Dokumentierte Schicksale
Otto Weidt betrieb bis in die 40er Jahre eine Blindenwerkstatt in Berlin. Für seine jüdischen Mitarbeiter setzte er sich unerschrocken ein und konnte viele von ihnen vor dem Tod bewahren. Nun wurde in den ehemaligen Räumen der Werkstatt eine Ausstellung eröffnet, die den Lebensweg von zahlreichen Mitarbeitern dokumentiert.
Auf den ersten Blick zeigt das Gruppenfoto eine ganz normale, zusammengewürfelte Belegschaft. Männer in Anzug und Krawatte, einige im Arbeitskittel oder mit vorgebundener Schürze. Die Frauen in Rock und Bluse oder im Kleid. Die meisten lächeln freundlich und gelöst in die Kamera. Ohne das Schild im Vordergrund mit der Aufschrift "Blindenwerkstatt Otto Weidt" könnte es eine völlig unverfängliche Aufnahme sein. Doch in Wahrheit dokumentiert das Foto aus dem Jahr 1941 eine grausame Geschichte, erläutert der Direktor der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel:
"Wir kennen von den etwa 40 Menschen, die darauf zu sehen sind, 19 Schicksale und die meisten davon sind 1942 oder 1943 nach Auschwitz oder Theresienstadt deportiert worden und dort umgebracht worden. Wir haben zum ersten Mal in dieser Ausstellung nicht nur dieses Gruppenfoto, sondern wir haben auch versucht, die Schicksale bis zur Deportation der Menschen zu rekonstruieren, die wir auf dem Bild kennen und es ist das erste Mal, dass wir in Deutschland eigentlich einen Ort haben, an dem wir Angehörige einer Firma zeigen, die komplett so deportiert worden sind, mit ihren Schicksalen."
Das kleinen Museum in Berlin Mitte, von dem zuvor nur wenige Räume geöffnet waren, erstreckt sich jetzt über den gesamten Seitenflügel im ersten Stock. Dort befanden sich einst die kleinen Werkräume mit den winzigen Arbeitstischen, die fast aussehen wie aus einer Puppenstube. Dort entstanden die Bürsten und Besen, die Otto Weidt für die Wehrmacht produziert und auf dem Schwarzmarkt verkauft hat. Bei dem hageren, gutaussehenden Mann fanden verfolgte Juden Unterschlupf und Geborgenheit, erinnert sich die Schriftstellerin Inge Deutschkron:
"Ich wurde also hierher empfohlen zu Otto Weidt. Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Mann ist, nichts. Ich war 19 Jahre alt und ging etwas zögerlich hier die Treppe rauf, und da saß dieser Mann vor mir, hager, blind, mit ganz großen Händen, eine ungewöhnliche Gestalt und der war sofort sehr interessiert an mir, ließ mich erzählen, und dann hat er gleich gesagt, hör mal zu, morgen versuch ich ein paar Leute von euch anzustellen, komm in das Arbeitsamt für Juden in der Fontanepromenade Nr. 15."
Die Ausstellung rekonstruiert den Lebensweg von 19 Mitarbeitern. Mit Fotos, Briefen und Dokumenten. Die Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem hat Original-Postkarten zu Verfügung gestellt, die beispielsweise die Sekretärin von Otto Weidt, Alice Licht, aus dem Getto Theresienstadt an ihren Chef geschickt hatte. Der Absender "Alice Licht, geborene Sorge", war eine verdeckte Botschaft: sie sollte bedeuten: ich bin voller Sorge... Otto Weidt verstand die Nachricht, und es gelang ihm, seine Mitarbeiterin wieder freizubekommen....
"Er ging zu Gestapo, machte furchtbaren Skandal, und sagte, 'wie soll ich denn meinen Aufträge für die Wehrmacht ausführen, wenn Sie mir meine Arbeiter wegnehmen'. Und das hat denen eingeleuchtet. Und dann natürlich auch das Paket unterm Arm. Also das ging ne ganze Zeit so und alle haben gedacht, der Otto wird es schon machen."
Ein Paket hatte Otto Weidt meistens unter Arm, wenn er Behördengänge machte. Darin befanden sich Lebensmittel, die er dezent bei den Beamten vergaß, erzählt Inge Deutschkron. Und wahrscheinlich waren diese Pakete ihm auch dabei behilflich, dass sein Besen- und Bürstenbetrieb als "wehrwichtig" eingestuft worden war.
Doch es galt auch, viele Niederlagen zu verkraften. Inge Deutschkron erinnert sich noch lebhaft an den Tag, als die Gestapo mit einem Möbelwagen anrückte, um die gesamte Blindenbelegschaft abzuholen:
"Na, ich kann Ihnen sagen, das war eine Atmosphäre, die ist unvergesslich. Diese blinden Menschen, normalerweise hatten sie sehende Frauen, die sie brachten und holten und jetzt waren sie ganz allein. Ich sag ihnen, hier war kein Mucks. Die haben ihre Sachen zusammengenommen, das war unglaublich. Bis auf die Rosie Katz, die Sie auch auf dem Bild sehen können, die rief, 'ich hab ja gar keine warme Jacke, für die Reise', also das war entsetzlich. Und wir mussten zugucken, wie das geschah."
Auch diese Deportation konnte Otto Weidt noch in letzter Minute abwenden. Dank der Pakete und seiner mutigen Auftritte bei der Geheimen Staatspolizei. Aber 1943 war endgültig Schluss. Berlin sollte - wie es damals hieß - "judenrein" werden, und Otto Weidt hatte keine Chance mehr, den Betrieb fortzuführen.
