Doping als Volkssport

Schneller. Höher. Weiter

Anabolika-Missbrauch: mit Pillen schnell zum Traumkörper. Auf dem muskulösen Oberarm eines Bodybuilders liegen verschiedene Anabolika-Präparate.
Mit Pillen schnell zum Traumkörper - fragwürdige Substanzen sind gerade bei Jugendlichen beliebt. © picture alliance / dpa / Klaus Rose
Von Maximilian Klein |
Fitnessstudios sind etabliert. Sie scheint es an jeder Ecke zu geben. Über die Hälfte der Deutschen gibt an, dort ab und zu zu trainieren, sagt die Statistik. So weit, so gesund. Doch mit dem Fitnessboom gehen massive Medikamentenmissbräuche einher.
Jörg Börjesson: "Es ist ja so gewesen, dass ich vom Sport her angefangen habe, erstmal mit dem Fußball in Blau-Weiß Wulfen, ein kleiner Verein. Da losgelegt habe, aber als Kind schon immer auch sehr viel mit Asthma zu tun, deswegen konnte ich da konditionell überhaupt nicht mithalten und das hieß dann immer so, der Jörg ist in Ordnung, aber beim Fußball können wir ihn nicht gebrauchen.
Das war natürlich ein einschneidendes Erlebnis für mich gewesen, damals als pubertierender Junge. Danach, ich musste dann aus dem Verein austreten. Meine Brüder konnten dann weiter machen. Das hat mich natürlich unheimlich runtergezogen. Ich hatte dann vieles ausprobiert, Judo, Schwimmen, aber die gleichen Probleme.
Mitte der 80er-Jahre kam der ganze Fitnessboom dann auch rüber aus den USA und nach Europa hin und dann haben hier Fitnessstudios aufgemacht, auch bei uns in Dorsten, in einem kleinen Dörfchen."
Große Spiegel. Männer beobachten sich dabei, wie sie Hanteln stemmen. Der Blick klebt am eigenen Spiegelbild. Jörg Börjesson machte es ihnen nach. Genau wie sie, stählte er seine Muskeln, jeden Tag, manisch. Grenzen störten. Auch die der Natur. Aus dem Sport wurde eine Sucht. Nach Muskeln, Anerkennung und schließlich nach Medikamenten.
Trimmräder, dutzende nebeneinander, es wird gestrampelt. Weiße Kopfhörer im Ohr, der Blick versunken auf einen Flachbildfernseher an der Wand. Die Speckrollen sollen weg, die Kondition gestärkt werden oder der Ausgleich zum Büro wird gesucht. Doch für einige ist dieser Ort mehr als nur ein Fitnessstudio. Hier trainieren sie. Hier üben sie ihren Sport aus. Hochleistungssport. Jörg Börjesson ist 18 als er mit dem Training beginnt. Ein Jahr genügt, um aus dem schmalen Jungen einen Athleten zu machen.
"Dann war nach einem Jahr Training sah ich schon recht gut aus, aber da war jemand eingeladen, den kannten wir aus den Fitnesszeitschriften und wir haben gesagt, Mensch wir wollen auch so aussehen und so weiter und dann im Umkleideraum aus der Trainingstasche heraus haben wir schon unsere kleinen Tablettchen bekommen."
Jörg Börjesson ist mittlerweile 41 Jahre alt. Und er kämpft noch immer gegen das, was damals auch passierte: Die Muskeln reichten ihm schnell nicht mehr aus. Die kleinen Tablettchen aus dem Umkleideraum, Testosterone. Und aus Jörg Börjesson wird ein Junkie. Muskeln, Anerkennung, Tabletten – eine unstillbare Sucht.
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Jörg Börjesson wollte mehr. Sein Körper sollte stärker werden – natürlich schnell. Eine Begegnung brachte ihn diesem Ziel näher:
Der Ex-Bodybuilder und bekennende Ex-Doper Jörg Börjesson bei einem Vortrag über die Gefahren von Doping in einem Fitnessstudio (undatiertes Archivbild).
