Donald Ray Pollock: Die himmlische Tafel
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2016
430 Seiten, 20 Euro
Sie sind männlich, weiß, hinterwäldlerisch
"Die himmlische Pforte" sei ein gleichermaßen brutaler wie komischer Roman, meint unser Literaturkritiker Gerrit Bartels. Der amerikanische Autor Donald Ray Pollock skizziere in seinem Buch Figuren, die an die Wähler von Donald Trump erinnerten - doch der Roman spielt in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.
Man muss dieser Tage natürlich ein wenig vorsichtig sein, was die vielen Verweise auf eben jene US-Literatur betrifft, in der das so genannte Trump-Amerika porträtiert wird, also die lange Zeit vergessene, abgehängte Wählerschaft von Donald Trump.
Hier die Bücher von Richard Yates, dort die von John Cheever, hier die des Südstaaten-Krimischreibers James Lee Burke, dort die von Schauerroman-Autoren und Apokalyptikern wie Daniel Woodrell oder Cormac McCarthy. Spuren gibt es da sicher viele, manchmal wirkt es aber auch etwas bemüht, viele dieser Bücher als Blaupausen des Trumpismus zu lesen.
Nicht auf der Sonnenseite der USA
Im Fall von Donald Ray Pollocks Roman "Die himmlische Tafel" ist das jedoch ohne weiteres angebracht, selbst wenn dieser 1917 spielt, in dem Jahr, in dem die USA in den Ersten Weltkriegs eingetreten sind. Doch es ist dies eben auch eine Zeit des Übergangs, des rasanten, insbesondere technischen Fortschritts: Aus Plumpsklos werden Wasserklosetts, das Auto tritt via Henry Ford seinen Siegeszug an und ersetzt die Pferde - und Stallburschen wie der 57 Jahre alte Chester Higgenbotham machen sich so ihre Gedanken, wie es weitergehen soll. Sie sind zu alt, "um noch etwas Neues anzufangen, aber auch zu pleite, um sich zur Ruhe zu setzen".
Chester Higgenbotham ist nur eine von vielen auf- und wieder abtretenden Nebenfiguren in Pollocks Roman, er spielt keine größere Rolle. Doch bis auf einige wenige Ausnahmen und inklusive der Hauptfiguren weisen sie alle - eben bis in die Gegenwart reichende - Gemeinsamkeiten auf: Sie sind männlich, weiß, hinterwäldlerisch und stehen nicht gerade auf der Sonnenseite der US-Gesellschaft.
Diese residiert in "Die himmlische Tafel" weit ab von Ostküste und Westküste, an der Grenze der Südstaaten Alabama und Georgia und im Verlauf der Handlung vor allem in Ohio, in der Umgebung des Ohio River und der fiktiven Großstadt Meade, vermutlich Columbus: "Die Bürgersteige quollen schier über vor Menschen, und die Straßen waren voll mit jeder erdenklichen Art Pferd, Maultier, Automobil und Kutschwagen. Hundertlei Geräusche erfüllten die saure, leicht chemisch riechende Luft."
Banken ausraubende und mordende Outlaws
Pollock beginnt seinen zunehmend turbulenter werdenden Roman zunächst langsam und ruhig mit zwei Erzählsträngen. Zum einen mit den drei Brüdern Cane, Cob und Chimney sowie deren Vater Pearl, die sich als umherfahrende Landarbeiter verdingen; zum anderen mit dem Ehepaar Ellsworth und Eula Fiddler, ebenfalls einfache Landleute, aber mit Haus und Hof, deren 16-jähriger Sohn Eddie gerade ausgebüchst ist. Wie es heißt, soll er in einem Armee-Ausbildungslager nicht weit von Meade sein, wo er sich für den Kriegseinsatz in Europa gemeldet hat und ausbilden lässt.
Nach genau hundert Seiten beginnt Pollock einen weiteren Erzählstrang, der direkt in das besagte Armeelager Camp Pritchard führt: zu einem gewissen Vincent Bovard, der dort als Lieutnant stationiert ist und sich nach seinem kürzlichem Coming-Out mit Seinesgleichen vergnügt. In Folge wechselt das Geschehen immer wieder: Die drei Brüder sind nach dem Tod ihres Vaters bankenausraubend und mordend als Outlaws in der Gegend unterwegs, ihr Ziel ist Kanada.
Irgendwann machen sie auch bei den Landsworth halt, und stetig führt Pollock darüber hinaus neue Figuren mitsamt Kurzbiografien ein: u.a. den "Hurenscheunen"–Betreiber Blackie, den perversen Kneipenbetreiber und Serienmörder Pollard, den Latrineninspektor Jasper Cone, der unter einem viel zu großen Penis leidet. Oder unzählige Männer, die drei Jewett-Brüder jagen.
Vorbild war auch Quentin Tarantino
Es sind viele skurrile Typen darunter. Umso skurriler sie sind, umso schrulliger und kaputter sie wirken, desto weniger weiß man, ob man sich bei der Lektüre ob der vielen Schrecklichkeiten und der Tristesse gruseln oder frei herauslachen soll. Pollock hat sich bei Quentin Tarantino einiges abgeschaut, sei es, um nur zwei Beispiele zu nennen, dass er Cone seinen Penis so bearbeiten lässt, dass ihm alle Lust vergeht, oder er die Jewett-Brüder in einer slapstischartigen Szene von einem Flieger angreifen lässt, den sie tatsächlich dann abzuschießen vermögen.
"Die himmlische Pforte" ist gleichermaßen brutal wie komisch Roman - und Donald Ray Pollock hält seinen Roman, nicht zuletzt mit allerlei pop-und hochkulturellen Verweisen von der griechischen Antike über Shakespeare bis hin zu Heftchenromanen wie "Das Leben von Bloody Bill Bucket", bis zum grandiosen Ende in einer schönen Balance von Great American Novel, Schauer- und Schundroman.