Die drei letzten kleinen Räume haben die Ausstellungsgestalter nur minimal renoviert. An den Wänden sieht man noch die alte Farbe von damals. An der Decke Wasserflecken, Risse und Löcher im Putz. Hier befand sich einst das Material-Lager. Und heute dokumentieren diese Räume geglückte und gescheiterte Rettungsversuche, so Museumsdirektor Johannes Tuchel.
"Und ich denke, das macht auch das besondere an dieser Ausstellung aus, es ist der einzige Ort in Deutschland, der so umfassend an einem Beispiel über die Möglichkeiten der Hilfe für verfolgten Juden informiert wird."
"Wir kennen von den etwa 40 Menschen, die darauf zu sehen sind, 19 Schicksale und die meisten davon sind 1942 oder 1943 nach Auschwitz oder Theresienstadt deportiert worden und dort umgebracht worden. Wir haben zum ersten Mal in dieser Ausstellung nicht nur dieses Gruppenfoto, sondern wir haben auch versucht, die Schicksale bis zur Deportation der Menschen zu rekonstruieren, die wir auf dem Bild kennen und es ist das erste Mal, dass wir in Deutschland eigentlich einen Ort haben, an dem wir Angehörige einer Firma zeigen, die komplett so deportiert worden sind, mit ihren Schicksalen."
Das kleinen Museum in Berlin Mitte, von dem zuvor nur wenige Räume geöffnet waren, erstreckt sich jetzt über den gesamten Seitenflügel im ersten Stock. Dort befanden sich einst die kleinen Werkräume mit den winzigen Arbeitstischen, die fast aussehen wie aus einer Puppenstube. Dort entstanden die Bürsten und Besen, die Otto Weidt für die Wehrmacht produziert und auf dem Schwarzmarkt verkauft hat. Bei dem hageren, gutaussehenden Mann fanden verfolgte Juden Unterschlupf und Geborgenheit, erinnert sich die Schriftstellerin Inge Deutschkron:
"Ich wurde also hierher empfohlen zu Otto Weidt. Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Mann ist, nichts. Ich war 19 Jahre alt und ging etwas zögerlich hier die Treppe rauf, und da saß dieser Mann vor mir, hager, blind, mit ganz großen Händen, eine ungewöhnliche Gestalt und der war sofort sehr interessiert an mir, ließ mich erzählen, und dann hat er gleich gesagt, hör mal zu, morgen versuch ich ein paar Leute von euch anzustellen, komm in das Arbeitsamt für Juden in der Fontanepromenade Nr. 15."
Die Ausstellung rekonstruiert den Lebensweg von 19 Mitarbeitern. Mit Fotos, Briefen und Dokumenten. Die Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem hat Original-Postkarten zu Verfügung gestellt, die beispielsweise die Sekretärin von Otto Weidt, Alice Licht, aus dem Getto Theresienstadt an ihren Chef geschickt hatte. Der Absender "Alice Licht, geborene Sorge", war eine verdeckte Botschaft: sie sollte bedeuten: ich bin voller Sorge... Otto Weidt verstand die Nachricht, und es gelang ihm, seine Mitarbeiterin wieder freizubekommen....
"Er ging zu Gestapo, machte furchtbaren Skandal, und sagte, 'wie soll ich denn meinen Aufträge für die Wehrmacht ausführen, wenn Sie mir meine Arbeiter wegnehmen'. Und das hat denen eingeleuchtet. Und dann natürlich auch das Paket unterm Arm. Also das ging ne ganze Zeit so und alle haben gedacht, der Otto wird es schon machen."
Ein Paket hatte Otto Weidt meistens unter Arm, wenn er Behördengänge machte. Darin befanden sich Lebensmittel, die er dezent bei den Beamten vergaß, erzählt Inge Deutschkron. Und wahrscheinlich waren diese Pakete ihm auch dabei behilflich, dass sein Besen- und Bürstenbetrieb als "wehrwichtig" eingestuft worden war.
Doch es galt auch, viele Niederlagen zu verkraften. Inge Deutschkron erinnert sich noch lebhaft an den Tag, als die Gestapo mit einem Möbelwagen anrückte, um die gesamte Blindenbelegschaft abzuholen:
"Na, ich kann Ihnen sagen, das war eine Atmosphäre, die ist unvergesslich. Diese blinden Menschen, normalerweise hatten sie sehende Frauen, die sie brachten und holten und jetzt waren sie ganz allein. Ich sag ihnen, hier war kein Mucks. Die haben ihre Sachen zusammengenommen, das war unglaublich. Bis auf die Rosie Katz, die Sie auch auf dem Bild sehen können, die rief, 'ich hab ja gar keine warme Jacke, für die Reise', also das war entsetzlich. Und wir mussten zugucken, wie das geschah."
Auch diese Deportation konnte Otto Weidt noch in letzter Minute abwenden. Dank der Pakete und seiner mutigen Auftritte bei der Geheimen Staatspolizei. Aber 1943 war endgültig Schluss. Berlin sollte - wie es damals hieß - "judenrein" werden, und Otto Weidt hatte keine Chance mehr, den Betrieb fortzuführen.
Die drei letzten kleinen Räume haben die Ausstellungsgestalter nur minimal renoviert. An den Wänden sieht man noch die alte Farbe von damals. An der Decke Wasserflecken, Risse und Löcher im Putz. Hier befand sich einst das Material-Lager. Und heute dokumentieren diese Räume geglückte und gescheiterte Rettungsversuche, so Museumsdirektor Johannes Tuchel.
"Und ich denke, das macht auch das besondere an dieser Ausstellung aus, es ist der einzige Ort in Deutschland, der so umfassend an einem Beispiel über die Möglichkeiten der Hilfe für verfolgten Juden informiert wird."