Der Ex-Body-Builder und bekennende Ex-Doper Jörg Börjesson bei einem Vortrag über die Gefahren von Doping in einem Fitnessstudio (undatiertes Archivbild).© picture alliance / dpa / Medikanto
Das war ein bekannter Bodybuilder gewesen, der danach auch die Weltmeisterschaften gewonnen hat und wir haben den natürlich als Idol angesehen und ich hab mir natürlich damals nie denken können, dass ein Mensch mit so einem Muskelkörper einen irgendwie auch körperlich schädigen will. Dass er das in Kauf nimmt.
7100 Fitnessstudios mit 9 Millionen Mitgliedern erwirtschafteten im vergangenen Jahr 4,7 Milliarden Euro. Der Fitnessmarkt in Deutschland ist riesig. Fast jedes Studio verkauft sogenannte „Supplements“. Legale Mittel die den Trainingseffekt verbessern sollen. Zum Beispiel Eiweißpulver oder Carotin. Auf den Eimer-großen Verpackungen prangen unnatürlich trainierte Körper. Diese Mittel sind so etwas wie eine Einstiegsdroge. Ihr Versprechen: der perfekte Körper. Oder das, was man in der Bodybuildingszene für einen perfekten Körper hält.
Schremm: "Das fängt an mit den durchaus legalen Nahrungsergänzungsmitteln, irgendwelche Eiweißpulver. Das steigert sich dann hin zu irgendwelchen Tabletten, zu den anabolen Steroiden und das geht dann weiter bis in die wirklichen harten Mittel wie die Wachstumshormone."
Landeskriminalamt Berlin. Kommissariat für Arzneimittel und Rezeptfälschung. Aktenordner, Tische, Stühle. Kein Ort zum Verweilen.
An einer Pinnwand hängen die derzeitigen Straßenpreise für ein Kilo Heroin und Kokain. Hier arbeiten Herr Schremm und Frau Schörner. Ihre Vornamen behandeln sie als Dienstgeheimnis. Der Dezernatsleiter und seine Chefin sind bereit zu einem Interview. Im Dezernat von Herrn Schremm geht es nicht um die bekannten harten Drogen. Der Fokus liegt auf illegalen Medikamenten. Die meisten Präparate die in der Bodybuildingszene kursieren, fallen in diesen Bereich der Kriminalität.
Schörner: "Wir sind momentan ausgestattet mit 18 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und bearbeiten hier flächendeckend für Berlin diese Art von Delikten."
Chronischer Personalmangel gehört zur Berliner Polizei wie das Tragen der Dienstwaffe. Im Kommissariat von Frau Schörner ist man deshalb sehr froh, mit 18 Mitarbeitern ausgestattet zu sein. So viele Mitarbeiter, spezialisiert auf ein Delikt ist selten. Das Thema ist akut, jeden Tag werden neue Mittel auf den Markt gespült, illegal vertrieben, illegal hergestellt.
Schremm: "Legale Dopingmittel gibt es insofern nicht. Es gibt verkehrsfähige, da kann mich Frau Schörner gern ergänzen, verkehrsfähige Arzneimittel, die in ganz bestimmten Bereichen angewendet werden können, aber bei sehr selten vorkommenden Krankheiten. Da spreche ich immer die Wachstumshormone an."
Jintropin. Ein Wachstumshormonpräparat aus China zum Beispiel. Ein Medikament, das bei Kleinwüchsigkeit verschrieben wird. Die Wirkstoffe greifen in den Hormonhaushalt ein. Selbst auf einschlägigen Webseiten gibt es Warnhinweise dieses Medikament nicht länger als ein paar Wochen zu sich zu nehmen.
"Natürlich haben die auch einen gewissen praktischen Nutzen und können auch verschrieben werden. Grundsätzlich aber nur in sehr speziellen Fällen. Hauptsächlich, wenn sie dann illegal genutzt werden, werden sie auch illegal hergestellt."
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Schauspieler, Politiker, Bodybuilder: Arnold Schwarzenegger
Schauspieler, Politiker und Bodybuilder Arnold Schwarzenegger gibt offen zu, Anabolika und Steroide zu konsumieren. © picture alliance / dpa / Kiko Huesca
Arnold Schwarzenegger aber auch deutsche Stars der Hip-Hop-Szene wie der Berliner Rapper Fler, geben offen zu, Anabolika und Steroide zu konsumieren. Ihr Zielpublikum – Jugendliche.
