"Er ist ein richtiges Stehaufmännchen"
Der Zeichner und Schriftsteller Gerhard Seyfried sieht in den Donald Duck-Comics einen literarischen Wert, der viele Generationen in vielen Ländern beeinflusst habe. Die Comic-Figur existiert am Pfingstmontag seit 80 Jahren.
Klaus Pokatzky: Wer kann von sich schon sagen, dass er mit 80 Jahren noch genauso frisch und fesch aussieht wie an dem Tag, als er zur Welt gekommen ist? Und zwar am 9. Juni 1934! Da hatte Donald Duck sine erste Rolle in dem Kurztrickfilm "The Wise Little Hen", "Die kluge kleine Henne" von Walt Disney. Eine Nebenrolle war das nur, aber es war der Beginn eines kometenhaften Aufstieges durch permanente Abstiege. Donald, der Dauerverlierer zog in der Gunst des Publikums weltweit vorbei an der Inkarnation des Spießbürgers namens Micky Maus. Gerhard Seyfried hat drei historische Romane geschrieben, davor wurde er aber schon vor Jahrzehnten bekannt als Zeichner von Comicgeschichten mit knollennasigen Berliner Polizisten, die punkige Hausbesitzer jagen. Willkommen im Studio!
Gerhard Seyfried: Danke!
Pokatzky: Jetzt vielleicht erst mal was ganz Wichtiges: Sagen Sie eigentlich Donald Duck oder Donald Dack?
Seyfried: Eher Dack.
Pokatzky: Dack! Ich habe Duck gelernt, ich komme auch aus dem Ruhrgebiet. Aber in München, wo Sie geboren sind 1948, also Dack. Wann trat denn Donald in Ihr Leben?
Seyfried: Schwer zu sagen, ich schätze mal, sobald ich lesen konnte.
Englisch lernen mit Donald Duck
Pokatzky: Und erinnern Sie sich noch irgendwie so an ... Bei mir war es so, ich habe ihn gesehen und dann so nach und nach dann schon vor der Schule angefangen, die ersten Buchstaben zu lernen dadurch. Ich habe wirklich schon vor der Schule mit ihm Lesen gelernt.
Seyfried: Ja, das muss ähnlich gewesen sein bei mir. Die ersten Comics bei mir waren Salamander-Comics, diese Schuh-Comics, die sehr schön waren, und dann kam alles Mögliche. Und schließlich kam Donald Duck irgendwie und der blieb dann ganz oben auf meiner Favoritenliste.
Pokatzky: Haben wir mit ihm nicht nur Lesen gelernt, sondern haben wir vielleicht auch gelernt, mit ihm die Welt zu bereisen?
Seyfried: Ich habe mit ihm auf jeden Fall Englisch gelernt, als ich sie im Original lesen wollte. Und ja, wenn man so zurückblickt auf all die Jahre, in denen man "Donald Duck" gelesen hat, das wird einem tatsächlich das Leben erklärt mit seinen Höhen und Tiefen. Und auch die Art, das hinzunehmen. Nämlich mit Humor!
Pokatzky: Mit den Höhen und Tiefen kommt ja auch so eine Identifikationsfigur, gerade auch für Kinder. Also, er, der Erwachsene scheitert dauernd und die Neffen Tick, Trick und Track, die Kinder siegen am Ende immer und helfen Donald und anderen aus der Patsche. Ist das so für Kinder in dem Alter, wenn sie gerade vielleicht so die ersten Buchstaben lernen, auch eine unheimliche Hilfe?
Seyfried: Ja! Also, Kinder im Tick-Trick-und-Track-Alter, die waren mir eigentlich genauso wichtig wie Donald selber. Eher noch wichtiger, als ich selber klein war. Und man hat sie natürlich bewundert, weil sie immer cleverer waren als er und alles wieder in Ordnung gebracht haben, was Donald verpatzt hat.
Pokatzky: Und sie sind ja jetzt auch ... Ich meine, Donald ist ja schon Anarchist, aber die drei sind ja eigentlich auch noch heftige Anarchisten, obwohl sie da in diesem Fähnlein Wieselschweif als Pfadfinder tätig sind. Hat das auch was Politisches irgendwie?
