich Orwa und den Regisseur Talal kennenlernte in Amsterdam bei einem Festival für Dokumentarfilm, war ja schon ein halbes Jahr fast vergangen seit dem Beginn, und da war schon eigentlich der Punkt erreicht, wo möglicherweise mit friedlichen Protesten eben nichts mehr zu erreichen war. Aber ich war total fasziniert von diesem jungen Mann, der mit 19 Jahren einen so unglaublichen Einfluss hatte.
Der war damals schon in Syrien ein Star und ist über YouTube und Al-Dschasira und andere Sender immer wieder erschienen und hat im Grunde – und deshalb war er auch einer der meist Gesuchten vom Regime. Sie haben ihn nicht getroffen, aber sie haben seine Familie schwer getroffen.
Führer: Ja. Und es gibt auch eine Stelle im Film, wo er sagt: Ich will nicht mehr, alle meine Freunde sind tot. Also, der Film beginnt mit diesen wirklich ansteckend fröhlichen Protesten in Homs, in Demonstrationen gegen Assad. Am Ende sehen wir die Bilder einer nahezu menschenleeren Stadt, in Ruinen, in Trümmern – Tote liegen auf der Straße, einzelne Panzer patrouillieren, es erinnert die Deutschen ein bisschen an 1945 hierzulande. Und Sie haben gesagt, der Baset hat so gesungen und so eine Ausstrahlung.
Das irgendwie Verrückte ist ja, er singt ja den ganzen Film hindurch. Und auch am Ende gibt es fröhliche Gesichter, wo er dann mit seinen Kameraden – er war kurz raus aus Homs, weil er verletzt war, zurückfährt in diese belagerte Stadt, und sitzt da auf der Ladefläche, strahlt und singt, ich werde ein Märtyrer sein, das ist die höchste Ehre. Da wird einem doch ein bisschen anders, oder?
"Die Bomben kamen dann erst später dazu"
Eisenhauer: Ja. Als wir begonnen haben zu diskutieren, Orwa Nyrabia, Talal und ich, da haben wir natürlich nicht gewusst, wie sich das Ganze jetzt entwickelt innerhalb der Stadt, und auch in Syrien insgesamt. Die Idee war, dass wir beobachten, wie sich diese Auseinandersetzung sich entwickelt, wie sich aber auch die Menschen entwickeln, die diese Auseinandersetzung als Protagonisten sozusagen begleiten und bestimmen. Und es war da schon klar, dass aus den pazifistischen Gesängen und Demonstrationen irgendwann tatsächlich Gewalt sich entwickelt, weil das Regime geantwortet hat sofort mit Panzern beziehungsweise mit Scharfschützen an allen Ecken und mit Checkpoints und Bedrohungen.
Die Bomben kamen dann erst später dazu. Es hat sich etwas entwickelt, dadurch, dass niemand von außen sozusagen zu Hilfe kam. Dadurch, dass die UNO ein paar Blauhelme geschickt hat, die nichts ausrichten konnten, kam in den jungen Leuten, mit zunehmend Blutzoll natürlich, die Vorstellung auf, wir haben niemanden anders als unseren Gott, und dem müssen wir jetzt folgen. Es hat eine Tendenz stattgefunden zu einfach mehr brutaler Gewalt, aber auch natürlich zu mehr Glaube, zu mehr Islamismus, wenn man so will, weil die Moschee war letztlich auch der einzige Rückzugsort für sie, der noch geblieben ist. Und am Ende ist eigentlich so Basets Vorstellung – und das hat das letzte Interview, das Talal Derki mit ihm außerhalb von Homs nach seiner letzten schweren Verletzung geführt hat – am Ende sagt er ja, nicht die Toten sind zu bedauern, sondern wir sind zu bedauern.
Und letztendlich will dieser mittlerweile 21-jährige, junge, charismatische Mann ein Märtyrer werden, das heißt, er begeht, so traumatisiert, wie er ist, einen langsamen Suizid, indem er glaubt, er muss den Menschen dort helfen und muss seine Stadt, in der er geboren ist, und sein Viertel, in dem er aufgewachsen ist, beschützen. Das ist ein traumatisches Ende, und es wird überspielt durch diese gute Laune, die er da ausstrahlt, die aber nicht wirklich gute Laune ist. Es ist einfach so was wie eine Hoffnung, jetzt muss es sein, jetzt wollen wir endlich die Besatzung oder die Belagerung überwinden.
Führer: Dieser Film ist ja in mehrerer Hinsicht besonders. Erstens, weil er in Homs gedreht wurde, zweitens, weil er Baset und seinen Freunden über zwei Jahre folgt und man eben diese Entwicklung sehen kann. Vordergründig ist es ja nur ein Film über Homs, über eine Stadt, die systematisch zugrunde gerichtet wird. Aber im Grunde genommen ist es ja auch ein Film über uns, über den Rest der Welt, der nichts unternimmt.
"Warum ist das jetzt schon drei Jahre alt?"
Eisenhauer: Es ist ein Film auch natürlich über uns, weil die westliche Welt oder der Rest der Welt sich um diesen grauenhaften Konflikt und die zunehmenden Massaker, die passiert sind, letztlich nicht wirklich gekümmert haben. Da gab es natürlich immer wieder Ermahnungen, Protest und was weiß ich. Es hat aber nie so etwas stattgefunden wie in Libyen beispielsweise, dass also eine Flugverbotszone eingerichtet wurde. Schon im Winter 2011/2012 haben alle Demonstranten, nicht nur in Homs, auch in anderen großen Städten in Syrien, und auch die Opposition, die ja pazifistisch ist, also die Auslandsopposition gefordert, dass eine Flugverbotszone eingerichtet wird, nachdem das Assad-Regime sich entschieden hat, auf die eigenen Leute Bomben zu werfen und Hubschrauber loszuschicken und die Städte und die Menschen zu zerstören.
Dieses Gefühl, das hat man schon, wenn man den Film anschaut: Was haben wir eigentlich gemacht? Warum haben wir nichts gemacht, warum ist nichts geschehen? Warum ist das jetzt schon drei Jahre alt?
Führer: Das sagt Hans-Robert Eisenhauer. Er ist einer der Produzenten des Dokumentarfilms "Homs – ein zerstörter Traum" – der läuft heute Abend um 20:15 auf Arte. Und ich danke Ihnen sehr für Ihren Besuch im Studio, Herr Eisenhauer!
Eisenhauer: Danke schön!
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