Der perfekte Körper. Für Teenager gibt es kaum etwas Wichtigeres. Was für die Mädchen Magersucht ist. Ist für die Jungs die Sucht nach Muskelbergen um jeden Preis. Anabolika erobern die Klassenzimmer. Rapper wie Fler, Kollegah und Massiv liefern den Soundtrack dazu.
Jörg Börjesson: "Wenn ich in die Schulen reingehe, dann ist es ein Kontakt, der über den Lehrer, über die Schüler stattfindet. Also dieser Körperkult und Schönheitswahn."
Jörg Börjesson, der ehemalige Bodybuilder und Anabolika-Abhängige, hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Schulen aufzuklären. Er hat gegen ein archaisches Menschenbild anzukämpfen.
"Also von den Lehrern selbst wird man angesprochen, wird man kontaktiert, weil die dann halt auf dem Schulhof oder in der Klasse selber festgestellt haben, da sind welche dabei, die das Motto Recht des Stärkeren umsetzen wollen. Alles nur über die Optik, die haben ein bisschen Bizeps und meinen dann wirklich die ganz großen Cliquenbosse da zu sein und dann haben natürlich die Lehrer auch große Probleme."
Ein großer Bizeps, Macht ausstrahlen, älter wirken. Der Griff zu Testosteron und Anabolika hat viele Gründe.
"Das ist auch das Traurige, weil auch gerade auch die Jugend, die will ihren Körper aufbauen wie eine Art Statussymbol und da sind auch, was ich festgestellt habe, dass dann viele auch dabei sind mit Migrationshintergrund. Die rüsten sich da richtig auf für die Straße, nach dem Motto, ich werde rassistisch angefeindet. Ich werde jetzt sehen, meinen Muskelkörper aufzubauen um abzuschrecken."
Angst und Unsicherheit sind nicht selten der Motor.
"Es scheint absolut zuzunehmen, weil die Jugendlichen sich immer mehr über ihren Körper definieren, weil die auch ihre Chance gar nicht sehen, da mitzuhalten in der Gesellschaft. Arbeitslosigkeit spielt natürlich auch eine große Rolle. Aufmerksamkeit spielt eine große Rolle und die wollen dann über den athletischen Körper, wollen die sich integrieren in der Gesellschaft und das kann es einfach nicht sein."
Eine Falle der Anabolika, der Aufputschmittel – äußerlich wirken die Sportler lange Zeit gesund. Bekommen Anerkennung für ihre Leistung. Ein Heroinjunkie, der sich auf einem Bahnhofsklo die Spritze setzt, wirkt abschreckend. Ein junger Mann der sich im Fitnessstudio Anabolika in den Hintern injiziert, bekommt ein Sixpack und das Mädchen seiner Träume.
Stolz auf das Kreuz des Sohnes
Schremm: "Vielleicht fällt es auch den Lehrern und Trainern schwer, sich des Themas mal anzunehmen, aber wir müssen es auch mehr in den Fokus rücken. Ich bin immer erstaunt, wenn vielleicht die Mutter ganz stolz auf ihren 16-jährigen Sohn ist, der schon besser aussieht vom Kreuz her als der Vater und da irgendwo im Spiegelschrank ein Röhrchen findet und da gar nicht weiter nachfragt. Na, wo kommt das eigentlich her. Das sind die Situationen, wo ich denke, da muss mehr Sensibilität vorhanden sein",
sagt Dezernatsleiter Schremm. Deswegen ist auch aus seiner Sicht, die Arbeit und Aufklärung bei Jugendlichen besonders wichtig. Das Interesse an dem Thema wächst, meint Jörg Börjesson.
"Es gibt Veranstaltungen, wo manchmal 300 bis 400 Schüler sogar anwesend sind. Wo mehrere Schulklassen zusammengezogen werden."
Hat man früher Schüler darüber aufgeklärt, dass Marihuana schädlich ist, sind es heute anabole Steroide vor denen gewarnt werden muss.
"Ich bin natürlich niemals mit erhobenem Zeigefinger unterwegs. Ich zeige einfach nur auf, wie ich es selbst erlebt habe. Ich bringe es rüber, was mir passiert ist und was ich im Moment dagegen tue. Und das kommt in dieser Form sehr gut an."