"Ohne Erika Fuchs wären die nie so ein durchschlagender Erfolg geworden"
Seyfried: Die sind teilweise auch ganz schön spießig, Tick, Trick und Track, also, die sind nicht durchgehend anarchistisch. Ihr Anarchismus bezieht sich auf ihren Onkel als Staatsoberhaupt, dem sie alle möglichen Fallen stellen, und wie sie sich um die Schule drücken, auch ein Dauerthema da. Aber sie sind teilweise richtig spießig, muss man auch sagen.
Pokatzky: Welche Werte hat Donald uns denn vermittelt? Donald hat uns doch eher weniger spießige Werte vermittelt, oder?
Seyfried: Na ja, was er uns vermittelt hat, ist, dass er sich nie unterkriegen lässt und immer wieder aufsteht. Er ist ein richtiges Stehaufmännchen bei all den Pleiten, die er erlebt oder verschuldet.
Pokatzky: Tick, Trick und Track, Zitat: "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr!" – Das war frei nach Friedrich Schiller, die grandiose Übersetzerin Erika Fuchs. Was haben wir der zu verdanken? Vor ein paar Jahren ist sie gestorben.
Seyfried: Ich glaube, ohne Erika Fuchs wären die nie so ein durchschlagender Erfolg geworden in Deutschland. Die Übersetzungen sind großartig und unerreicht.
Pokatzky: Wenn Sie da mal denken an das englische Original, das Sie ja schon als Kind gelesen haben, und dann Erika Fuchs, was war da der große Unterschied?
Seyfried: Die waren auf ihre Art auf Englisch genauso lustig, irgendwie mit Wortwitz und so. Aber was Erika Fuchs dazugegeben hat, da fehlen mir eigentlich die Worte. Das ist ein derartiger Sprachwitz und derart liebevoll gemacht und auch verrät er große Bildung auf allen Gebieten bei ihr! Und sie ist auch schuld an der Wortwitzweite von mir.
Pokatzky: Und dann wollen wir jetzt, bevor wir die Worte verlieren, die Worte von Erika Fuchs hören!
Seyfried: Ja!
Erika Fuchs: Sicher kann man heute sagen, das haben Hunderttausende von Kindern gelesen, die vielleicht sonst gar nicht gelesen hätten, weil die Zeichnungen ... Kinder sind ja optisch sehr viel begabter, und Zeichnung und Text zusammen, das ist für Kinder einfacher. Ich habe mir zwar nicht die Kinder als Ziel vorgestellt, sondern habe frischweg übersetzt, wie ich es am schicksten fand, und habe mir gesagt, wenn ein Kind etwas nicht versteht, ein Fremdwort oder eine Anspielung, dann kann es fragen und lernt etwas dazu. Und wenn es es nicht interessiert, dann macht es auch nichts aus, hat jedenfalls keinen Schaden davon.
Pokatzky: Erika Fuchs, die legendäre Übersetzerin der Welt von Entenhausen ins Deutsche. Im Deutschlandradio Kultur gratulieren wir mit dem Schriftsteller und Zeichner Gerhard Seyfried Donald Duck zum 80. Was wir jetzt von Erika Fuchs gehört haben, Kindern hat es wirklich nicht geschadet. Konnten wir deshalb auch so gut mit Donald erwachsen werden?
Seyfried: Ja, möglicherweise. Jedenfalls hat das Erwachsenwerden Spaß gemacht mit ihm.
Pokatzky: Wie hat Donald denn den Zeichner Seyfried beeinflusst?
Seyfried: Er ist einer von zwei Carl Barks, wenn es um Donald Duck geht, dann ist er ...
Pokatzky: Dem legendären Zeichner, dem legendären ...
Seyfried: Und der hat mich natürlich sehr beeinflusst mit einigen anderen zusammen. Aber was mir am besten gefiel bei Carl Barks und bei den "Donald"-Geschichten speziell, ist die Kunst der Eskalation in der Geschichte, wie er die aus irgendwelchen banalen Alltagserlebnissen zu ungeheuren Katastrophen teilweise steigert! Das ist wirklich bewundernswert!
Donald der Anarchist gegen den Kapitalisten Dagobert
Pokatzky: Heißt das, wir finden Donald dann auch bei Gerald Seyfried irgendwo in Knollennasen wieder, oder Dagobert?
Seyfried: Na ja, man müsste Knollenschnäbel zeichnen, das ist was ganz anderes! Aber natürlich ist er einer meiner Gründerväter, um es mal so auszudrücken, und steckt drin irgendwie.
Pokatzky: Wie wichtig war dabei, dass es da jetzt auch so dieses Gegenüberstellen von Donald, dem Anarchisten, und Dagobert, dem Kapitalisten gab?
