Dominique Goblet: "so tun als ob heißt lügen"
Aus dem Französischen von Annika Wisniewski
Avant Verlag, Berlin 2017
148 Seiten, 29,95 Euro
Lug, Trug und Spuk
Vom eigenen Leben erzählen Autoren in vielen Romanen, aber auch in Graphic Novels. Jetzt ist eine Autobiografie im Comicformat erschienen, die ein besonderes, eigenartiges Buch ist: "so tun als ob heißt lügen" von der belgischen Zeichnerin Dominique Goblet.
Autobiografische Bücher waren enorm wichtig für die Entwicklung der modernen Graphic Novel. Art Spiegelmans "Maus"-Comics gehören in diese Reihe, Marjane Satrapis "Persepolis" oder die eindrucksvolle, vom Berliner Zeichner Mawil veröffentlichte Graphic Novel "Kinderland". Eine der ungewöhnlichsten "Memoirs" im Comicformat ist 2007 in Belgien erschienen, jetzt gibt es dieses Buch endlich auch bei uns: "so tun als ob heißt lügen" von Dominique Goblet.
Die belgische Zeichnerin und Autorin Dominique Goblet hat mehr als zehn Jahre lang an diesem Buch gearbeitet und in dieser langen Zeit einen faszinierenden Formenmix für ihre Erzählung entwickelt. Goblet setzt sich darin mit ihren Eltern auseinander, vor allem mit ihrem Vater, einem ehemaligen Feuerwehrmann, einem Trinker und notorischen Lügner. Ihre Mutter taucht nur kurz auf, aber dafür um so beeindruckender: als Zauberin, die die zerrissenen Strumpfhosen der kleinen Dominique auf magische Weise wieder ganz machen kann; aber auch als entnervte Frau, die ihre Tochter drastisch und mit großem Erfindungsreichtum bestraft.
Verblüffende Kühnheit
Einen zweiten Erzählungsstrang bildet die Geschichte von Dominique und ihrem Freund Guy Marc. Der hat seine vorhergehende, langjährige Liebe noch nicht hinter sich gelassen, deshalb spukt die Exfreundin als fahler Geist durch die Szenen der neuen Beziehung zu Dominique, schaut Guy über die Schultern, überlagert sein Gesicht. Auf zwischengeschalteten, schwarz grundierten Seiten weht ihr heller Schatten wie eine mal näher, mal ferner rückende Erscheinung durch die Geschichte.
Solche Einfälle machen Dominique Goblets Buch zur Ausnahmeerscheinung. Sie nutzt mit verblüffender Kühnheit alle Gestaltungsmöglichkeiten einer Graphic Novel. Die Schrift spielt dabei eine ungewöhnlich große Rolle: flüssige oder völlig ungelenke Buchstaben, unterschiedliche Größen und Schrifttypen, auf und ab flatternde Zeilen - das sind wesentliche Gestaltungsmittel des Buches, deshalb hat Dominique Goblet auch bei der deutschen Ausgabe die Schrift selbst gestaltet.
Totenkopfmaske und Marienthron
Viele ihrer Figuren schwanken wie ungelenk gemalte Kinderzeichnungen über die Seiten, einige sind beängstigend verzerrt. Die neue Frau an der Seite des Vaters trägt eine Totenkopfmaske, ein weiterer Kommentar zum Verhältnis zwischen Tochter und Stiefmutter ist dann nicht mehr nötig. Ihr Vater will einmal in einer großen Verteidigungsrede klarmachen, wie sehr er sich doch um seine Tochter gekümmert habe. Die Zeichnerin Dominique Goblet postiert ihn für diese Rede auf einem mittelalterlichen Marienthron und setzt seine Rede in Buchstaben aus alten Bibelhandschriften. Die verlogene Selbstüberhöhung des Vaters wird damit ins Bild gesetzt, sein gütiger Blick und sein melancholischer Schnauzbart zeigen aber auch die andere Seite der Geschichte: die der Liebe zwischen Vater und Tochter.
Solche Ambivalenzen unmittelbar aus den Bildern hervortreten zu lassen, das gehört zu großen Qualitäten dieser sehr besonderen Graphic Novel.