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Die Asservatenkammer des Landeskriminalamtes in Berlin. Lange hallige Flure irgendwo in Berlin. Genauer soll der Ort nicht beschrieben werden. Es sind zu viele wertvolle Stoffe, die hier lagern. Das LKA will keine Begehrlichkeiten wecken. Die Regale sind vollgestopft. Medikamente, Drogen – und einige skurrile, aber doch illegale Dinge:
"Ich weiß nicht wie du das geordnet hast. Hier sieht man alte Carvette Schildkröten. Aus dem Artenschutzbereich. Die sind hier auch eingelagert. Genau. Das sind Dianabol."
Dianabol. Etwa 20 Packungen mit Tabletten, eingeschweißt in einen Plastebeutel. Diese Sorte Beutel, in denen Kommissare immer Beweise am Tatort sammeln.
Schörner: "Hier lagern die ganzen beschlagnahmten Arzneimittel. Aus entsprechenden Ermittlungsverfahren. Die lagern hier alle unter Sicherheitsbedingungen und den entsprechenden Anforderungen wie sie hier in den Räumlichkeiten gerade sehen. Wir haben ja hier ungefähr, na, ich sage mal 20 Meter Raum, wenn das reicht. Wahrscheinlich eher noch mehr. Und der Raum ist gefüllt mit Regalen, sorgsam geordnet, so dass man jederzeit zu den entsprechenden Ermittlungsvorgängen die Asservate auch wiederfinden kann. Und wie sie sehen sind die alle hier verblistert."
Versiegelt und gekennzeichnet.
"Man hat hier zum Beispiel Packungen mit Dopingmitteln. Mit Omnadren beispielsweise …"
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"Wie man sieht in kyrillischer Schrift. Das heißt, es ist kein deutsches Präparat stammt vermutlich von einem Schwarzmarkt. Oder von einem Untergrundlabor. Auch sehr beliebt sind die Testosteron Präparate. Für die Herren, mitunter auch für die Damen. Die Wachstumshormone werden hier jetzt nicht gelagert, die gehören üblicherweise in den Kühlschrank."
Massive Nebenwirkungen wie Leberschäden
Frau Schörner zieht einen unauffälligen Plastesack mit weiteren Medikamenten aus dem Regal. Als besonders gefährlich werden diese Arzneimittel eingestuft. Massive Leberschäden und Wassereinlagerungen sind nur ein Teil der Nebenwirkungen.
"Es gibt hier noch mal große Umverpackungen mit den sogenannten Thais. Das ist Methandienon. Das sind ganz bedenkliche Arzneimittel. Die von den entsprechenden Menschen tatsächlich konsumiert werden ohne Rücksicht auf die Folgen die sie da im Langzeitbereich haben werden."
Die Verpackungen fallen nicht auf – sie sehen aus, als wären sie die Originalverpackung. Auf den ersten Blick sind sie nicht von den anderen Arzneimittelverpackungen zu unterscheiden. Auf den zweiten Blick auch nicht.
"Das ist genau der Clou da dran im Arzneimittelmarkt. Egal, ob es sich um Dopingmittel handelt oder auch um andere Arzneimittel wird ganz ganz viel gefälscht. Und die professionellen Fälscher arbeiten mittlerweile so gut das selbst die eigentliche Herstellerfirma, wo immer, wenn es denn eine gibt, ein Problem hat tatsächlich Original von Fälschung zu unterscheiden und das kann tatsächlich auch nur mit sehr umfangreichen chromatographischen Untersuchungen festgestellt werden."
Gepanscht, gefälscht. Es ist gefährlich. Denn wenn auch die Verpackung fast original ist, der Inhalt ist es nicht. Die Dosis der Substanzen ist verändert oder es sind gänzlich andere Wirkstoffe enthalten. Wer diese Produkte verwendet, weißt also nicht, was er da eigentlich einnimmt. Das ohnehin vorhandene Risiko zu erkranken, steigt. Auch Jörg Börjesson wusste anfangs nicht, woher sein Dealer die gefährlichen Substanzen bezog. Jahrelang pumpte er seinen Körper voll – mit Steroiden aus zweifelhafter Quelle.
"Die ersten Tablettchen, die sahen völlig harmlos aus, die man dann im Umkleideraum bekommen hat. Dann hieß es dann immer so zwei Stunden, zwei bis drei Tabletten vor dem Training dann einzunehmen. Dass man dann eine größere Leistungsbereitschaft dann fühlt und, dass man dann noch länger trainieren kann und so weiter."