Seyfried: Na ja, das ist ein guter dramaturgischer Trick. Weil das natürlich ein Konflikt, ein ständiger Konflikt ist, den man immer wieder ausspielen kann, genauso wie den Konflikt zwischen den Kindern und ihm, die Kinder spielen manchmal Vermittlerrolle Dagobert gegenüber.
Pokatzky: Wir müssen natürlich jetzt über ein Thema reden: Donald und die Frauen. Sex kommt da gar nicht vor!
Seyfried: Ja, da gibt es diesen amerikanischen Moral Code, Comic Moral Code, deswegen heißen die Onkel und Tante und die Kinder sind Neffen, weil, es durften Vater, Mutter, Söhne durfte nicht erwähnt werden, weil, die Leser hätten Rückschlüsse auf Sex ziehen können dadurch. Deswegen war das verboten.
Pokatzky: Das heißt, können wir davon ausgehen, Daisy und Donald haben diese Tick, Trick und Truck doch auf die Welt gebracht?
Seyfried: Das wird nicht zugegeben, bis heute nicht. Wären illegale Neffen!
Pokatzky: Wir glauben das aber!
Seyfried: Uneheliche Neffen, wollte ich sagen!
Pokatzky: Was ist denn zu seinen Erziehungsmethoden zu sagen gegenüber Tick, Trick und Track?
Seyfried: Na ja, er hat einen sehr hohen Blutdruck, das kommt in mehreren Geschichten vor. Donald dreht schnell durch. Eine der schönsten Geschichten ist die, wo sie ... die mit dem Skispringen, wo Donald der beste Skispringer der Welt werden will und die Kinder sabotieren das und filmen ihn dann am Schluss dabei, wo ihm dann ... Erst lacht er über alles, was sie gemacht haben, aber wie er sich dann selber im Fernsehen sieht, platzt ihm der Kragen und dann kommt der übliche Schluss, wie er mit der Rute in der Hand hinter ihnen herrennt Richtung Timbuktu.
Pokatzky: Die "Welt am Sonntag" hat den holländischen "Duck"-Zeichner Daan Jippes und den Thriller-Autor Frank Schätzing interviewt zu Donalds Geburtstag. Und Frank Schätzing hat gesagt, also, der auch mit Donald lesen gelernt hat: Als ich Jahre später die "Buddenbrooks" las, erschien mir Barks Entenhausen wie die Parallelwelt dazu. Glanz und Elend des Familienlebens, alles vorhanden! – Ist Donald also auch wirklich richtige Literatur?
Seyfried: Ja, würde ich durchaus sagen. Auf jeden Fall vom Umfang seines Einflusses her, auf ganze Generationen in vielen Ländern.
"Comic zeichnen ist ein teures Hobby"
Pokatzky: Wenn wir jetzt noch reden über Einfluss auf Generationen: Welches Interview könnten wir machen, wenn Donald 100 wird, also in 20 Jahren? Der holländische "Duck"-Zeichner Daan Jippes hat gesagt, was so die Zukunft überhaupt von Comics angeht, die Auswirkungen der Digitalisierung haben die Verlagswelt erschüttert, wohin das führt, ist nicht absehbar. Der Markt für gedruckte Comics bricht in sich zusammen, das ist angsteinflößend. – Wie viel Angst macht das dem Zeichner Gerhard Seyfried?
Seyfried: Mir macht das keine Angst, aber ich muss sagen, dass ich das auch so sehe. Comicmarkt ist buchstäblich keiner mehr, Comic zeichnen ist ein teures Hobby.
Pokatzky: Warum eignet sich das nicht für Apps oder irgendwelche anderen digitalen Konsumverhalten?
Seyfried: Das tut es auch, es gibt eine Menge Comic-Apps inzwischen. Wir haben selber Apps gemacht, meine Kollegin Ziska und ich.
Pokatzky: Und die liefen?
Seyfried: Nee, kann man nicht sagen.
Pokatzky: Also, Comic wollen wir in der Hand halten?
Seyfried: Ja. Es sollte eigentlich auf Papier sein und das klassische Heftchen. Aber das macht kein Verlag mehr.
Pokatzky: Gerhard Seyfried, Donald hätte jetzt gesagt, nämlich in der "Weihnachtsgans": Alle Punkte auf meiner Liste sind getreulich erledigt und ordnungsgemäß abgehakt! – Vielen Dank!
Seyfried: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.