Anfänglich taten die Präparate was sie sollten. Sie machten Jörg Börjesson stärker. Größer. Dann Abhängiger. Und irgendwann machten sie ihn krank. Ob echtes Präparat oder gefälscht. Krank macht beides.
"Die ersten Jahre, drei vier Jahre, war ich richtig in so einem Leistungsrausch. Also da habe ich gemerkt, Mensch, die Muskulatur wird kompakter, alles wir härter. Man hat auch mehr Kraft und so weiter."
Der Stoff kam vom Idol. Jörg Börjesson wusste nicht, dass er dem misstrauen sollte. Konspirativer Drogenkauf wurde zu einem Fan-Event. Der Kopf schaltete sich aus. Elastisch wurde die Beziehung zu Logik und gesundem Menschenverstand.
"Ich habe mich nachher dann mit dem Dopingdealer an so einem Autobahnzubringer dann getroffen und dann hast du noch eine Eiweißdose geschenkt bekommen, dann hat man noch ein paar Vitaminpillchen mit dabei bekommen und so wurde das alles dann verschleiert in dieser Richtung, dass ich mir als junger Bursche da überhaupt gar keine Gedanken machen wollte, wahrscheinlich auch nicht."
Fatale Mischung: Naivität gepaart mit Ehrgeiz
Alleine Tabletten schlucken hilft natürlich nicht. Ohne Training ist die stärkste Medizin nutzlos. Jörg Börjessons Naivität paarte sich mit Ehrgeiz. Er hatte schließlich seinen Sport und seine Anerkennung gefunden. Eine fatale Mischung.
"Ich habe natürlich auch jeden Tag trainiert. Deswegen habe ich das gar nicht, diese Erfolge, die auch ganz klar nicht hundertprozentig dahin zuzurechnen sind, auf diese kleine Tablettchen geschoben, sondern auf dieses harte Training. Ernährung auch und alles im Griff gehabt."
Alles im Griff. Schon wieder ein Trugschluss, der an bekannte Verhaltensmuster aus der Szene der Heroin- oder Kokain-Junkies erinnert.
"Und das war so, dass man dann nach circa fünf Jahren Magenschmerzen dann immer mehr bekam, wo man erstmal sich noch gesagt hat, dachte ich mir so, Mensch vielleicht hast du eine Magendarmgrippe. Kann ja auch mal passieren. Also man hat alles so verdrängt."
Gewichte stemmen, Hanteltraining, immer wieder, immer mehr Kilo mussten es sein. Mehr Muskeln. Nicht die Form verlieren. Alles für den perfekten Körper.
"Eines Tages, während des Beintrainings, schwere Gewichte aufgepackt. Ich hatte schon vorher ein zwei Wochen vorher, schon starke Kopfschmerzen gehabt, plötzlich einen Blutschuss aus der Nase bekommen habe. Das war so mein Schlüsselerlebnis gewesen, wo ich mitbekommen habe, das kann doch nicht sein. Du ernährst dich gut. Wie kann denn so etwas passieren. Und das ich dann das erste Mal zum Nachdenken gekommen bin."
Margerie: "Hormone, Insulin, Schilddrüsenhormone, anabole Steroide und Schmerzmittel natürlich auch, sowie Stimulanzien um den Trainingsreiz besser zu vertragen."
Bodybuilding und Doping. Das ist die Spitze des Eisberges. Triathleten, Radfahrer, Marathonläufer, Jogger, Tennisspieler, im Fußballverein, auf dem Wochenendtrip zum Skifahren. Medikamentenmissbrauch hat überall seine Nische gefunden. Die Suche nach Leistungssteigerung hat viele Gesichter.
"Also die ganze Szene, da sind Millionen von betroffen, da geht es nicht um Millionenbeträge und um irgendwelche Goldmedaillen, sondern da ist der Nachbar von nebenan. Der funktionieren will. Der einfach mithalten will, mit den anderen Nachbarn, mit seinen Arbeitskollegen. Die sind überhaupt nicht sportlich, gar nicht aktiv großartig. Die versuchen dann über irgendwelche Dopingmittel ganz schnell zu funktionieren, wie so eine Art Zauberpille."
Margerie: "Hormone, Insulin, Schilddrüsenhormone, anabole Steroide und Schmerzmittel natürlich auch, sowie Stimulanzien um den Trainingsreiz besser zu vertragen …"
Dr. Robert Margerie leitet das Zentrum für Sportmedizin in Berlin-Dahlem. Leistungssportler aus allen Disziplinen lassen sich von ihm behandeln. Der Marathonläufer setzt sich für ein generelles Verbot von Dopingmitteln ein. Eines der Grundprobleme bei der Einnahme von anabolen Steroiden: Die falsche Anwendung und die oft viel zu hohen Dosierungen. Sie erhöhen das Risiko zu erkranken um ein Vielfaches.
"In den hohen Dosierungen, die zigfach übertherapeutisch sind. Wir wissen, dass bei einem erwachsenen Mann beispielsweise Testosteron in therapeutischer Dosierung keinen nennenswerten Kraftzuwachs bringt. Wohingegen bei Frauen, bei Kindern oder auch bei älteren Männern, die einen relativen Testosteronmangel haben, auch schon niedrigere Dosen durchaus Effekte zeigen, hinsichtlich des Muskelaufbau und Kraftzuwachs."
Ampullen mit dem Anabolika Testosteron, sichergestellt in einem Untergrundlabor.
Ampullen mit Anabolika, sichergestellt in einem Untergrundlabor.© picture alliance / dpa / Boris Roessler
Die Liste an Nebenwirkungen der Medikamente, die im Bodybuilding genommen werden, ist lang. Teilweise sind sie verheerend.
"Während die anabole Wirkung, das heißt die kraftaufbauende Wirkung, erwünscht ist, ist die androgene Wirkung, nämlich diese Vermännlichung gefürchtet. Also gerade bei Frauen auch, führt das eben doch zur Vermännlichung. Die Stimme wird tiefer. Die Brüste werden kleiner bei der Frau. Die Klitoris kann hypertrophieren. Was besonders gravierend ist, sind eben auch die Veränderungen der inneren Organe. Es kommt zu unkontrolliertem Herzmuskelwachstum, kann es kommen. Die Leber ist erheblich beeinträchtigt. Es kann zu gutartigen Lebertumoren kommen, die sich da bilden, durch den Stoffwechsel."
Jörg Börjesson hat bis heute mit vielen Nebenwirkungen zu kämpfen. Seine Sucht brachte ihn schließlich ins Krankenhaus.
"Das war so gewesen, dass bei den ganzen Magenuntersuchungen, dass der Arzt irgendwann gesagt hat. Mensch, was haben Sie denn da. Das ist eine ausgeprägte Gynäkomastie, so nennt sich das. Haben Sie schon einmal Hormone eingenommen? Man sieht ja schon an Ihrem Körper, Sie haben mal Kraftsport gemacht."
Bei einer Gynäkomastie kommt es zur Vermehrung des Brustgewebes. Einem Mann wachsen weibliche Brüste.
"Und das Schlüsselerlebnis auch in dieser Richtung war gewesen, als ich eines Tages mal aus der Dusche kam. Mein Sohn stand vor mir. Der war vielleicht drei, vier Jahre alt. Sagte plötzlich zu mir, Papa, bist du ein Mann oder eine Frau."
Operation. Sie war unausweichlich geworden. Auch wenn sich der Verdacht: Brustkrebs nicht bestätigte.
"Ja, zum Chirurg hin. In Recklinghausen wurde ich dann operiert. Über vierhundert Gramm Brustdrüsengewebe, beschädigtes wurde heraus operiert in einer über dreistündigen Operation. Ich habe mir sofort gesagt, Mensch Jörg, wenn du das überlebst, dann willst du auch sehen, dass du da Filmaufnahmen von hast und dann gehst du in die Schulen rein und willst auch die Jugend darüber aufklären, was da alles passieren kann."
Margerie: "Darüber hinaus kommt es bei der Haut zur Aknebildung, eine typische Bodybuilderakne, ist da beschrieben. Es kommt bei der Frau zur Infertilität, also zur Unfruchtbarkeit. Beim Mann kommt es zum Schrumpfen der Hoden. Weil die endogene Produktion gehemmt wird, durch die exogene Zufuhr."
Nebenwirkungen, wie Erektionsstörungen führen dazu, dass weitere Medikamente eingenommen werden. Die Pest wird mit der Cholera bekämpft.
"Bei den Stimulanzien, die eingesetzt werden, gibt es eine Abhängigkeit, die ist aber auch in erster Linie psychischer Natur, dass man sich einfach nicht mehr so gut fühlt, wenn diese Euphoriespiegel abfallen. Es scheint eine Abhängigkeit zu geben von der Körperwahrnehmung, vom Körpergefühl. Das praktisch ein Absetzen oder auch Reduzieren von Training und so weiter nicht gut toleriert wird. Sondern mit Unlust und mit einer depressiven Symptomatik verbunden ist. Sodass sich das möglicherweise dann verselbstständigt."
Handel läuft über Internetapotheken
Zitatorin: Wir sind glücklich, dass wir ihnen die populärsten Wachstumshormone aus der ganzen Welt auf unserer Seite anbieten können. Ihr Eurosteride Team.
Was klingt wie ein zynischer Scherz, ist der Werbetext von einer der vielen Internetapotheken. Über sie läuft fast der gesamte Handel.
Schremm: "Was man auch generell sagen kann. Der Weg über dubiose Internetplattformen ist garantiert so vielversprechend an ein schädliches oder unwirksames Arzneimittel zu kommen, das ist auch richtig."
Es scheint Bedarf zu geben. Manche glauben, einem alten Rollenklischee von Männlichkeit entsprechen zu müssen – das Leitbild scheint eine Mischung aus Marlboro-Mann und Hulk zu sein. Und manch einer will sich selbst, will sein Leben in ein Abziehbild verwandeln, um so zu sein, wie er glaubt, sein zu müssen, um von anderen akzeptiert zu werden. Sie trainieren den Körper und vergessen den Geist. Sie wollen Leistung pur und glauben, es wäre ihr eigener Wille. Sie wollen stark und schnell und leistungsfähig sein. Egal, wie hoch der Preis dafür ist. Doping ist im Freizeitsport angekommen – und dort längst ein Massenphänomen.
Schremm : "Es gibt belegbare Studien der WADA, also der Welt-Anti-Doping-Organisation, als auch der NADA, der Nationalen-Anti-Doping-Agentur, die also zumindest für uns hier in Deutschland davon ausgehen, dass so jeder siebente bis achte Fitnessstudiobesucher mindestens Dopingmittel schon einmal genommen hat oder noch nimmt oder regelmäßig nimmt und das ist ein riesengroßer Abnehmermarkt, der sich nicht nur auf Wachstumshormone konzentriert."
In Internetforen werden Erfahrungen ausgetauscht und die passenden Shops empfohlen. Doch das Geschäft läuft nicht nur über das Internet. Es verdienen nicht nur die Dealer. Auch die Fitnessstudios sind daran beteiligt. Das Thema ist heikel. Die Anfrage nach einem Interview bei der der größten Fitnessstudiokette wird abgeblockt, stattdessen gibt ein schriftliches Statement.
Zitator: Wir haben Null Toleranz gegenüber illegalen, leistungssteigernden Substanzen und dulden weder Doping noch andere illegale Medikamente in all unseren McFIT-Studios. Konkret heißt das, jeder der mit illegalen Substanzen in einem unserer Studios erwischt wird – egal ob für den Eigenkonsum oder Verkauf – erhält ein lebenslanges Studioverbot. Zudem wird jeder dieser Missbräuche sofort zur Anzeige bei der Polizei gebracht. Leider können wir keine Auskunft darüber geben, wie viele Doping-Verstöße wir in den letzten Jahren in unseren Studios hatten.
Börjesson. "Aber die Dopingprävention. Da sind ja Millionen, die da eine Rolle spielen. Die da involviert sind, in den ganzen Fitnessstudios. Und da muss unbedingt etwas passieren."
Auch Dealer in den Fitnessstudios sind zahlende Kunden. Würde man strikt gegen sie vorgehen, würde man Kundschaft verlieren. Viele Betreiber drücken deshalb auch mal ein Auge zu. Aber sie lassen eine Mafia gewähren. Sie ist nicht so laut und nicht so auffällig wie andere Drogenkartelle. Aber:
Schremm: "Das ist ein Markt, den man zum Teil schon als organisierte Kriminalität bezeichnen kann. Hier wird konspirativ innerhalb bestimmter Tätergruppen zusammengearbeitet. Zielgruppe, Abnehmer, Konsumenten, kann man eigentlich fast sagen, geht quer durch die gesamte Gesellschaft, durch alle sozialen Schichten."
Große Ermittlungserfolge sind selten
Die Verfolgung ist schwierig. Weit vernetzt sind die Dealer. Schwer zu erreichen für Schremm und sein Team.
"Da ist ein geschlossener Kreis. Zum einen von Konsumenten, die kein Interesse haben, dass diese Tat auffliegt. Zum anderen von den Zulieferern, die auch nicht wollen, dass die Tat auffliegt. Sie bewegen sich also in der Tat in einem sehr abgeschotteten Bereich. Kann man vergleichen mit dem Rauschgifthandel zum Teil. Wir haben ähnliche Strukturen und ähnliche Verhaltensweisen vorgefunden."
Große Ermittlungserfolge sind selten. Akribisch, hartnäckig und vor allem geduldig müssen die Beamten vorgehen, um den Handel wenigstens einzuschränken. Einschränken. Mehr nicht. Das Geschäft mit anabolen Steroiden, Wachstumshormonen und Aufputschmitteln ist zu lukrativ.
Schörner: "Also man sollte es gar nicht vermuten, aber, ich sage mal so, bei Kokain beispielsweise. Als Rohprodukt hat man schon einen sehr hohen Kostenwert ohne, dass ich die Zahlen jetzt konkret sagen möchte. Aber das, was hinterher als Endprodukt dann rauskommt, da ist die Gewinnmarge deutlich geringer, als bei der Herstellung von illegalen Arzneimitteln. Da brauch man vom Grundstoffaufgebot her sehr wenig und sehr kostengünstiges Material und hat hinterher ein Vielfaches des Preises."
Und es gibt wesentlich mehr Abnehmer als für Kokain oder Heroin.
"Ungefähr das 1600-fache, sagte man in etwa, sagte das Bundeskriminalamt auch einmal, dass dies entsprechend mal hochgerechnet hat, vergleichbar im BTM Bereich. Man muss noch dazu sagen, dass der Abnehmerkreis von Arzneimitteln, egal, ob Dopingmittel oder andere gefälschte Arzneimittel, natürlich wesentlich höher ist, als der, der relativ kleinen Randgruppe, der BTM-Konsumenten und Händler."
Drogenberatungsstellen gibt es viele. Doch was gibt es für jene, die aus der Bodybuildingszene aussteigen wollen? Keine der staatlichen Stellen fühlt sich verantwortlich für das Thema. Hier füllt Jörg Börjesson eine Lücke. Er entwickelt Projekte zur Aufklärung und ist für Aussteiger in Deutschland derzeit die einzige Adresse.
Börjesson: "Deswegen bin ich jetzt auch dran mit einem Theaterregisseur aus Duisburg auch eben ein Theaterprojekt ins Leben zu rufen. Es geht dann über meine Biografie und da habe ich feststellen müssen, leider, von der Unterstützung her, die großen Krankenkassen, Gesundheitskassen, alle abgelehnt."
"Pure Sport", "Bleib Sauber", "Mit Doping ist alles umsonst". Kampagnen gegen Doping im Spitzensport gab es viele und wird es noch viele geben. Sportverbände wie die NADA und WADA haben ein dichtes Netz von Dopingkontrollen errichtet. Kaum ein Leistungssportler der nicht ausgiebig und engmaschig kontrolliert wird. Wird ein Sportler beim Dopen erwischt, gibt es einen lauten Aufschrei und die "Skandalmaschine" fliegt an.
Bemühungen, Doping im Freizeitsport zu unterbinden: Fehlanzeige. Keine Kampagne, keine Ideen, kaum Ansätze. Nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen. Es scheint der Politik egal zu sein, dass immer mehr Menschen versuchen, mit gefährlichen Medikamenten ihre Leistung zu steigern, ihre Gesundheit dabei aber vergessen. Die Debatte über Cannabis wird hitzig geführt. Ein gepanschtes Steroid aus Vietnam wird in dieser Diskussion schlicht ignoriert.
Börjesson: "Also ich habe wirklich das Gefühl, dass man tatsächlich sagen kann, Heroin ist out und Doping ist die Droge unserer Zeit."
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